Wenn Kinder über Bauchschmerzen klagen
Chronische Bauchschmerzen treten bei Kindern häufiger auf als akute. Ärzte stehen oft vor diagnostischen Herausforderungen, da kleine Kinder ihre Schmerzen nicht genau beschreiben können und diese oft auf den Bauch projizieren. Es gibt keine speziellen Leitlinien von Fachgesellschaften der Pädiatrie oder Kinderchirurgie.

Bei einer Fortbildungsveranstaltung* stellte PD Dr. Rainer Kubiak, Kinderchirurg am Ostschweizer Kinderspital in St. Gallen, die wichtigsten Differenzialdiagnosen bei Kindern und Jugendlichen mit Bauchschmerzen vor.
Gefährliches akutes Abdomen
Etwa acht bis zehn Prozent der Kinder, die notfallmäßig ins Krankenhaus kommen, haben akute Bauchschmerzen. Die Ursache kann sowohl intra- als auch extraabdominal liegen.
Das akute Abdomen ist der gefährlichste Zustand. Ohne Behandlung drohen Organverlust und Tod. Ursachen können Infektionen, Ischämien oder Blutungen sein. Betroffene Kinder haben plötzlich sehr starke Bauchschmerzen, oft verbunden mit Übelkeit und Erbrechen.
Alter und Schmerzanamnese sind diagnostisch relevant
„Beachten Sie bei der Diagnose aber nicht nur die Symptome, sondern vielmehr das Alter des Kindes“, empfahl Dr. Kubiak. „Denn es gibt in jedem Lebensalter typische Differenzialdiagnosen.“
Eine Pylorusstenose zeigt sich in der 3. bis 6. Lebenswoche mit schwallartigem Erbrechen. Bei galligem Erbrechen im Säuglingsalter muss ein Volvulus ausgeschlossen werden. Häufig bei Kleinkindern hingegen sind Invaginationen oder inkarzerierte Leistenhernien, während bei Schulkindern die Appendizitis typisch ist. Bei Jugendlichen stehen Ovarial- bzw. Hodentorsionen unter den Differenzialdiagnosen.
Auch die Schmerzanamnese ist wichtig. „Fragen Sie die Kinder, ob die Schmerzen immer gleich sind oder mehr und weniger werden“, riet Dr. Kubiak. Denn bei einer Perforation sind die Schmerzen konstant, während ein An- und Abschwellen eher auf eine Kolik hinweist.
Allerdings ist die Beurteilung der Abwehrspannung ist bei Kindern oft schwierig, da ihre Bauchmuskulatur noch nicht ausgeprägt ist. Indirekte Zeichen bei Neugeborenen sind ein schlappes Kind, angezogene Beine, Blässe und Schreien.
Appendizitis ist typisch bei Schulkindern
Appendizitis tritt häufig bei Schulkindern auf, kann aber in jedem Alter vorkommen. „Vor allem bei Kleinkindern sind Perforationen häufig“, berichtete Dr. Kubiak.
Er verwies auch auf das PIMS (Pediatric Inflammatory Multisystem Syndrome), das nach Covid-19-Infektionen auftreten kann und oft wie eine akute Appendizitis aussieht. Die Diagnose im Ultraschall ist schwierig, und es kommt nicht selten zu unnötigen Laparotomien. „Fragen Sie nach Viruserkrankungen in der Familie“, riet Dr. Kubiak.
Bei Gastroenteritis wies Dr. Kubiak darauf hin, dass betroffene Kinder häufig ins Krankenhaus geschickt werden, wobei diejenigen mit leichter bis mittlerer Dehydratation oft ambulant behandelt werden können. „Achten Sie auf die Trinkmenge, Urinausscheidung und den klinischen Zustand“, sagte er. Kriterien für eine Dehydratation sind:
- ein schlechter Allgemeinzustand,
- trockene Schleimhäute,
- reduzierter Hautturgor,
- eingesunkene Augen,
- Tachykardie,
- langsame Kapillarfüllung und
- das Fehlen von Tränen.
Schwer dehydrierte Kinder benötigen intravenöse Flüssigkeit, während andere ambulant bleiben können.
Als Faustregel gilt eine Trinkmenge von mindestens 100 ml Flüssigkeit pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag. Wenn das Kind fertige Elektrolytlösungen nicht trinkt, können Eltern selbst eine herstellen: Auf einen Liter Wasser kommen 4–5 Esslöffel Zucker und ein Teelöffel Salz. Die Lösung soll kalt, schluckweise und häufig getrunken werden. „Ondansetron wirkt sehr gut. Im Krankenhaus geben wir es ab einem Jahr“, sagte Dr. Kubiak.
