
Okuläre Manifestationen der Borreliose
Schwerwiegende okuläre Beteiligungen der Lyme-Borreliose sind zwar selten, aber in endemischen Gebieten keineswegs eine Rarität. So sollten etwa neu aufgetretene Doppelbilder, eine Sehminderung bei gleichzeitiger Fazialisparese oder eine persistierende Konjunktivitis aufhorchen lassen und die entsprechende Diagnostik nach sich ziehen.

Zeckenstiche stellen in Österreich eine bedeutende Gesundheitsgefährdung dar – sowohl durch virale als auch bakterielle Erreger. Der Gemeine Holzbock (Ixodes ricinus) ist ab Temperaturen von etwa 7°C aktiv und durch milde Winter häufig bereits ab Februar unterwegs. Besonders betroffen sind die Steiermark, Kärnten, Nieder- und Oberösterreich.

Zecken können überall lauern, sie kennen keine Stadtgrenzen. Nicht nur klassisch bei Schwammerlsuchern, sondern auch bei Stadtmenschen sollte man an Borreliose denken!
Laut AGES wird die jährliche Borreliose-Inzidenz mit etwa 135–300 pro 100.000 Einwohner angegeben, mit geschätzten 25.000–70.000 Fällen pro Jahr in Österreich – die Dunkelziffer dürfte aber noch deutlich höher sein, da es keine Meldepflicht gibt.
Im Gegensatz dazu ist die Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME) meldepflichtig. Durch eine Impfrate von immerhin 80–90% in Endemiegebieten konnten schwere Verläufe signifikant reduziert werden. Für die Lyme-Borreliose existiert aber weiterhin keine Schutzimpfung. Daher kommt einer frühzeitigen Diagnosestellung durch gezielte klinische Aufmerksamkeit entscheidende Bedeutung zu.
Im Fokus dieses Beitrags steht die Lyme-Borreliose nicht nur mit ihren gut bekannten systemischen Manifestationen, sondern auch mit den teils schwerwiegenden okulären Beteiligungen. Diese sind zwar seltener, in endemischen Gebieten jedoch keineswegs Raritäten. Wegen ihrer interdisziplinären Schnittstellen stellen sie eine diagnostische Herausforderung dar.
Systemische Manifestationen der Borreliose
Die Lyme-Borreliose verläuft klassisch in drei Stadien:
- Frühstadium (Stadium I): Das Erythema migrans ist Leitsymptom, tritt aber nur bei rund 60–70% der Betroffenen auf. Fieber, Abgeschlagenheit, Myalgien und Lymphadenopathien begleiten das Bild recht häufig.
- Früh disseminiertes Stadium (Stadium II): Etwa 4–16 Wochen nach Infektion können neurologische (z.B. Bannwarth-Syndrom, Fazialisparese), kardiologische (Myokarditis, AV-Block) oder muskuloskelettale Symptome (Arthritis, Sehnenreizungen) auftreten. Meningitis oder radikuläre Schmerzen sind dabei typische Zeichen einer Neuroborreliose.
- Spätstadium (Stadium III): Monate bis Jahre später können noch chronische Arthritiden, Polyneuropathien, Hautveränderungen (z.B. Akrodermatitis chronica atrophicans) oder neurokognitive Beschwerden auftreten. Persistierende Fatigue-Symptome ähnlich wie nach COVID wurden ebenfalls beschrieben.
Okuläre Manifestationen – von Konjunktivitis bis Neuroretinitis
Obwohl okuläre Manifestationen insgesamt recht selten bleiben, können Borrelien auch das Auge invadieren. Dies geschieht manchmal bereits recht früh, häufig jedoch im disseminierten oder späten Stadium.
Häufige Befunde sind:
- Konjunktivitis – bei etwa 7–10% in der Frühphase, oft selbstlimitierend
- Keratitis – interstitiell oder auch ulzerativ mit Neovaskularisation; gelegentlich schmerzhaft oder visusmindernd
Entzündliche Beteiligungen äußern sich als:
- Uveitis (Uveitis anterior bis Panuveitis) – diese tritt in Fallserien teils in bis zu 50% bei okulärer Borreliose auf.
- Chorioretinitis – selten isoliert; Verlauf meist günstig unter Antibiotika plus Steroid.
- Optikusneuritis und Neuroretinitis – teils bilateral; kann mit Sehminderung, Gesichtsfeldausfällen und Kopfschmerz einhergehen.
Weitere ophthalmologische Symptome sind Diplopie, Ptosis, Nystagmus, cotton-wool spots sowie Netzhautvaskulitis. Sogar arterielle oder venöse Gefäßverschlüsse am Augenhintergrund wurden beschrieben.
Differenzialdiagnostisch müssen demnach andere entzündliche oder infektiöse Ursachen in Betracht gezogen werden, insbesondere sollte man denken an:
- Multiple Sklerose (Optikusneuritis),
- Sarkoidose (granulomatöse Uveitis),
- Syphilis (Neuroretinitis, Vaskulitis),
- Tuberkulose, Toxoplasmose, Herpesviren.
Diese Diagnosen lassen sich anhand von Anamnese, Serologie, Bildgebung und Liquoranalyse differenzieren.
Warnzeichen aus der Praxis und Diagnostik
Aus augenärztlicher Sicht sollten folgende Warnzeichen an eine okuläre Borreliose denken lassen:
- Neu aufgetretene Doppelbilder oder Sehminderung bei gleichzeitiger Fazialisparese
- Papillenschwellung unklarer Genese
- Rezidivierende oder therapierefraktäre Uveitis
- Persistierende Konjunktivitis ohne bakterielle Ursache
- Unilaterale Netzhautveränderungen bei jungen, systemisch sonst gesunden Personen
Für die Diagnostik ist insbesondere die Serologie von Bedeutung. Der Antikörpernachweis erfolgt in zwei Stufen (ELISA + Western Blot). Ein Test alleine ist nicht beweisend.
Bei schweren/neurologischen Symptomen kommt die Liquoruntersuchung zum Einsatz. Diagnostisch bedeutsam sind hier CXCL13, Oligoklonale Banden und Pleozytose.
Eine PCR aus dem Kammerwasser des vorderen Augenabschnittes kann bei atypischer Uveitis angedacht werden, hat jedoch eine recht geringe Sensitivität.
Bildgebende Verfahren wie Optische Kohärenztomographie (OCT), Fluoreszenzangiographie (FAG) oder Magnetresonanztomographie (MRT) sind bei einer Papillitis oder bei vaskulären Ereignissen indiziert.
Interdisziplinarität bei Diagnose und Therapie gefragt
Hausärztinnen und Hausärzte sind oft erste Ansprechpartner für Symptome einer Borreliose – auch bei okulärer Beteiligung. Sie können Frühzeichen erkennen (z.B. therapierefraktäre Konjunktivitis, Fazialisparese).
Augenärztinnen und -ärzte sind diejenigen, die Sehnerv- und Netzhautbefunde entdecken und damit die Verdachtsdiagnose liefern.
Fachärztinnen und -ärzte für Innere Medizin und Neurologie sind schließlich für Liquordiagnostik, Bildgebung und Therapieplanung zuständig. Eine effiziente Kommunikation verhindert redundante Abklärungen und ermöglicht einen raschen Therapiebeginn ohne Zeitverlust.

