WCD: Borrelia burgdorferi und Dermatoborreliosen
Spirochäten des Borrelia-burgdorferi-sensu-lato-Spezies-Komplexes (Borreliellae) werden durch den Stich von Schildzecken der Familie Ixodidae auf den Menschen übertragen und können dadurch Lyme-Borreliose (LB), die häufigste durch Vektoren vermittelte multisystemische Infektionskrankheit in der nördlichen Hemisphäre, verursachen. Die Inzidenz liegt abhängig vom betroffenen Land bei etwa 300 pro 100.000 Einwohnerinnen bzw. Einwohnern und Jahr in Europa und den USA. Österreich ist ein Hochendemiegebiet.
Die Lyme-Borreliose (LB) mit endemischen Foci in mehr als 80 Ländern manifestiert sich in drei Stadien: dem früh lokalisierten, dem früh disseminierten und dem späten Stadium. Die Stadien zeigen keine strenge Abfolge, vielmehr können Stadien übersprungen werden, sich überlappen oder lange symptomfreie Intervalle dazwischen liegen. In allen drei Stadien können sich Erkrankungen der Haut ausbilden, die zusammenfassend Dermatoborreliosen genannt werden und über 80% aller LB-Erkrankungen ausmachen. In ca. 15% der Fälle ist das zentrale und periphere Nervensystem betroffen, das muskuloskelettale System in ca. 10% und das Herz in weniger als 5%. Alle Manifestationen außerhalb der Haut werden dem früh disseminierten oder dem späten Stadium zugeordnet. Das Spektrum reicht von Meningitis, Radikuloneuritis und Hirnnervenparesen bis zu Polyneuropathie und selten Enzephalomyelitis oder zerebraler Vaskulitis bzw. von (chronischer) Arthritis bis zu einem AV-Block. Die frühen Stadien treten zwischen Frühjahr und Herbst auf, die Spätmanifestationen das gesamte Jahr über.
Verschiedene Borrelia-Genotypen von humanpathogener Bedeutung
Borrelia burgdorferi sensu lato repräsentiert eine Gruppe von etwa 20 eng verwandten Spezies innerhalb des Genus Borreliella (Klade Lyme Disease). Es besteht eine Beziehung zwischen den unterschiedlichen LB-Manifestationen, Borrelien-Spezies, deren geografischer Verteilung und ihren Vektoren (Tab. 1). Humanpathogene Bedeutung haben insbesondere Borrelia afzelii, welches für die meisten Dermatoborreliosen verantwortlich ist, weiters Borrelia garinii und Borrelia bavariensis in Europa sowie Borrelia burgdorferi sensu stricto in den USA. In endemischen Gebieten werden jährlich mehr als 10% der Bevölkerung von Zecken gestochen, die in 10–30% mit Borrelia burgdorferi infiziert sind. Es bedarf einer minimalen Anhaftungszeit von 24–36 Stunden für die Übertragung von Borrelien. Liegt diese über 48 Stunden, beträgt die Transmissionsrate annähernd 100%. Duale Infektionen mit Krankheitserregern wie Anaplasmen, Babesia, Francisella und FSME-Viren sind möglich.
Die Dermatoborreliosen umfassen das Erythema migrans, das Borrelien-Lymphozytom und die Acrodermatitis chronica atrophicans. In endemischen Regionen können auch primär kutane B- (und T-)Zell-Lymphome, die Morphea und die interstitielle granulomatöse Dermatitis durch Borrelien induziert sein.
Erythema migrans charakteristisch für frühe Lyme-Borreliose
Das Erythema migrans ist die charakteristische Manifestation der akuten/frühen LB und deren häufigste Form (80% aller Dermatoborreliosen). Es entwickelt sich nach einer medianen Inkubationszeit von zwei Wochen an der Stelle eines Zeckenstiches. Die Zeckenstichanamnese ist jedoch bei nur maximal zwei Drittel der Infizierten positiv. Milde, transiente grippale Symptome begleiten das Erythema migrans in ein bis zwei Drittel der Fälle, was nicht zwingend Hinweis für eine Borrelien-Dissemination sein muss. Trotz eines variantenreichen klinischen Erscheinungsbildes wird die Diagnose von praktischen Ärztinnen und Ärzten sowie Dermatologinnen und Dermatologen rein klinisch in 70–90% der Fälle korrekt gestellt.
