Gentherapien als Hoffnungsträger
Gentherapien stellen eine neue Option für die Behandlung seltener Erkrankungen dar. Sie können die Lebensqualität Betroffener erheblich verbessern, andererseits muss man die Erwartungen realistisch halten. Über die Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Gentherapien wurde im Vorfeld des 17. Rare Diseases Dialog diskutiert.

„In der Praxis dauert es oft viele Jahre, bis Patienten mit seltenen Erkrankungen eine korrekte Diagnose und eine spezifische Therapie erhalten“, stellt Dr. Sylvia Nanz, Medical Director Pfizer Corporation Austria und Co-Chair PHARMIG Standing Committee Rare Diseases fest. Rund 80 Prozent der seltenen Erkrankungen sind genetisch bedingt. Gentherapien stellen eine besondere Chance bei der Behandlung dar. „Mit den Gentherapien haben wir die Möglichkeit, an der Ursache der Erkrankung anzusetzen und nicht nur die Symptome zu behandeln“, so Dr. Nanz. Im besten Fall gelingt es, ein nicht funktionierendes Gen durch ein funktionierendes zu ersetzen. Das bedeutet keine Heilung, aber ein Stopp oder die Verlangsamung des Fortschreitens der Erkrankung. „Veränderungen am Gen können unterschiedlich sein, d.h. es wird nie die eine Gentherapie für alle Betroffenen geben, sondern man muss immer unterschiedliche Ansätze wählen“, erklärt Dr. Nanz.
Wenn die seltene Erkrankung exakt auf einem Gen liegt, ist sie am ehesten für eine Gentherapie geeignet, aktuelle Kandidaten sind etwa Hämophilie A und B oder die Duchenne-Muskeldystrophie. Dies trifft allerdings nur auf eine kleine Untergruppe von Erkrankungen zu.Bei vielen anderen ist es weit komplizierter und bei der Mehrzahl noch keine Therapie möglich. Je früher eine vorhandene Therapie eingesetzt wird, umso besser ist es. Denn wenn die Erkrankung schon weit fortgeschritten ist, sind bereits zu viele irreversible Schäden entstanden.
Beispiel einer erfolgreichen Gentherapie
Gute Erfahrungen mit Gentherapie hat Prof. Priv.-Doz. Dr. Markus Ritter, Leiter der Spezialambulanz für erbliche Netzhauterkrankungen – Ophthalmogenetik, MedUni Wien, bereits gemacht. Die erste Gentherapie für die Untergruppe der RPE65-assoziierten Netzhautdystrophie, einer ultra-rare disease, von der in Österreich nur 45 Personen betroffen sind, wurde 2018 zugelassen. 2020 wurden damit erstmals Patienten am AKH Wien erfolgreich behandelt – es ist keine Heilung, aber eine Besserung der Nachblindheit und Lebensqualität möglich und bereits ein Monat nach der Behandlung feststellbar.
Prof. Ritter weist darauf hin, dass für eine solche Therapie umfangreiche Vorarbeiten zu leisten sind. Betroffene wurden davor über Jahre genetisch untersucht. Ein Register wurde aufgebaut, und dann geeignete Patienten für die Behandlung identifiziert. Außerdem braucht es entsprechende Infrastruktur (z.B. Geräte für Untersuchungen), eine zertifizierte Apotheke, speziell ausgebildete und zertifizierte Ärzte und den Austausch mit anderen Zentren, die bereits Erfahrung haben.
Trotz dieses Erfolges verweist der Experte allerdings auch auf die Grenzen von Gentherapien: „In den nächsten fünf Jahren werden noch zwei bis drei solcher Genaugmentationstherapien eingesetzt werden können, während die große Mehrzahl der Erkrankungen nicht behandelbar ist.“
Zugang und Akzeptanz der Gentherapie
Um die Wirkungen von Interventionen zu messen, braucht es Studien mit ausreichend großen Fallzahlen. Die geringen Fallzahlen bei seltenen Erkrankungen machen es aber schwierig, ausreichend Daten und Patienten für klinische Studien zu bekommen. Deshalb ist eine enge Zusammenarbeit zwischen Zentren und Experten wichtig. Auch auf internationaler Ebene, da die Ressourcen in Österreich beschränkt sind. „Es sollte sichergestellt werden, dass unsere Patienten Zugang zu diesen neuartigen Therapien haben und auch in Zukunft haben werden.“ Das fordert Univ.-Prof. Tanja Stamm, Leiterin des Institute for Outcomes Research, MedUni Wien, und des Ludwig Boltzmann Institute for Arthritis and Rehabilitation. Sie betont auch, dass die Betroffenen meist sehr interessiert daran sind, an Studien teilzunehmen und eine Gentherapie zu erhalten. Die Skepsis gegenüber Gentherapien ist hingegen eher in der Allgemeinbevölkerung weit verbreitet.
Diese Akzeptanz von Betroffenen unterstreicht auch Martina Rötzer, Obfrau SMA (Spinale Muskelatrophie) Patientenvertretung Österreich. „Sie sind dankbar, dass es eine Therapie gibt, die ja oft auch lebensrettend ist.“ Nach ihrer Erfahrung sind Patienten oft von sich aus aktiv. Die Betroffene holen selbst Informationen ein, um etwa in Studien aufgenommen zu werden. Sie würden sich aber auch wünschen, dass man aktiv an sie herantritt bezüglich Inklusion in Studien, neuer Therapieoptionen oder eines Therapiewechsels.
Awareness muss steigen
Der Weg zur Diagnose einer seltenen Erkrankung ist meist ein sehr langer. Die Patienten sind nicht leicht zu identifizieren sind und es braucht oft mehrere Anläufe, bis sie an ein tertiäres Zentrum überwiesen und dort entsprechend abgeklärt werden. Mehr Kommunikation und Aufklärung sind daher nötig, um die Awareness für seltene Erkrankungen zu erhöhen. „Ärzte sollten bei unklarer Diagnose rechtzeitig daran denken, dass es sich um eine seltene Erkrankung handeln könnte, und sollten wissen, an welche Stelle sie die betroffenen Patienten im Verdachtsfall verweisen können“, betont Dr. Nanz. Auch Veröffentlichungen zum Thema können zu erhöhter Awareness beitragen. „Je mehr publiziert und geforscht wird, desto mehr steigt auch die Awareness für seltene Erkrankungen. Und auch bei vielen Studierende bemerke ich ein Interesse an diesem Thema“, gibt Prof. Stamm einen positiven Ausblick.
Aufklärungsbedarf besteht aber auch in der breiten Bevölkerung, um Angst, Unsicherheit und Vorbehalte gegenüber innovativen Technologien wie der Gentherapie abzubauen. „Die Wissenschaftsskepsis ist in Österreich besonders stark ausgeprägt und man kann ihr nur mit gezielter Aufklärung entgegenwirken“, meint Martin Moder, PhD, Molekularbiologe und Science Buster. Je nach Zielgruppe müsse man dafür unterschiedliche Kommunikationsstrategien anwenden.
Pressegespräch „Gentherapie: Was es für Betroffene bedeutet, wenn bahnbrechende Innovation auf bestehende Strukturen trifft“, Wien, 14.5.2025