
Update ADHS: Von der Kindheit bis ins Erwachsenenalter
ADHS ist eine häufige neurobiologische Entwicklungsstörung, die in der Kindheit beginnt und oft bis ins Erwachsenenalter fortbesteht. Die Störung beeinträchtigt verschiedene Lebensbereiche und geht häufig mit weiteren psychischen Erkrankungen einher. Neben genetischen Ursachen spielen auch Umweltfaktoren eine Rolle. Zur Behandlung werden Stimulanzien, Nicht-Stimulanzien und Psychotherapie – insbesondere kognitive Verhaltenstherapie – empfohlen.

ADHS zählt zu den neuronalen Entwicklungs- und Spektrumstörungen und kommt sowohl bei Kindern als auch bei Erwachsenen häufig vor. Betroffene mit ADHS leiden vor allem an der Symptomtrias Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität. Die Beschwerden treten in der Kindheit und somit vor der Pubertät auf und sind üblicherweise Lebensbereich-übergreifend (Schule/Studium, Privatleben, Hobbys etc.) vorhanden.
Betroffene haben große Schwierigkeiten, ihre Konzentration über längere Zeit bei einer Aufgabe zu halten. Sie sind leicht durch Reize oder Gedanken ablenkbar und oftmals abwesend oder verträumt. Prokrastination (i.e., das Aufschieben von Aufgaben bis zum letzten Moment) tritt häufig auf und geht mit oberflächlicher Bearbeitung von Aufgaben und Flüchtigkeitsfehlern einher.
Die meisten Betroffenen haben Schwierigkeiten mit der Alltagsstrukturierung und Organisation und besitzen oft ein schlechtes Zeitgefühl: Sie kommen zu spät oder übersehen Termine gänzlich. Das hyperaktive Verhalten definiert sich durch innere Unruhe und Ruhelosigkeit, Zappeligkeit als auch das übermäßige Bedürfnis, aktiv zu sein.
Impulsivität äußert sich in Schwierigkeiten abzuwarten, bis man an der Reihe ist, sowie im Hineinplatzen in Gespräche und Unterbrechen anderer. Es lässt sich insgesamt mit „action without reflection“ zusammenfassen.
Hinzu kommen Symptombereiche wie emotionale Dysregulation, Gedankenabschweifen (engl.: Mind Wandering) und Hyperfokus, welche mit zusätzlichen Schwierigkeiten für Patientinnen und Patienten einhergehen.
Die Beschwerden verursachen wiederkehrende Probleme, die von Mitmenschen mitunter negativ wahrgenommen werden. Misserfolg, Kritik oder Ablehnung führen in weiterer Folge häufig zu einem Selbstwertdefizit.
ADHS-Prävalenz ist weltweit ähnlich
ADHS ist eine der häufigsten neuropsychiatrischen Erkrankungen im Kindes- und Jugendalter. In unterschiedlicher Ausprägung setzt sich die Erkrankung meist im Erwachsenenalter fort. Die Prävalenzzahlen sind weltweit ähnlich, was darauf hindeutet, dass kulturelle Unterschiede einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Erkrankung haben.
5% der Kinder leiden an ADHS, im Erwachsenenalter ist das Syndrom bei 2,5% der Bevölkerung vorhanden. Bei Kindern wird ADHS häufiger bei Buben als bei Mädchen diagnostiziert (3:1). Zurückzuführen ist dies vor allem auf die bei Buben häufiger vorhandenen Verhaltensauffälligkeiten. Diese gehen mit Hyperaktivität und Impulsivität einher und sind damit auffälliger für das Umfeld. Mit dem Rückgang der Hyperaktivität und der emotionalen Reifung in der späten Adoleszenz und danach gleicht sich das Geschlechterverhältnis aus.
Verzögerte Reifung der grauen und weißen Substanz
ADHS ist eine neurobiologische Entwicklungsstörung. Langzeitstudien mit bildgebenden Verfahren zeigen, dass die Reifung der grauen und weißen Substanz bei Betroffenen mit ADHS in der Kindheit und Jugend verzögert erfolgt und erst im Erwachsenenalter allmählich der Normalpopulation ähnelt.
Klinisch deckt sich dies mit der Beobachtung, dass die Symptomatik üblicherweise in der Kindheit und Adoleszenz am stärksten ausgeprägt ist, was insbesondere mit der verzögerten Entwicklung von Frontal- und Temporallappen in Zusammenhang gebracht wird.
