Eagle-Syndrom: Ungewöhnliches Krankheitsbild mit scheinbar gewöhnlichen Symptomen
Halsschmerzen, Heiserkeit und/oder extreme Kopfschmerzen: wer denkt dabei an eine Seltene Erkrankung? Besonders Hausärzte und Fachärztinnen für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten sollten allerdings vom Eagle-Syndrom gehört haben.

Für Nora Sophie Aigner bedeutet die Krankheit bislang unter anderem eine lange Zeit der Stimmlosigkeit, mehrere Operationen und tägliche Behandlungen. Dabei wäre das Eagle Syndrom – sobald diagnostiziert - operativ gut behandelbar, betont der Salzburger HNO-Facharzt Dr. Richard Salomon.
Vor rund zehn Jahren traten bei der damals 21 Jahre alten Nora Sophie Aigner starke Schmerzen im Bereich Kopf, Gesicht, Hals- und Nacken auf. Nach extremer Heiserkeit und Schwierigkeiten beim Schlucken verlor sie schließlich ihre Stimme ganz.
„Ich war bis dahin immer gesund und dachte zunächst, ich hätte eine schlimme Grippe“, berichtet die Niederösterreicherin im Gespräch mit medonline.at. Als sich jedoch die Symptome über Wochen und Monate nicht besserten, Schlafstörungen und ein „Gefühl als ob der Schädel platzt“, hinzukamen und kein Arztbesuch oder medikamentöse Therapie Erleichterung brachten, fühlte sie sich zunehmend verloren. „Die Arztgespräche fanden nur mit Hilfe meiner Eltern statt, irgendwann wurden meine Symptome sogar als psychisch bedingt abgetan.“

Dr. Richard Salomon
Am Gespräch mit Aigner nimmt auch Dr. Richard Salomon teil. Er ist Oberarzt Universitätsklinikum für Hals-Nasen-Ohrenkrankheiten der Paracelsus Medizinischen Privatuniversität in Salzburg sowie in niedergelassener Praxis. Auf Tumorchirurgie spezialisiert, hat Salomon mittlerweile etwa 20 Patientinnen und Patienten mit Eagle-Syndrom behandelt.
Nora Sophie Aigner kannte er vor dem Gespräch zwar noch nicht, kann die Situation jedoch gut nachvollziehen. „Im Prinzip wäre die Erkrankung recht rasch zu diagnostizieren, wenn Hausärztinnen oder HNO-Fachärzte daran denken. Viele Betroffene erleben lange diagnostische Irrwege, die zu keiner Lösung führen. Sie erhalten über Jahre hinweg Schmerzmittel ohne Erfolg“, sagt Salomon.
Klinische Untersuchung zur Diagnose
Die von Aigner beschriebenen Symptome wären typisch – oder auch nicht. Denn die Erkrankung weist ein breites Symptom-Spektrum auf (siehe Kasten "Fakten-Check"). Darum werde sie oft erst spät oder auch gar nicht diagnostiziert.
„An der Klink haben wir Erfahrungen mit rund 50 Patientinnen und Patienten innerhalb von zehn Jahren. Das ist nicht viel und daher ist es kaum verwunderlich, wenn viele Kollegen selbst im HNO-Bereich die Erkrankung nicht kennen“, sagt Salomon.
Auffindbar wäre das Eagle-Syndrom jedoch leicht durch Druck ventral der Tonsillenloge sowie durch ein CT. „Der beim Eagle-Syndrom verlängerte oder falsch positionierte Processus styloideus kann zu Kontaktschäden an Nerven oder Gefäßen führen“, ergänzt Salomon. Damit lassen sich etwa Probleme beim Schlucken erklären, wenn die entsprechenden Nerven in Mitleidenschaft gezogen werden.
Für die Patientin Aigner war es ein langer Weg, bis sie zur Diagnose kam. Bei der ersten OP wurde dann allerdings nicht genügend vom verlängerten Processus styloideus entfernt. Daher mussten bei ihr bislang insgesamt vier Operationen durchgeführt werden. Die Vernarbung und Folgen der ersten beiden Operationen rufen bis heute Komplikationen hervor. „Wäre bei mir sofort der richtige Operationszugang gewählt worden, wäre ich vermutlich schon geheilt“, sagt Aigner . Insgesamt sind rund 70 Ärztinnen und Ärzte in ihren Fall involviert gewesen, die meisten darunter ratlos, schildert Aigner.
Psychosoziale und körperliche Folgen
Obwohl sie über Jahre keine Stimme hatte, gelang es ihr das schon vor der Diagnose begonnene Lehramtsstudium in Französisch und Psychologie barrierefrei abzuschließen. Aufgrund ihrer Erkrankung ist es jedoch derzeit nicht absehbar, wann sie ins Berufsleben einsteigen kann.
In ihrer Diplomarbeit untersuchte sie in einer weltweiten Befragung die psychosozialen Auswirkungen des Eagle-Syndroms. „Kernergebnis der Untersuchung ist die Aussage, dass es mit der zunehmenden Zahl an Arztbesuchen zu Entfremdung, sozialer Isolation und Einsamkeit kommt. Manche Betroffene erhalten sogar Zuschreibungen wie Persönlichkeitsstörungen“, fasst Aigner zusammen.