Interaktion zwischen unterschiedlichen Fachrichtungen ist bei Borreliose essenziell.
Die Therapie richtet sich nach dem Stadium bzw. den betroffenen Organen: Im Frühstadium kommen Doxycyclin oder Amoxicillin oral für 14–21 Tage zum Einsatz. Bei Neuroborreliose bzw. bei Borreliose mit okulärer Beteiligung ist Ceftriaxon i.v. 2 g/Tag für 14–21 Tage indiziert. Eine begleitende Therapie mit Kortikosteroiden unter Antibiotikaschutz ist bei Uveitis oder Papillitis ist dann notwendig und engmaschige Verlaufskontrollen werden empfohlen – vor allem hinsichtlich Visus und Entzündungsaktivität.
Fallbericht: Wenn das Auge den entscheidenden Hinweis liefert
Eine 54-jährige Patientin (guter Allgemeinzustand, keine Vorerkrankungen) stellte sich im Mai mit einer isolierten, linksseitigen Fazialisparese beim Hausarzt vor – ohne Fieber, ohne Erythema migrans, ohne erkennbare neurologische Ausfälle.
Die Überweisung zur HNO-Ärztin und Augenärztin sowie an die Klinik für Neurologie ergab zunächst keinen pathologischen Befund, und somit konnte zunächst keine Ursache gefunden werden.
Auch die Bildgebung (MRT) blieb unauffällig. Aufgrund anhaltender subjektiver Sehstörungen (Verschwommenheit linksseitig) erfolgte nach einigen Wochen schließlich die erneute Zuweisung an einen Augenfacharzt.
Bei dieser augenärztlichen Untersuchung zeigte sich eine unilaterale Papillenschwellung links mit begleitender Optikusneuritis. Fundusbild und OCT bestätigten eine diskrete, aber eindeutige Papillitis – ein Befund, der retrospektiv mit der Fazialisparese in Zusammenhang gebracht werden konnte.
Aufgrund der endemischen Herkunft und des unklaren Befundmusters wurde kurzfristig eine Liquordiagnostik veranlasst.
Die Lumbalpunktion ergab eine lymphozytäre Pleozytose, erhöhte CXCL13-Werte sowie intrathekale Borrelien-spezifische Antikörper. Die Diagnose lautete daher: akute Neuroborreliose mit okulärer Beteiligung.
Die Patientin erhielt eine 14-tägige intravenöse Therapie mit Ceftriaxon sowie begleitend systemische Kortikosteroide unter antibiotischem Schutz. Bereits nach 10 Tagen besserte sich die Sehleistung deutlich, die Papillenschwellung klang vollständig ab. Auch die Fazialisparese bildete sich innerhalb von ca. vier Wochen vollständig zurück. Sechs Monate später war die Patientin beschwerdefrei, die Visuswerte waren beidseits normal.
Dieser Fall mit erfreulichem Ausgang unterstreicht, wie wichtig interdisziplinäres Denken und ein strukturierter diagnostischer Zugang sind.
Der augenärztliche Befund war in diesem Fall – trotz unauffälliger Bildgebung und fehlender Frühzeichen – letztlich der Schlüssel zur Diagnose. Besonders in Endemiegebieten sollte die Borreliose also stets Teil der Differenzialdiagnose bei unklarer Fazialisparese und Papillitis sein.
Fazit für die Praxis
- Die okuläre Borreliose ist selten, aber potenziell visusbedrohend.
- In Endemiegebieten sollte bei unklaren Entzündungen, Papillenschwellung oder Hirnnervenparesen stets an eine Borreliose gedacht werden.
- Die Diagnose erfordert klinisches Gespür, gezielte Laboranalysen und eine interdisziplinäre Herangehensweise.
- Bei rechtzeitiger Behandlung ist die Prognose in der Regel gut.
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