
Mechanischer Stress für die Haut
Machen Hautirritationen oder chronische Wunden auch nur vorübergehend das Tragen einer Prothese unmöglich, so bedeutet dies eine drastische Einschränkung von Lebensqualität und Mobilität. Hautreinigung und Pflege sind von ebensolcher Bedeutung wie die optimale Anpassung der Prothese.

In Österreich leben derzeit nach Schätzungen zwischen 30.000 und 40.000 Menschen mit Amputation – nicht eingerechnet sind dabei Zehen- und Fingeramputationen. Zusätzlich dazu gibt es ca. 800 bis 1.000 Menschen mit Dysmelie, die auf prothetische Hilfsmittel angewiesen sind. 2021 wurden rund 2.600 Amputationen der unteren Extremität vorgenommen. Weitaus seltener sind Amputationen der oberen Extremität, die 2021 bei 40 Patientinnen und Patienten notwendig wurden (1).
Der ehemalige Para-Snowboarder und nunmehrige Experte für Handprothetik bei Ottobock Patrick Mayrhofer ist einer davon. Er trägt eine myoelektrische Handprothese. Seine linke Hand wurde nach einem Stromunfall amputiert. Dank der Hochtechnologie kann er mit Prothese etwa zielgerichtete Greifbewegungen ausführen. Aufmerksamkeit schenkt Mayrhofer aber nicht nur der Steuerung seiner Prothese, sondern auch der Hautpflege im Bereich des Stumpfes.
Regelmäßiges Duschen und Waschen des Stumpfes sowie die Reinigung und Desinfektion des Schaftes, wo sich etwa Hautpartikel ansammeln, gehören zur täglichen Routine. Wie er im Podcast PARA:Sport von MedTriX und dem ÖPC berichtet (2), habe er bis auf entzündete Haarfollikel bislang glücklicherweise noch keine Probleme gehabt.
Ganz anders dagegen erging es einer jungen Patientin. Nach einem Autounfall musste ein Bein amputiert werden, und sie erhielt eine hochmoderne Prothese. Eine chronisch infizierte Wunde konnte jedoch trotz vielfacher Behandlungsversuche nicht zur Heilung gebracht werden. Das machte das Tragen der Prothese unmöglich, sodass die junge Frau weitgehend auf einen Rollstuhl angewiesen war.
Hautfunktion entscheidend für die Prothese
László Gelányi ist Physiotherapeut und Case Manager und auf Neurorehabiliation sowie Therapie nach Amputationen spezialisiert. Er traf die Patientin, deren Wunde vermutlich auf multiresistente Milben zurückzuführen gewesen sein dürfte. Durch Kontakt mit einer Produktspezialistin aus einem Arzneimittelunternehmen wurde eine auf natürlichen Substanzen basierte Salbe hergestellt. Diese erzielte schon in kurzer Zeit eine Besserung.
„Diese Geschichte ist ganz typisch. Sie war für mich der Anlass, mich näher mit dem Thema Hautpflege bei Prothesenträgern zu befassen“, schildert Gelányi. Er kann auch auf Erfahrungen aus der Orthopädietechnik zurückgreifen. Gemeinsam mit seiner Gattin gründete er in Ungarn das Unternehmen Rehabskincare, das eng mit Medizinern und Pharmazeuten zusammenarbeitet. Das Unternehmen ist mit der Produktlinie OP.Rehab.Skincare auch auf Stumpfpflege nach Amputationen spezialisiert.
„Der Technik wird im Bereich der prothetischen Versorgung höchstes Augenmerk geschenkt, die Stumpfpflege aber noch immer vernachlässigt“, meint Gelányi. Dabei muss die Haut von Prothesenträgern oft starken Belastungen standhalten. Besonders Patientinnen und Patienten mit Beinprothesen müssen lernen, wie sie mechanischen Stress für die Hautpartien reduzieren.
Die wasserfesten Materialien des Schaftes – meist Silikon oder Polyurethan – schaffen zudem ein Klima, dass die Thermo- und Feuchtigkeitsregulation der Haut negativ beeinflusst, woraus wieder eine erhöhte Anfälligkeit für Hautirritationen und Wunden resultiert. Auch das Trockenhalten von Prothese und Schaft ist essenziell, unterstreicht der Akademische Wundmanager Gerhard Ollatsberger (2).
Sorgsame Pflege und Behandlung
Zusätzliche Herausforderungen entstehen durch die Narbenbildung, die oft erst eineinhalb Jahre nach der Amputation abgeschlossen ist, sowie mitunter die Notwendigkeit von Bandagierungen. „Rund 85 Prozent der amputierten Personen haben Diabetes mellitus und daher Probleme mit der Durchblutung“, ergänzt Gelányi.
Auch die Ernährung, gastrointestinale Störungen und psychische Belastungen stellen die Hautfunkton zusätzlich auf die Probe. Sie erfordern daher ein ganzheitliches und multiprofessionelles Management.
Die häufigsten Hautsymptome im Stumpfbereich sind Entzündungen und Schwellungen im Zusammenhang mit abnormer Narbenbildung oder Hautirritationen infolge von Reibung und Druck durch die Prothese. Auch eine überschießende Schweißbildung und/oder ein schlecht sitzender Prothesenschaft rufen Komplikationen hervor. Bei Infektionen ist das Spektrum der möglichen Erreger breit und reicht von Streptokokken über Pilze und Milben bis hin zu multiresistenten Erregern.
„Betroffene sind daher gefordert, ihre Haut ganz besonders zu beachten. Dazu gehört vor allem die gründliche Reinigung, um Schweiß und andere Rückstände zu entfernen und das Infektionsrisiko zu verringern.“ Die Hautpflege sollte zudem der mechanischen Belastung Rechnung tragen, wobei die verwendeten Produkte jedoch möglichst keinen Film auf der Hautoberfläche hinterlassen sollten, wie es etwa bei Parabenen oder Silikon-Derivaten der Fall ist, erklärt Gelányi. Ein solcher Film stört die Aufnahme anderer Substanzen und behindert bei myoelektrischen Prothesen zudem die Signalübertragung zwischen Muskel und Technik.
- Österreichischer Amputiertenverband: beinunslaeufts.at
- PARA:Sport Folge 3: Prothesen im Parasport mit Patrick Mayrhofer bzw. Folge 17: Hautpflege im Parasport mit Gerhard Ollatsberger