Während es Salomon als Kopf-Hals-Chirurg gewohnt ist, sich mit Patienten zu verständigen, die aufgrund ihrer Erkrankung nicht sprechen können, räumt er ein, dass gerade die Sprachlosigkeit im Verbund mit Schmerzen für Patienten und Patientinnen selbst „eine Katastrophe“ ist. Schließlich ist Sprache ist unser wichtigstes Mittel, um mit anderen in sozialen Kontakt zu treten.
Wissenswert ist laut Salomon zudem, dass sich das Eagle-Syndrom wie andere schmerzhaften Erkrankungen stressbedingt nachteilig auf die Immunität auswirkt. Häufige Infekte sind die Folge. Auch für Nora Sophie Aigner besteht diese Herausforderung. Infektionen mit EBV oder Herpes zoster führten zu wochenlangen bettlägrigen Episoden, Fatigue und anhaltende Kopfschmerzen erschweren ihren Alltag, auch wenn es ihr immer wieder gelungen ist, zu Kräften zu kommen.
Eagle-Syndrom in Fachkreisen thematisieren
Für Aigner genauso wie für Facharzt Salomon steht daher eine erhöhte Awareness oben auf der Wunschliste. Das Eagle-Syndrom müsste auch bei Fachkongressen besprochen werden, meint Salomon. „Wenn man es kennt, dann wäre es einfach, die Verbindung von den Symptomen zur Diagnose – und damit zur raschen wirksamen Behandlung – herzustellen.“ Zudem bräuchten Ärztinnen und Ärzte die nötigen Zeitressourcen, um einem ungewöhnlichen Krankheitsbild nachzugehen, ergänzt Aigner.
Fakten-Check: Eagle-Syndrom
Das nach von Watt Eagle 1937 erstmals beschriebene Syndrom umfasst Schmerzen und andere Beschwerden, die durch einen verlängerten Processus styloideus oder eine Verknöcherung des Ligamentum stylohyoideum entstehen.
Das klassisches Eagle-Syndrom mit Schmerzen im Rachen, Fremdkörpergefühl und Schluckbeschwerden entsteht oft nach einer Tonsillektomie.
Das Stylo-carotid Artery Syndrome durch Druck auf die Halsschlagader hervorgerufen wird, Kopfschmerzen, Schwindel oder Durchblutungsstörungen sind mögliche Folgen.
Eine dritte Form ist das Eagle Jugular Syndrome mit Kompression der Vena Jugularis Interna.
Die Häufigkeit des Eagle Syndroms liegt bei 0,16 Prozent, wobei Frauen häufiger betroffen sind, vor allem zwischen 30 und 50 Jahren.
Die Diagnose erfolgt durch die klinische Untersuchung: Drücken auf die Tonsillenloge kann den Schmerz auslösen. Ein CT zeigt die genaue Länge und Lage sowie den Kontakt zu Gefäßen.
Schmerzmittel wirken meist nur vorübergehend, die Operation gilt daher als Methode der Wahl, wobei die transorale Styloidectomy oft bevorzugt wird, da keine Narbe entsteht. Sie gilt aber als technisch schwieriger und birgt ein höheres Infektionsrisiko. Die externe (cervikale) Styloidectomy bietet bessere Sicht und ist bei Gefäßbeteiligung sicherer.
In verschiedenen Studien zeigt sich, dass bei 50 bis 90 Prozent der Betroffenen nach der Operation die Beschwerden nachlassen oder ganz verschwinden.
„Stimme der Hoffnung“
Nachdem Nora Sophie Aigner aufgrund des Eagle Syndroms lange Zeit nicht sprechen konnte, erklärte sich spontan eine Reihe prominenter Persönlichkeiten bereit, ihr in einem Video ihre Stimme zu leihen, darunter etwa Christina Stürmer oder Julian Le Play. „Die Idee dazu hatten Freunde von mir, und es war beeindruckend, wie viel Resonanz von den Künstlern kam.“ Außerdem fand Aigner durch die Sprachlosigkeit zum kreativen Schreiben, motiviert vom Autor und Politiker Franz-Joseph Huainigg.
Ihr erstes Buch trägt den Titel „Stimme der Hoffnung“. im Juli dieses Jahres erschien der zweite Band mit dem Titel „.. weil ich jeden Morgen an dich denke“. Präsentiert wird ihr neues Buch am 5. Dezember 2025 in der Waldviertler Kammerbühne.
Mittlerweile hält die Patientin und Autorin auch Lesungen, wobei sie ihr Arzt Dr. Kurt Gold auf dem Klavier musikalisch begleitet. Derartige Projekte verlangen ihr zwar körperlich viel ab, zugleich möchte Aigner damit anderen Betroffenen Kraft und Hoffnung geben.
Auch auf ihrer Website www.norasophie.at gibt sie aus Patientensicht Tipps und Hilfestellungen zum Eagle-Syndrom.
