8. Feb. 2024Österreichische Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV)

Neue Therapieoptionen bei Alopecia areata

Vor knapp zwei Jahren wurde der erste JAK-Inhibitor zur Therapie der Alopecia areata zugelassen, der zweite folgte 2023. Doch was können die JAK-Inhibitoren in der Behandlung entzündlicher Haarerkrankungen wirklich?

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privat

„Die Alopecia areata ist derzeit in aller Munde, weil wir als Dermatologinnen und Dermatologen wieder einmal eine kleine Revolu­tion mit einer ganz neuen Klasse an Substanzen erleben“, berichtet Ap. Prof. Dr. Johannes Griss, Oberarzt an der Universitätsklinik für Dermatologie und Leiter der Immun­dermatologischen Ambulanz und Haarambulanz an der MedUni Wien, einleitend in seinem Vortrag bei der ÖGDV-Jahrestagung. Alopecia areata ist mit einer Lebenszeitin­zidenz von rund 2% eine der häufigsten Autoimmunerkrankungen. Beide Geschlechter sind gleichermaßen betroffen. Allerdings manifestiert sich die Erkrankung häufiger im Kindes- und Jugendalter als bei Erwachsenen. Die Pathogenese ist derzeit noch weitgehend unklar.

Immunologische Sonderstellung erschwert die Therapie

Entzündliche Haarerkrankungen weisen immunologische Besonderheiten auf, denn bei Säugetieren sind Haarfollikel evolutionsbiologisch besonders geschützt. „Der Haarfollikel stellt aus immunologischer Sicht ein einzigartiges Organ dar“, so Griss. Dies resultiert aus dem Phänomen des sogenannten Immunprivilegs, d.h. bestimmte Organe sind vor dem Immunsystem „verborgen“. Beschrieben ist ein solches Immunprivileg neben dem anagenen Haarfollikel u.a. für die Kornea, Testis, Plazenta, Leber, den Darm und bestimmte Regionen des Gehirns. Das Haarfollikel wird dadurch in der vulnerablen Phase der Pigmentierung und Haarproduktion vor dem Immunsystem geschützt; Entzündungen werden so effektiv verhindert.


Dieser Schutz erfolgt auf verschiedenen Ebenen. Einerseits gelangen Immunzellen durch (mechanische) Barrieren in der extrazellulären Matrix nicht zum Haarfollikel, andererseits wird die Antigenpräsentation reduziert; zudem erfolgt auch eine aktive Immunsuppression. Diese Mechanismen könnten erklären, warum die Behandlung dieser Erkrankung oft sehr herausfordernd ist bzw. war. „Denn falls eine Autoimmunerkrankung auftritt, muss diese Barriere bereits überschritten worden sein. Aus diesem Grund sind die neuen Therapien tatsächlich ein gewisser Gamechanger“, meint Griss.

Therapiealgorithmus

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Der Therapiealgorithmus (siehe Abbildung) berücksichtigt zunächst das Alter der Patientinnen und Patienten, führt Griss näher aus. „Das Alter ist entscheidend, die Grenze liegt bei 12 Jahren.“ Bei Kindern sind topische Glukokortikoide das Mittel der Wahl, da die kindliche Haut dünner ist und die Steroide dadurch tief genug eindringen können. Bei Erwachsenen sind topische Glukokortikoide meist wenig effektiv, die Ansprechraten liegen unter 30%. Bei Erwachsenen mit weniger als 50% betroffener Kopf­fläche weisen intraläsionale Glukokortikosteroide oft eine gute Wirksamkeit auf. „Hier zeigen Studien ein Ansprechen von 75%, das ist äußerst gut.“ Falls diese nicht ausreichen, kann auf orale Glukokortikosteroide oder eine systemische Therapie mit JAK-Inhibitoren umgestellt werden.


JAK-Inhibitoren

Eine vielversprechende neue Klasse von Medikamenten sind JAK-Inhibitoren, die die Januskinasen angreifen und eine wichtige Rolle bei der Aktivierung von T-Zellen spielen. Letztere führen zur Zerstörung des Immunprivilegs durch Interferon(IFN)-γ und schlussendlich zum Haarverlust. Die JAK-Inhibitoren blockieren diese Signale und setzen auf zwei Ebenen an: einerseits bei der T-Zell-Aktivierung und andererseits bei der Zerstörung des Immunprivilegs.

Vollständiges Nachwachsen der Kopfbehaarung

Ein heute 31-jähriger Patient leidet seit seinem 15. Lebensjahr unter Alopecia areata. Als bisherige Therapien sind DCP, PUVA und systemische Steroide bekannt. Im Februar wurde mit 4mg/d Baracitinib gestartet. Bereits nach 6 Monaten zeigte sich ein gutes Ansprechen (Abb. 2) „Wir konnten bei diesem Patienten ein vollständiges Nachwachsen der Kopfbehaarung innerhalb von 12 Monaten (Abb. 3) auch nach so langer Zeit beobachten“, resümiert Griss.

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Andreas Ebner (Medizinische Universität Wien)

Abb. 1

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Andreas Ebner (Medizinische Universität Wien)

Abb. 2

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Andreas Ebner (Medizinische Universität Wien)

Abb. 3

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Andreas Ebner (Medizinische Universität Wien)

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Andreas Ebner (Medizinische Universität Wien)

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Andreas Ebner (Medizinische Universität Wien)

Im Juni 2022 wurde der erste JAK-Inhibitor Baricitinib für die Therapie der Alopecia areata zugelassen. Eine Studie von King et al.1 zeigt selbst bei der therapierefraktärsten Gruppe – Betroffene, die bereits seit vielen Jahren unter Haarverlust leiden – immer noch eine Ansprechrate von knapp 40%. 2023 folgte Ritlecitinib, der zweite JAK-Inhibitor in dieser Indikation mit einem etwas anderen Wirkmechanismus (JAK3 und TEC).2 In puncto Ansprechen zeigt es ähnliche Wirkung wie Baricitinib. Da Ritlecitinib noch in keiner anderen Indikation zugelassen ist, ist es derzeit in Österreich allerdings noch nicht verfügbar.

Aber, unterstreicht Griss, man sollte auch die klassische Therapie – Methotrexat plus Steroid – nicht vernachlässigen. In einer neuen Studie von Joly et al.3 zeigte Methotrexat plus Low-dose-Prednison ein ähnlich hohes Ansprechen wie JAK-Inhibitoren von ca. 31%, wobei die Kriterien in dieser Studie strenger waren (komplettes Ansprechen). „Auch die klassischen Therapien sind in manchen Fällen wahrscheinlich ähnlich wirksam wie die modernen und viel teureren JAK-Inhibitoren.“

Abschließend betont Griss, dass die individuelle Beurteilung der Erkrankung stark variiert. „Die Klassifizierung der Schwere dieser rein kosmetischen Erkrankung ist eine Herausforderung, ebenso wie die Diskussion darüber, wann eine Therapie notwendig ist. Insgesamt erleben wir aufregende Fortschritte in der Behandlung dieser Erkrankung. Es gibt neue Therapieoptionen, aber auch neue He­rausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Kos­ten und der individuellen Risikobewertung.“

„Therapierevolution in der Behandlung entzündlicher Haarerkrankungen? Update zu neuen Therapien und Forschungsergeb­nissen“, Vortrag im Rahmen der Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Dermatologie und Venerologie (ÖGDV), Salzburg, 1.12.23

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum derma