The Hall of Fame
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Dr. Ulrike Stelzl
Kassenärztin für Allgemeinmedizin
in Graz
Wir haben eine schöne Wohnung mit Möbeln und Teppichen, mit denen wir gerne wohnen. Und wir haben das Arbeitszimmer des Göttergatten. Dieses Arbeitszimmer ist mit Dingen möbliert, die wir teilweise aus dem Kinderzimmer, der Studentenbude und den diversen WGs mitgeschleppt haben. Beim Einzug in diese Wohnung haben wir das als Übergangslösung gesehen. Fest entschlossen, ordentliche Einrichtungsgegenstände zu kaufen, wenn wir wieder Zeit und Geld dafür hätten.
Das war vor fünfzehn Jahren. Mittlerweile ist uns klar geworden, dass auch dieses Arbeitszimmer den Beweis dafür erbringt, dass es im Leben nichts so Permanentes gibt wie ein Provisorium. Und uns ist klar, dass dieses Zimmer so bleiben wird, bis man uns ins Altersheim trägt. Vielleicht kriegen wir dann sogar das eine oder andere Regal noch mitgeliefert, damit wir uns dort besser zu Hause fühlen.
Potthässliche Staubfänger
Zu Beginn des neuen Jahres haben wir den jährlichen Großputz vollbracht. Dabei sind wir zwangsläufig auch irgendwann ins Arbeitszimmer gelangt. Und haben unseren Blick auch auf die Bürokästen geworfen. Denn dort ganz oben aufgereiht lagern wir die Trophäen, es fungiert auch als "Hall of Fame". Auf der einen Seite stehen die Pokale, die mein Mann im Laufe seiner Sportlerkarriere auf diversen Karate-Turnieren gewonnen hat. Die Dinger sind potthässliche Staubfänger, aber irgendwie wollen wir uns nicht davon trennen.
Auf der gegenüberliegenden Kastenreihe stehen Trophäen anderer Art. Staub fangen sie auch, ihre Existenzberechtigung muss also wieder einmal evaluiert werden. Drei Dutzend leere Flaschen zieren die Oberfläche der Bürokästen unter der Zimmerdecke. "Schau mal, das war der Prosecco von unserer Hochzeit. Und das war der Dom Perignon, den mir mein Opa geschenkt hat, als ich Patho mit Auszeichnung bestanden hab. Und da, der Barbaresco, den uns Lella geschenkt hat. Weißt du noch, wie schön der Monte Rosa war? Ma, und da in Chassagne Montrachet war’s vielleicht heiß. Mei und da, der Rose aus Cilaos auf Reunion. Grauslich war der, aber die machen dort jedes Jahr nur ein paar Flaschen von ihren verhutzelten Trauben an steilen Vulkanhängen!"
Einige dieser Flaschen haben eine Geschichte, andere hatten einfach nur sensationellen Wein oder Champagner enthalten. Nostalgie traf auf das Bedürfnis, auszumisten und frischen Wind im neuen Jahr hereinzulassen. Wir behielten die "Meilensteine" unserer persönlichen Geschichte, und der Rest wanderte in den Container. Wie zwei Alkoholiker am Tag der guten Vorsätze wanderten wir mit großen Müllsäcken ans Straßeneck.
Vorsätze brauchen wir auch neue. Ob sie gut sind, wird sich weisen. Und vor allem, ob sie uns guttun werden. Bisher war uns klar: Wir arbeiten hart und viel (zu viel). Wir haben unser ganzes Leben lang Sport gemacht und bewegen uns noch immer. Natürlich langsamer und nicht mehr mit Betonung auf Schnellkraft, sondern mit Betonung auf: "Was geben der Rücken und die Gelenke heute her, das mach ma." Unsere Blutfette waren immer im Normbereich, Zucker und Leberwerte einwandfrei. Aber zu unserem Leben hat seit vielen Jahren auch der Genuss gehört. Ein schönes Essen, ein toller Wein. Und je grauer und trister die Zeiten waren, je schwerer die Last auf den Schultern, desto schöner war es, einen Ausflug ins Lieblingsrestaurant zu machen. Sich von köstlichen Düften verzaubern zu lassen und statt über Probleme über Geschmackskompositionen zu sprechen. Und das alles begleitet von einer guten Flasche.
Kamillentee statt Wein
Wenn man sich die neuen Empfehlungen zum gesunden Leben ansieht, ist es nun vorbei mit solchen Dingen. Wein ist auch in Maßen genossen nicht mehr in medizinischen Empfehlungen zu finden. Seine Eigenschaft als Zellgift überdeckt all den Benefit der enthaltenen Antioxidanzien.
Sein Suchtpotenzial ist stärker als die Bereicherung, die durch Genuss, Freude, Entspannung und geselliges Miteinander entsteht. Die Assoziationen, die schönen Erinnerungen an besondere Plätze, besondere Menschen und spezielle Augenblicke im Rahmen einer Reise irgendwo auf diesem Planeten lassen sich bestimmt auch mit Kombucha oder Kamillentee irgendwie herbeiführen. Und was das Essen anbelangt, werden wir auch umdenken müssen. Gesunde Mischkost mit Betonung auf Gemüse alleine wird nicht mehr auslangen. Unser Cholesterinspiegel entspricht plötzlich nicht mehr der aktuellen Norm. Wir werden also die Besuche im Lieblingsrestaurant streichen müssen und dann als Nächstes den Gang zum Lieblingsitaliener.
Daheim gibt’s Fleisch nur mehr für das Katertier. Und wahrscheinlich werden diese Maßnahmen unser LDL trotzdem nicht auf 70 senken. Also wird es als Beilage zum grünen Salat ein Statin geben müssen. Denn incipiente weiche Plaques beginnen sich in den Carotiden zu bilden. Früher war das in unserem Alter normal. Heute können wir etwas dagegen tun. Nicht nur können, wir müssen auch. Es besteht die Verpflichtung zur Primärprävention.
Der Auftrag lautet: mit freien Carotiden und einer sonografisch homogenen Leber ins Altersheim eingecheckt zu werden (und vielleicht noch mit einem uralten Bücherregal).