Ischämie kann akutes Abdomen auslösen
Neben Infektionen kann auch eine Ischämie ein akutes Abdomen auslösen. Beispiele sind ein Volvulus oder eine Invagination.
Je älter das Kind, desto häufiger gibt es einen Grund für die Invagination, z. B. ein Meckel-Divertikel, eine Darmduplikatur oder einen Tumor (Lymphom). Bei Migranten sollte man auch eine Sichelzellanämie als mögliche Ursache in Betracht ziehen. Zudem warnte er: „Vergessen Sie nicht, das Genitale anzuschauen. Auch eine Hodentorsion oder eine inkarzerierte Leistenhernie können ein akutes Abdomen verursachen“.
Verletzungen sollten ebenfalls berücksichtigt werden. „Schicken Sie Kinder und Jugendliche mit Prellmarken, z.B. nach einem Sturz mit dem Fahrrad, ins Spital. Die Symptome nehmen oft erst nach 24 Stunden zu“, sagte Dr. Kubiak.
Er wies auch darauf hin, seltene Ursachen im Blick zu behalten: „Kleinkinder können Fremdkörper verschluckt haben. Machen Sie im Zweifel ein Röntgen.“
Bauchschmerzen können auch andere Gründe haben, z. B. eine Streptokokken-Angina. „Schauen Sie den Kindern in den Mund“, riet Dr. Kubiak.
Weitere Ursachen sind diabetische Ketoazidose, Pneumonie oder Menstruationsbeschwerden.
Periodische Bauchschmerzen bestehen bei drei Schmerzepisoden innerhalb von drei Monaten, die so stark sind, dass sie das Kind von der normalen Aktivität abhalten. In den meisten Fällen bleibt die Ursache unklar, aber in bis zu zehn Prozent der Fälle steckt eine organische Erkrankung dahinter.
Warnzeichen für eine organische Ursache sind:
- Bauchschmerzen nach dem Essen,
- Fieber,
- Erbrechen,
- Blut im Stuhl,
- Schmerzen im Schlaf,
- Harnwegsinfekte sowie
- Gelenkprobleme oder
- Augenprobleme.
Die Kinder sind oft schlank und nehmen nicht zu. „Es gibt viele Differenzialdiagnosen, aber: Häufiges ist häufig, Seltenes ist selten“, sagte Dr. Kubiak. „Denken Sie an Zöliakie und machen Sie eine entsprechende Antikörper-Diagnostik. Die Kinder können auch schrittweise auf unterschiedliche Lebensmittel verzichten.“
Steigende CED-Inzidenz in westlichen Ländern
Dr. Kubiak wies darauf hin, dass die Inzidenz von chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED) in westlichen Ländern stark ansteigt. Genetische Prädisposition, Umwelteinflüsse und die westliche Ernährung spielen dabei eine wesentliche Rolle.
Neben Colitis ulcerosa und Morbus Crohn gibt es auch Mischformen, die sogenannte unklassifizierte CED.
Ein guter diagnostischer Parameter ist das fäkale Calprotectin. Ein erhöhter Wert weist auf eine CED hin, kann aber auch bei anderen Ursachen erhöht sein. Bei Blut im Stuhl sollte man es nicht bestimmen, da dies das Ergebnis verfälscht.
Bei funktionellen gastrointestinalen Erkrankungen gibt es keine strukturelle oder biochemische Ursache. „Dennoch sind diese Kinder krank“, betonte Dr. Kubiak. Ihre Lebensqualität ist schlecht und die Krankheit wirkt sich oft auf die gesamte Familie aus.
Funktionelle Bauchschmerzen klassifiziert man nach den ROME-Kriterien. Die aktuelle Version unterscheidet zwischen Erkrankungen bei Säuglingen, Kleinkindern und Jugendlichen. Es gibt klare Definitionen für verschiedene Erkrankungen, z.B. funktionelle Dyspepsie, Reizdarmsyndrom oder abdominelle Migräne.
„Forschungen haben gezeigt, dass es nachweisbare Korrelate bei den Betroffenen gibt“, erklärte Dr. Kubiak. So zeigt sich die Amygdala im MRT bei Patienten mit funktionellen Darmerkrankungen anders als bei Gesunden. Zudem sind die Substanz P bei den Patienten erhöht und die Schmerzrezeptoren im Darm vermehrt. „Funktionelle Darmerkrankungen sind also nicht nur Psychologie, sondern es steckt etwas dahinter“, so Dr. Kubiak. Was den Betroffenen hilft? „Hypnotherapien wirken gut, und auch Probiotika kann man probieren“, empfahl Dr. Kubiak.
* FomF Hausarzt Fortbildungstage, «Differenzialdiagnostik Bauchschmerzen im Kindesalter», 6. März 2025, St. Gallen