Männergesundheit: Vom Tabu zur Lifestyle-Frage
Während Frauen durch Gynäkologie und Vorsorge früh ans Gesundheitssystem angebunden sind, fehlt Männern ein solcher Fixpunkt. Beschwerden wie die erektile Dysfunktion oder Müdigkeit werden deshalb häufig übersehen – mit Folgen für die Herzgesundheit, warnt Männergesundheits-Experte Prof. Dr. Michael Eisenmenger.

„Dass Männer im Schnitt fünf bis acht Jahre kürzer leben, hat viel mit Verhalten und Lebensstil zu tun“, betont Prof. Dr. Michael Eisenmenger, niedergelassener Urologe in Wien und Bruck an der Leitha.
Verdeutlichen lässt sich das an der deutsch-österreichischen Klosterstudie: Während Nonnen eine ähnliche Lebenserwartung wie Frauen insgesamt hatten, lebten Mönche etwa ein bis zwei Jahre kürzer. Männer außerhalb klösterlicher verloren hingegen sogar fünf bis acht Lebensjahre im Vergleich zu Mönchen.
Neben Lebensstil und Risikoverhalten spielen aber auch biologische Faktoren eine Rolle. So macht Testosteron anfällig für Infektionen – ein Zusammenhang, der nicht zuletzt während der Covid-19-Pandemie sichtbar wurde. „Auch der Männerschnupfen ist nicht nur ein Scherz“, erklärt Eisenmenger. „Eine kanadische Studie konnte tatsächlich zeigen, dass Männer bei einem Atemwegsinfekt stärkere Symptome zeigen.“

Prof. Dr. Michael Eisenmenger
Männer beim Arzt – eine Frage der Kultur
Dass Männer Arztbesuche meiden, hat auch kulturelle Wurzeln. Auswertungen von Ordinationsbüchern aus dem 19. Jahrhundert zeigen etwa, dass damals wesentlich mehr Männer ärztliche Hilfe in Anspruch nahmen als Frauen. „Erst mit der Militarisierung, der Industrialisierung und der Erziehung zu Härte und Selbstverleugnung änderte sich das“, sagt Eisenmenger. „In der Nachkriegszeit war es der Wiederaufbau, der Männern abverlangte, ihre Bedürfnisse und ihre Gesundheit zurückzustellen. So wurde Männern über Jahrzehnte vermittelt, sie müssten ‚hart‘ gegen sich selbst sein“, so der Experte. Erst heute beginne sich dieses Bild langsam zu wandeln.
Ein weiteres Problem sei, dass Männer später und seltener Zugang zu medizinischer Versorgung suchen als Frauen. „Frauen haben durch die regelmäßige gynäkologische Vorsorge, die üblicherweise ab der ersten Regelblutung erfolgt, einen natürlicheren Zugang zum Arzt. Burschen hingegen fehlt ein vergleichbarer Fixpunkt – abgesehen von der einmaligen Stellungsuntersuchung im Jugendalter“, erklärt Eisenmenger. Er fordert daher regelmäßige Burschenuntersuchungen und ein institutionelles Einladungssystem zur Vorsorge – etwa zur PSA-Bestimmung ab 45 Jahren, ähnlich wie beim Mammografie-Screening, das in Österreich seit 2014 Standard ist.
Zusätzlich könnten Programme in Bildungseinrichtungen und Betrieben dazu beitragen, die Gesundheitsbewusstsein stärken. „Wir müssen Männer dort abholen, wo sie sind – in den Firmen, in der Schule, im Kindergarten. Erst wenn die Hemmschwelle sinkt, wird Vorsorge selbstverständlich.“
Auch politisch sei laut Eisenmenger die Männergesundheit lange vernachlässigt worden. Anfang der 2000er habe es im Sozialministerium unter Herbert Haupt eine Abteilung für Männerfragen gegeben – mit Themen von Vorsorge bis hin zu gesellschaftlichen Problemen wie Scheidung oder Sorgerecht. „Diese Grundsatzabteilung wurde später wieder eingestellt. Es wäre ein starkes Signal, wenn man so etwas heute wieder einführt – um zu zeigen, dass Männer mit ihren gesundheitlichen Anliegen ernst genommen werden.“
Penis als Antenne des Herzens
Besonders deutlich zeigt sich der Stellenwert der urologischen Männerberatung bei der erektilen Dysfunktion (ED). „Von einer ED sind laut Massachusetts Male Aging Study rund 48% aller Männer zwischen 40 und 70 Jahren betroffen – von gelegentlichen Problemen bis hin zum völligen Funktionsverlust.“
Diese sei nicht nur belastend für das Sexualleben des Mannes, sondern könnte auch ein Vorbote für eine sich anbahnende kardiovaskuläre Erkrankung sein. „Die Penisarterie hat nur ein bis zwei Millimeter Durchmesser. Ablagerungen machen sich hier viel früher bemerkbar als in den Herzkranzgefäßen“, erklärt Eisenmenger. Männer mit einer ED haben häufig drei bis fünf Jahre später einen Herzinfarkt.
„Die Erektionsstörung ist also ein Warnsignal, das man ernst nehmen sollte – der Penis ist wie eine Antenne des Herzens.“ Ärzte sollten daher gezielt nachfragen und bei Männern ab 40, die von Erektionsproblemen berichten, eine kardiologische Abklärung veranlassen.
„Testosteronersatzpräparate haben in der Drogerie nichts verloren“
Neben Vorsorgeuntersuchungen spricht sich Eisenmenger für mehr Aufmerksamkeit für die hormonelle Situation von Männern aus. Ab 40 sinkt der Testosteronspiegel jährlich um rund 1,2 bis 1,6% ab. Das kann mit Müdigkeit, Gereiztheit oder nachlassender Muskelkraft einhergehen.
Auch schlechter Schlaf und depressive Verstimmungen könnten ein Anzeichen für einen Mangel sein. „Ein einfacher Hormonstatus kann Klarheit schaffen“, so der Urologe. Neben der pharmakologischen Substitution lässt sich die Testosteronproduktion auch mit Lebensstilmaßnahmen unterstützen. Dazu zählt Eisenmenger Lebensstilmaßnahmen wie Kraft- und Ausdauertraining, Gewichtsreduktion und ausreichenden Schlaf.
Klar ist für Eisenmenger: „Eine Hormonersatztherapie gehört in die Hände der Andrologen und erfahrenen Urologen, die auch die Nachsorge übernehmen.“ In der Drogerie hätten Testosteronersatzpräparate jedenfalls nichts verloren.
Urologische Probleme auch bei Frauen oft zu spät bemerkt
Das Beispiel Blasenkrebs zeigt, dass die Früherkennung urologischer Erkrankungen nicht nur ein Männerthema ist. „Wir sehen immer wieder, dass Frauen monatelang wegen vermeintlicher Harnwegsinfekte behandelt werden, bevor man die richtige Diagnose stellt“, warnt Eisenmenger.
Bei wiederkehrenden Beschwerden sollte daher frühzeitig eine Blasenspiegelung zur Abklärung erfolgen. „Da Rauchen ein wesentlicher Risikofaktor ist und der Tabakkonsum unter Frauen zunimmt, steigt leider auch ihre Blasenkrebsrate.“