ADHS ist zu einem hohen Ausmaß erblich bedingt, wobei kein einzelnes Gen ausschlaggebend ist, sondern vielmehr eine Reihe von Genen, die jeweils eine geringe, aber in Summe jedoch bedeutende Auswirkung auf die Entwicklung von ADHS haben. Die Erblichkeit liegt bei zw. 70–80%. Umweltfaktoren wie familiäre Belastungen, Stress oder frühe Entwicklungseinflüsse sind ebenfalls für die Entwicklung von ADHS relevant, jedoch meist nicht die Hauptursache.
Die Autismusspektrumstörungen, das Tourette-Syndrom sowie die Zwangsstörung zählen wie ADHS zu den neuronalen Entwicklungsstörungen. Epidemiologische Studien zeigen, dass diese Erkrankungen häufig komorbid auftreten und in Kombination zu einer höheren Belastung für Patientinnen und Patienten sowie deren Umfeld führen.
Lebenslange Auswirkungen
Mit zunehmendem Alter nimmt die Symptomatik – insbesondere in der vollen Ausprägung als auch vor allem die Hyperaktivitit – tendenziell ab. Hingegen besteht aufgrund der Auswirkungen von ADHS eine Beeinträchtigung der Funktionalität als auch Leidensdruck in unterschiedlicher Ausprägung oftmals ein ganzes Leben.
Die Schwierigkeiten bei der Bewältigung von Alltagsaktivitäten führt zu individuellem Leid mit Auswirkungen auf Betroffene und deren Umgebung. Es ist wissenschaftlich belegt, dass Menschen mit ADHS oftmals Schwierigkeiten bei Sozialkontakten haben sowie häufiger Mobbing und traumatischen Ereignissen ausgesetzt sind.
Sie erzielen im Vergleich zur Normalpopulation in der Schule und im Studium schlechtere Leistungen, es kommt häufiger zu Schulabbrüchen und insgesamt zu schlechteren Bildungsverhältnissen. Dies hat negative Folgen auf die Berufsentwicklung und führt zu einer finanziellen Schlechterstellung.
Studien zeigen, dass es aufgrund der ADHS-Symptomatik und insbesondere des impulsiven Verhaltens gehäuft zu ungewollten Schwangerschaften und Unfällen kommt. Patientinnen und Patienten mit ADHS weisen eine erhöhte Morbidität, Mortalität und Suizidraten auf und kommen öfter mit dem Gesetz in Konflikt.
Für Betroffene besteht ein relevant erhöhtes Risiko, an weiteren psychischen und somatischen Erkrankungen wie Depression (uni- und bipolar), Angst- oder Suchterkrankungen zu entwickeln.
Geschlechterspezifische Unterschiede hinsichtlich Komorbiditäten wurden ebenfalls untersucht. Frauen mit ADHS leiden häufiger unter Depressionen, Angststörungen, Essstörungen und selbstverletzendem Verhalten. Männer zeigen eine höhere Häufigkeit von Substanzkonsum.
Psychopharmaka mit hohen Effektstärken
Bei der Therapie von ADHS werden Psychotherapie, Medikamente oder auch eine Kombination aus beiden empfohlen. Stimulanzien wie Methylphenidat oder Amphetamin als auch Nicht-Stimulanzien wie Atomoxetin besitzen im Vergleich zu den meisten anderen Psychopharmaka hohe Effektstärken. Sie haben vergleichsweise wenige Nebenwirkungen.
Medikamente gegen ADHS wirken über die dopaminerge und noradrenerge Neurotransmission. Dadurch wird die Informationsübertragung zwischen Neuronen und Netzwerken verbessert, was zu einer gesteigerten Konzentrationsfähigkeit und einer größeren inneren Ruhe bei den Betroffenen führt.
Guideline-konform wird nach Ausschluss von Kontraindikationen (die großteils relativ sind und nur in wenigen Fällen absolut bestehen) zunächst eine Behandlung mit langwirksamen Stimulanzien empfohlen. Die Dosierung sollte schrittweise titriert werden und ist von der individuellen Wirksamkeit und Verträglichkeit abhängig.
Sofern dies zu keiner oder nur zu einer unzureichenden Wirkung bzw. zu relevanten Nebenwirkungen führt, können Nicht-Stimulanzien eingesetzt werden oder Kombinationen aus lang- und kurzwirksamen Stimulanzien bzw. aus Stimulanzien und Nicht-Stimulanzien erwogen werden.
Ergänzend kann Psychotherapie (am besten untersucht ist die kognitive Verhaltenstherapie bei ADHS) darüber hinaus unterstützen, festgefahrene Denkmuster zu reflektieren und verändern.
Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP), Wien, 2.–5.4.2025