Humanoide Roboter und Exoskelette
Der Einsatz von intelligenten Robotern für medizinische Grundlagenforschung sowie für therapeutische oder pflegerische Anwendungen ist einer der Schwerpunkte des Heidelberg Center for Motion Research. (CliniCum 11/17)
Blaue und grüne Scheiben auf Rädern flitzen auf einem Tisch herum. Zuerst ist die Verteilung zufällig, doch im Laufe der Zeit versammeln sich die kleinen Roboter in immer größeren farblich homogenen Gruppen, bis am Ende zwei einheitliche Cluster übrig bleiben: ein grüner und ein blauer. Der Grund dafür: Jede der kleinen Maschinen ist so programmiert, dass sie an Orten verweilt, an denen mindestens 30 Prozent der anderen Roboter in der unmittelbaren Umgebung dieselbe Farbe haben. Hingegen meiden sie Standorte, an denen weniger als 30 Prozent der unmittelbaren Nachbarn zu derselben Gruppe gehören. Obwohl also die Toleranz der einzelnen Roboter ziemlich hoch ist – sie akzeptieren immerhin, dass sich 70 Prozent Andersartige in ihrer unmittelbaren Umgebung aufhalten –, kommt es binnen kurzer Zeit zu einer kompletten Entmischung.
Dieses Experiment belegt die Erklärung des US-Ökonomen und Nobelpreisträgers Thomas C. Schelling, warum es zur Zusammenballung einzelner Bevölkerungsgruppen in bestimmten Stadteilen kommt: Segregation hat demnach ihre Ursache in dem Drang, sich mit seinesgleichen zu umgeben. Obwohl dieser vergleichsweise schwach ist, reicht er dennoch aus, um ethnisch oder sozial einheitliche Umgebungen entstehen zu lassen. Die blauen und grünen Schwarmroboter gehören zu jenen Forschungsprojekten, die Besuchern des Robotic Research Lab an der Universität Heidelberg als soziologisches Experiment vorgeführt werden. Viele andere an diesem Labor realisierte Projekte haben jedoch einen medizinischen Hintergrund. Denn das Robotic Research Lab ist Teil des Heidelberg Center for Motion Research, eines interdisziplinären Zentrums für die Erforschung der Bewegung des menschlichen Körpers.
Bewegungsstörungen
In Heidelberg werden etwa Roboter konstruiert, welche die Bewegungen des menschlichen Körpers simulieren und so zu einem besseren Verständnis von Bewegungsabläufen führen sollen. „Unser Ansatz ist es, die Physik und die mechanischen Komponenten, die hinter den Bewegungsabläufen stecken, zu begreifen und sie in mathematische Gleichungen zu fassen“, erklärt Prof. Dr. Katja Mombaur, Leiterin des Zentrums für Bewegungsforschung. Diese Grundlagenforschung fließt dann in konkrete, oftmals medizinische Anwendungen: Die Erkenntnisse können etwa zur gezielten Verbesserung von Bewegungsabläufen bei Sportlern oder zur Behandlung von Bewegungsstörungen und Erkrankungen, die den Bewegungsapparat betreffen, beitragen. Auch bei diesen praktischen Anwendungen spielt die Robotik eine wichtige Rolle: So werden am Zentrum für Bewegungsforschung Assistenzroboter und Exoskelette entworfen.
Simulation des Ganges
„Gesunde Bewegungsabläufe und die damit verbundenen Kraftanstrengungen und Regelmechanismen zu kennen ist unbedingte Voraussetzung, um gestörte Bewegungen verstehen zu können – etwa wenn es aufgrund einer Krankheit oder aufgrund von Alterungsprozessen zu Einschränkungen kommt“, erläutert Mombaur. Auch wenn Gehen, Laufen und andere Körperbewegungen etwas Selbstverständliches zu sein scheinen – allein die Simulation des menschlichen Ganges ist eine Herkulesaufgabe. So hatte sich das EU-Projekt KoroiBot – benannt nach dem ersten namentlich bekannten Olympiasieger Koroibos von Elis – zum Ziel gesetzt, zweibeinige Roboter zu entwickeln, die den menschlichen Gang unter natürlichen Bedingungen simulieren, also beim Stiegensteigen, auf Steigungen bzw. abschüssigem Gelände, auf weichem oder rutschigem Untergrund. Im Zuge dessen wurde in Heidelberg der humanoide Roboter HeiCub konstruiert und trainiert.
