Was Community Nursing bringt
Community Nurses übernehmen Aufgaben, für die in der allgemeinmedizinischen Praxis oft keine Zeit ist: ausführliche Gespräche, soziale, medizinische und pflegerische Beratung, Gesundheitsförderung sowie Vernetzung und Vermittlung zwischen Patienten und Gesundheitsdienstleistern. Im ÖGAM-Infotalk erklärte Maria Williams, Community Nurse in Hart bei Graz, inwiefern die Allgemein- und Familienmedizin von Community Nursing profitieren kann.
„Die demographische Entwicklung stellt eine große Herausforderung für die medizinische Versorgung von Patientinnen und Patienten dar“, weiß Maria Williams, die seit Dezember 2022 als eine von rund 260 Community Nurses im Rahmen des gleichnamigen EU-Projekts (siehe Kasten) tätig ist.
Fehlende Prävention und Gesundheitsförderung, ein Dschungel an Angeboten und die hohe Belastung der pflegenden Angehörigen machen Projekte wie dieses dringend notwendig, sagt sie. Als Community Nurse in Hart bei Graz ist Williams zentrale Ansprechperson in all diesen Belangen, sie vernetzt Patientinnen und Patienten mit Leistungserbringern und koordiniert unterschiedliche Leistungen und Therapien. Auch das Organisieren von Veranstaltungen zu Gesundheitsthemen sowie von sozialen Treffpunkten für Seniorinnen und Senioren gehört zu ihren Aufgaben. „Das große Ziel ist der Verbleib älterer Menschen im eigenen Zuhause so lange wie möglich – durch Stärkung der Selbsthilfe der Betroffenen und deren An- und Zugehörigen.“
Wie arbeiten Community Nurses? Den theoretischen Hintergrund bildet das „Public Health Intervention Wheel“, das 2019 im Minnesota Department of Health entwickelt wurde. Es fokussiert auf drei Ebenen: das Individuum und dessen Familie, die Community (das kann etwa die Gemeinde oder Stadt sein, aber auch z. B. eine Personengruppe, die sturzgefährdet ist oder Diabetes hat) und das System an sich, etwa die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen. „Es geht also auch darum, Bedarf und Bedürfnisse zu identifizieren und an die Politik heranzubringen“, erklärt Williams das Konzept.
Herrn F. fehlt es an Kommunikation
Wie Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner gut mit Community Nurses zusammenarbeiten können und inwiefern diese von der Zusammenarbeit profitieren, veranschaulicht Maria Williams anhand einiger Patientenfälle: Herr F. hat eine Herz- und Niereninsuffizienz, Diabetes und Depressionen. Er wird von einer 24-Stunden-Hilfe betreut und ist medizinisch gut versorgt. Allerdings kommt er immer wieder in die Praxis, weil es ihm an sozialen Kontakten und an Kommunikation fehlt. Er trauert um seine vor drei Jahren verstorbene Frau und leidet unter der Einsamkeit. Frau Williams stattet Herrn F. einige Hausbesuche ab, um ihn besser kennenzulernen und herauszufinden, wie sie ihm weiterhelfen kann. Mittlerweile kommen ihn zwei ehrenamtliche Seniorinnen regelmäßig besuchen, um mit ihm „in seiner Muttersprache“ zu kommunizieren. Auch wurde eine der beiden 24-Stunden-Betreuerinnen ersetzt, weil es zwischen Herrn F. und ihr „einfach nicht klappte“. Darüber hinaus nimmt der alte Herr nun regelmäßig an dem von Maria Williams veranstalteten Mittagstisch und somit wieder am gesellschaftlichen Leben teil. Der ständige Gang zur Praxis gehört der Vergangenheit an, die praktische Ärztin ist entlastet.
Wenn es an Wissen und Verständnis mangelt
Manchmal fehlt es aber auch schlicht an medizinischem Wissen und Verständnis bei den Patientinnen und Patienten. In diesem Fall kann die Community Nurse als Wissensvermittlerin auftreten und damit die allgemeinmedizinische Praxis entlasten. Gerade bei chronischen Erkrankungen wie Diabetes ist das wichtig. „Hier geht es oftmals darum, Informationen zur Krankheit, zu deren Folgen und zur notwendigen Medikation für die Patientinnen und Patienten herunterzubrechen“, sagt Williams und berichtet von einem ihrer Klienten, bei dem sie als Vermittlerin aufgetreten ist: Der alte Herr lebte allein, hatte keine häusliche Unterstützung und war aufgrund chronischer Schmerzen stark mobilitätseingeschränkt. Die Allgemeinmedizinerin hatte ihm zwar Schmerzmittel verschrieben, die wollte der Patient aber nicht nehmen, weil er sich vor einer Verschlechterung der Leberwerte fürchtete. Williams erklärte ihm nach Rücksprache mit der Ärztin, wie wichtig für ihn die Schmerztherapie ist, um seine Mobilität und Autonomie zu erhalten. Es wurde ein Termin mit der Ärztin vereinbart, bei dem alles noch einmal besprochen wurde. Seither nimmt der Patient seine Medikamente, und es geht ihm gut.