Zu unterscheiden ist zwischen der solitär anulären Form (35%) und der solitär makulären Form (40%). Zweitere zeigt während des gesamten Krankheitsverlaufs keine zentrale Aufhellung. Nur in Ausnahmefällen stellt sich die manchmal als typisch beschriebene schießscheibenartige Form (bull’s eye) ein. Vereinzelt können atypische Formen vorkommen (Größe unter 5cm Durchmesser, inkompletter Ring, papuläre, vesikuläre oder hämorrhagische Note). Das disseminierte Erythema migrans ist als das Auftreten von mehr als einem Erythem in engem zeitlichem Zusammenhang definiert, wobei die mediane Gesamtzahl fünf nicht übersteigt. Diese Manifestation findet sich häufiger bei Kindern. 80% dieser Patientinnen und Patienten sind seropositiv. Ebenso kommen extrakutane Symptome öfter vor als bei der solitären Form. In den meisten Fällen liegt eine hämatogene Dissemination von Borrelien zugrunde, was sich klinisch im Auftreten eines typischen primären Erythems, gefolgt von sekundären, weniger inflammierten und kleineren Erythemen, widerspiegelt. Alternativ können multiple infektiöse Zeckenstiche oder eine lymphogene Ausbreitung verantwortlich sein. Man findet dann eher geclusterte Erytheme.
Borrelien-Lymphozytom
Das Borrelien-Lymphozytom ist eine subakute, lokalisierte, kutane Manifestation der LB und macht 5% der Dermatoborreliosen aus. Dieses B-Zell-Pseudolymphom findet sich ebenfalls häufiger bei Kindern. Bei diesen ist es in den allermeisten Fällen am Ohr auszumachen, während es bei Erwachsenen in über zwei Drittel der Fälle an der Brust auftritt. Die Zeckenstichanamnese ist bei etwa der Hälfte der Patientinnen und Patienten positiv, extrakutane Symptome treten bei weniger als zehn Prozent auf. Die Seropositivitätsrate liegt bei ca. 90%. Am Ohr imponiert das Borrelien-Lymphozytom als livid-rote, 2–4cm haltende, weiche Plaque meist am Ohrläppchen. An der Brust ist der Befund meist wenig eindrücklich. Man erkennt eine einseitige Volumen- und Konsistenzerhöhung mit dezenter Rötung.
Acrodermatitis chronica atrophicans häufig fehldiagnostiziert
Die Acrodermatitis chronica atrophicans ist die kutane Spätmanifestation der LB mit einer Prädisposition für das weibliche Geschlecht und ältere Personen. Bevorzugte Stellen sind die Streckseiten der (distalen) Extremitäten (80%). Die Betroffenen werden grundsätzlich häufig von Zecken gestochen, jedoch besteht meist keine aktuell korrespondierende Zeckenstichanamnese. Ein Erythema migrans geht der Acrodermatitis in rund 10% der Fälle meist Jahre voraus. Für die Diagnose ist eine IgG-Seropositivität unabdingbar. Die Acrodermatitis wird in über 80% der Fälle primär über mehrere Monate nicht korrekt diagnostiziert, was auf das eher unspezifische Erscheinungsbild zurückzuführen sein mag. Die häufigste Fehldiagnose ist die chronisch venöse Insuffizienz. Es leitet sich die klinische Regel ab, dass im Falle unscharf begrenzter, rot-blauer Schwellungen mit oder ohne Atrophiezeichen an den Extremitäten an eine Acrodermatitis gedacht werden muss. Eine verzögerte Diagnose ist nachteilig, weil sich bei je einem Drittel der Erkrankten zusätzlich eine Neuropathie und/oder Arthropathie entwickelt.