Der kleine Kerl mit dem Aussehen eines roten Briefkastens auf zwei Beinen meistert diese Aufgabe noch ziemlich unbeholfen. „Gerade auf dem Gebiet der Motorik ist es noch ein weiter Weg, bis Roboter natürliche menschliche Bewegungsabläufe nachahmen können“, räumt Mombaur ein. Im Rahmen eines anderen EU-Projekts – Forschung dieser Art findet fast ausschließlich auf internationaler Ebene statt – namens ECHORD wurde in Heidelberg ein Roboterarm konstruiert, der ein mit Wasser gefülltes Glas ertasten, aufheben und anderswo abstellen kann, ohne den Inhalt zu verschütten. Sowohl bei diesem KUKA genannten Arm als auch beim Roboterkerlchen HeiCub spielt künstliche Intelligenz eine wichtige Rolle. „Bewegungen zeichnen sich durch zwei wesentliche Komponenten aus: zum einen durch die Mechanik, also das Skelett, die Gelenke und die Muskulatur, und zum anderen durch kognitive Vorgänge“, bekräftigt Mombaur. Von derartigen Experimenten erwarten sich die Forscher letztlich die Entwicklung medizinischer Anwendungen wie etwa Exoskelette.
Drehmoment fürs Knie
Exoskelette dienen dazu, Menschen, die sich nicht mehr alleine bewegen können oder deren Bewegungen gestört sind, wieder zu Mobilität zu verhelfen. „Exoskelette kann man sich als eine Art Roboter zum Anziehen vorstellen“, vergleicht Mombaur. Sie sind für verschiedene Teile des Körpers einsetzbar, etwa für die unteren Extremitäten. Ein Beispiel dafür wäre ein Assistenzsystem, das einen Patienten unterstützen soll, dessen Knie geschädigt sind. Das ist eine komplexe Aufgabe. Dieses System müsse etwa das Verhalten des Betroffenen berücksichtigen, also inwieweit dieser versucht, seine Knie zu schonen, erläutert Mombaur: „Das Assistenzsystem liefert dann im Idealfall genau jenes Drehmoment, das der Patient selbst vermeidet.“ Dabei solle es aber auch nicht überregulieren, also solche Bewegungen, die selbstständig erfolgen können, vorwegnehmen. „Jedes Assistenzsystem muss individuell an seinen Benutzer angepasst werden“, weiß die Leiterin des Heidelberg Center for Motion Research.
Roboter zum Anziehen
Derzeit wird dort im Rahmen eines weiteren EU-Projektes namens SPEXOR ein Exoskelett für die Wirbelsäule entwickelt, das den ganzen Rücken unterstützen soll. Ziel ist es, Rückenschmerzen bei bestimmten Arbeiten vorzubeugen und Arbeitern, die aufgrund von Schmerzen des unteren Rückens in den Krankenstand geschickt wurden, den Wiedereinstieg ins Arbeitsleben zu ermöglichen. Dabei wird die mechanische Belastung der Wirbelsäule, die vom Oberkörper und den Armen ausgeht, auf die Beine umgeleitet. Pflegerin auf Rädern „Exoskelette und andere Assistenzroboter fördern die Unabhängigkeit und Eigenständigkeit – beispielsweise können sie alten Menschen ermöglichen, länger im vertrauten Zuhause zu wohnen“, sagt Mombaur.
In diesem Sinne werden im Rahmen des EU-Projektes MOBOT, an dem das Zentrum für Bewegungsforschung in Heidelberg beteiligt ist, die Prototypen zweier intelligenter Roboter entwickelt, die alte und gebrechliche Menschen beim Aufstehen, Hinsetzen und Gehen unterstützen sollen: ein Rollator-ähnlicher Roboter und ein „Nurse-type“-Roboter, der an einen Cellokoffer mit zwei Armen und auf Rädern erinnert. Die Roboter sind mit zahlreichen Sensoren ausgestattet und sollen auf Basis von Beobachtung und Lernen selbstständig erkennen, ob der ihnen anvertraute Mensch gerade ihre Hilfe braucht. Auf diese Weise sollen sie sich ihrem Menschen bei Bedarf nähern und Hilfe anbieten oder ihn beim Gehen begleiten und bei einer eventuell auftretenden Schwäche stützen.
Science-Fiction-Szenario
Das Science-Fiction-Szenario, wonach intelligente Roboter dereinst dem Menschen ebenbürtig werden oder ihn sogar beherrschen könnten, hält Mombaur für unrealistisch. Zwar gebe es bereits Maschinen, die den Menschen in bestimmten Bereichen übertreffen, etwa im Go- oder Schachspiel, jedoch handle es sich dabei um sehr fokussierte Fähigkeiten. „Interessant ist, dass mit der Fiktion humanoider Roboter häufig Ängste und Skepsis transportiert werden“, merkt Mombaur an. Ziel ihrer Entwicklung ist es aber nicht, den Menschen in irgendeiner Weise zu ersetzen oder überflüssig zu machen: „Das Einsatzgebiet von humanoiden Robotern liegt in Situationen, wo eine menschliche Körperform notwendig ist, die aber zu gefährlich, zu weit weg oder zu langweilig für Menschen sind.“ Humanoide Roboter könnten beispielsweise zum Entschärfen von Bomben, bei Katastrophensituationen in Atomkraftwerken oder im Weltall zum Einsatz kommen.