EU-Projekt Community Nursing
- Umsetzung im Rahmen des österreichischen Aufbau- und Resilienz-Plans des
Bundesministeriums - Finanziert von der Europäischen Union, NextGenerationEU (RRF)
- Verwaltet durch die Gesundheit Österreich GmbH (GÖG)
- Gemeinde, Städte und Sozialhilfeverbände konnten sich bewerben
- Laufzeit: 2022–2024 (Ausbaustufe 1)
- 116 Projekte österreichweit
- Ca. 260 Community Nurses (Diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger (DGKP) mit einem Minimum von zwei Jahren Berufserfahrung)
- Hauptzielgruppe: Menschen 75+, zuhause lebend mit pflegenden Angehörigen
- Ende dieses Jahres erfolgt die Evaluierung durch die GÖG und die FH Kärnten.
In einigen Bundesländern erfolgt der Übergang in die Ausbaustufe 2 des Projekts. So übernimmt etwa in der Steiermark das Land eine 60-prozentige Finanzierung, die restlichen 40 Prozent werden von den Gemeinden gestemmt. In anderen Bundesländern droht dem Projekt hingegen das Aus, so Maria Williams im Gespräch.
„Hallo, ich glaube, das
wäre etwas für mich!“
Herr L. zum Beispiel leidet an Demenz, ist stark mobilitätseingeschränkt, lebt alleine zuhause und lehnt jede häusliche Versorgung ab. Er hat einen transurethralen Dauerkatheter und entwickelt ständig Harnwegsinfekte. Den Weg zur Allgemeinmedizinerin findet er selten allein. Herr L. befindet sich in einer prekären Situation, sowohl was die Hygiene, die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme als auch was die sozialen Kontakte und die medizinische Versorgung betrifft. Er hinterlässt Maria Williams eines Tages eine Sprachnachricht mit nur einem Satz: „Hallo, ich glaube, das wäre etwas für mich!“ Seither ist er allerdings für die Community Nurse nicht erreichbar, zuhause trifft sie ihn auch nicht an. Als sie schließlich über die Allgemeinmedizinerin und das örtliche Pflegeheim Kontakt zum Sohn aufnehmen kann, verschafft ihr dieser Zutritt zu dem Haus, wo sie Herrn L. völlig verwirrt vorfindet. Er hatte wieder einen HWI entwickelt und musste dringend ins Spital. Williams: „Dieses Beispiel zeigt, wie wichtig die Vernetzung zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens ist.“
Pflegende Angehörige stehen oft vor dem Burnout
Manchmal beschäftigen die Community Nurse gar nicht die Patientinnen und Patienten selbst, sondern deren Angehörige. Frau H. pflegte bereits seit vielen Jahren ihren demenzkranken Mann. Sie schläft kaum noch, hat nie Zeit für sich selbst und fürchtet sich vor der Zukunft. Sie ist schlicht verzweifelt und steht kurz vor einem Burnout, wie viele pflegende Angehörige. Auch in diesen Fällen kann die Community Nurse helfen – vor allem mit ausführlichen Gesprächen und einer guten Beratung, welche Optionen es zur Unterstützung gibt. Herr H. ist mittlerweile im Pflegeheim, weil es zuhause nicht mehr ging. Frau H. besucht ihren Mann jeden Tag, sie hat wieder mehr Zeit für sich, und es geht ihr wesentlich besser.
Die Versorgung von Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen lässt sich durch die Zusammenarbeit von Community Nurses mit der Allgemeinmedizin und anderen Gesundheitsdienstleistern deutlich verbessern, ist Maria Williams überzeugt. Durch die gegenseitige Unterstützung lassen sich Lücken an Informationen schließen und Risikofaktoren minimieren. Während es den Hausärztinnen und -ärzten nicht immer möglich ist, lange Gespräche zu führen, können Community Nurses zu den Patientinnen und Patienten nachhause fahren und eine professionelle Nähe zu ihnen aufbauen. „Dadurch erfahre ich Dinge, von denen eine Hausärztin oder ein Hausarzt nichts weiß“, erzählt Williams aus ihrem Alltag. Mit dem Einverständnis der Patientinnen und Patienten könne sie diese Informationen auch den behandelnden Ärzten kommunizieren.
Zum Schluss ermutigte Williams die Kolleginnen und Kollegen aus der Allgemeinmedizin: „Machen Sie sich schlau, ob es in Ihrer Gemeinde oder Stadt eine Community Nurse gibt, nehmen Sie Kontakt mit ihr auf, streben Sie einen regelmäßigen Austausch an und geben Sie sich gegenseitiges Feedback, um die Zusammenarbeit zu verbessern. Davon profitieren nicht nur die Patienten, sondern auch Sie als behandelnde Ärzte!“