Aufgrund einer Persistenz von Borrelien in der Haut besteht keinerlei Selbstheilungstendenz. Stattdessen zeigt die Acrodermatitis eine langsame, chronische Progression über Monate bis Jahre von einem akut inflammatorischen in ein chronisch atrophes Stadium. Im Rahmen dieser Progression dehnt sich die Hautveränderung lokal aus, es kommt zu irreversiblen Schädigungen der Haut und ihrer Anhangsgebilde und zur Involvierung zusätzlicher Extremitäten. Bei mindestens einem Drittel der Infizierten ist mehr als eine Extremität betroffen. Durch den persistierenden antigenen Stimulus wird – wahrscheinlich durch Überexpression des profibrotischen Zytokins TGF-b – eine dermale Kollagensynthese angeregt. Diese mündet bei bis zu 20% der Patientinnen und Patienten in sklerodermiformen, bandartigen Veränderungen, z.B. als Ulnarband oder periartikuläre fibröse Knoten an den Ellenbögen und Knien.
Folgende Prinzipien der serologischen Diagnostik sind zu beachten:
Die Analyse von Anti-Borrelia-burgdorferi-IgG und -IgM-Antikörpern im Serum ist eine wertvolle unterstützende bzw. notwendige Maßnahme bei Borrelien-Lymphozytom (positiv in bis zu 90% der Fälle) und Acrodermatitis (in 100% positiv), beim Erythema migrans durch häufige falsch positive oder falsch negative Befunde jedoch von geringem Wert. Die Sensitivität der Polymerase-Kettenreaktion aus läsioneller Haut liegt bei maximal 70%, eine Kultivierung von Borrelien aus läsioneller Haut gelingt in maximal 40%, am ehesten aus dem Erythema migrans. Die standardisierte serologische Testung ist zweistufig („two-tier testing“), wobei der erste Schritt mittels eines ELISA-Tests mit höherer Sensitivität, aber eher niedriger Spezifität erfolgt. Der zweite Schritt wird im Falle eines positiven ELISA mittels Immunoblot durchgeführt. Letzterer Test ist nahezu 100% spezifisch und das Bandenmuster erlaubt außerdem eine approximative Diskriminierung des Infektionszeitpunkts. Zunehmend wird ein modifiziertes 2-Stufen-Testverfahren eingesetzt, nämlich die Kombination eines ELISA mit konservierten synthetischen Peptiden (C6/VlsE, C10/OspC), gefolgt von einem Ganzzell-ELISA. Damit verbessert sich die Sensitivität bei der frühen LB um fast 30%, ohne dass die Spezifität abnimmt.
Was das Management und die Diagnostik der Dermatoborreliosen anbelangt, ist festzuhalten, dass bei inkonklusivem klinisch-serologischem Befund des Borrelien-Lymphozytoms aufgrund etlicher möglicher Differenzialdiagnosen zusätzliche diagnostische Maßnahmen wie Histopathologie und Immunhistologie durchgeführt werden müssen. Bei der Acrodermatitis ist als dritte Säule neben Klinik und Serologie eine Histopathologie gefordert. Das Erythema migrans ist eine vorrangig klinische Diagnose.
Therapie der Borreliose
Die Therapie erfolgt mit Doxycyclin, Amoxicillin, Cefuroxim oder Azithromycin in den in Tabelle 2 dargestellten Dosierungen. Diese Medikamente sind in ihrer Wirkung weitestgehend gleichwertig und führen bei der frühen LB rasch zur vollständigen Abheilung der Hautveränderung. Extrakutane Symptome können bei ca. 20% der Erkrankten bis zu drei Monate persistieren. Die Abheilung nimmt beim Borrelien-Lymphozytom abhängig von Lebensalter und prätherapeutischer Krankheitsdauer 4–8 Wochen in Anspruch. Bei der Acrodermatitis persistieren Atrophie, Teleangiektasien und sklerodermiforme Veränderungen. Die Neuropathie spricht nur sehr verzögert und manchmal inkomplett an. Serologische Untersuchungen zur Kontrolle des Therapieerfolges sind ohne Wert. Therapiert wird im früh lokalisierten Stadium 10–14 Tage, im früh disseminierten Stadium 3–4 Wochen und bei den späten Manifestationen (wenigstens) 4 Wochen.
„Borrelia burgdorferi“, Vortrag im Rahmen des 25th World Congress of Dermatology (WCD), Singapur, 3.–8.7.23