13. Juni 2024Im Gespräch

Gezielte Aktivierung von braunem Fettgewebe: Ein neuer Ansatz zur Fettverbrennung?

Es ist sehr wahrscheinlich, dass braunes Fettgewebe eine wesentliche Rolle bei der Entstehung von Übergewicht spielt. Zudem scheint es Unterschiede in der Neigung zu Übergewicht zwischen verschiedenen Menschen zu erklären. Im Gespräch erläutert PD Dr. Tim Hollstein, Clinician Scientist am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel, welche neuen Erkenntnisse es auf dem Gebiet der Adipositasforschung gibt.

Nahaufnahme von braunem Fettgewebe
supansa/AdobeStock

CliniCum innere: Herr PD Dr. Hollstein, Sie befassen sich mit dem Thema Adipositas. Worum drehen sich Ihre Forschungen genau?

Tim Hollstein: Ich forsche zum Thema Übergewicht, weil mich schon immer interessiert hat, warum manche Menschen essen können, so viel wie sie wollen, ohne dick zu werden, und andere den Kuchen sprichwörtlich nur anschauen müssen und um übergewichtig zu werden. Diese unterschiedlichen Stoffwechselarten sind im Volksmund bereits bekannt, beispielsweise als langsamer oder schneller Stoffwechsel. Allerdings fehlte bislang die wissenschaftliche Basis. Um diesem Phänomen weiter auf den Grund zu gehen, habe ich mich dazu entschieden, in die USA, eines der Länder mit der höchsten Prävalenz an Adipositas, zu gehen. An den National Institutes of Health (NIH), die einen Ableger in Phoenix, Arizona, haben, schloss ich mich einer Forschungsgruppe an. Der NIH-Ableger wurde in den 1950er Jahren dort gegründet, da in der Region um Phoenix eine Gruppe von Native Americans (Pima-Indianer) heimisch ist, die eine besonders hohe Prävalenz an Adipositas und Diabetes aufweisen. Die Wissenschaftler dort haben also eine große Erfahrung auf dem Gebiet der Stoffwechselforschung.

PD Dr. Tim Hollstein ist Facharzt für Innere Medizin und Endokrinologie und Clinician Scientist am Institut für Diabetologie und klinische Stoffwechselstörung, Campus Kiel des Universitätsklinikums Schleswig-Holstein, und beschäftigt sich intensiv mit der Prävention und Therapie von Adipositas und Fettstoffwechselstörungen.

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Michel Buchmann

Wie genau haben Sie den Stoffwechsel erforscht?

Die meisten Forschungsarbeiten der letzten Jahre zu Adipositas konzentrierten sich auf die Energieaufnahme. Bislang wurde jedoch nur wenig im Bereich des Energieverbrauchs geforscht, was wir dann getan haben. Dazu haben wir sogenannte Stoffwechselkammern benutzt. Dies sind kleine Räume mit einem Bett, einer Toilette und auch einem Fernseher, in denen sich Menschen für 1–2 Tage aufhalten können. Die Probandinnen und Probanden erhielten das Essen über eine Schleuse. Die Räume waren hermetisch abgeriegelt, sodass die Ein- und Ausatemluft der Teilnehmenden während des Aufenthalts in den Räumen präzise gemessen werden konnte. Auf diese Weise ließ sich ihr Energieverbrauch während des Aufenthalts in den Räumen exakt bestimmen.

Im Rahmen der Studie wurden 2 Experimente durchgeführt, um den Organismus zu stressen. Im ersten Experiment wurde den Teilnehmenden für 24 Stunden Nahrung entzogen, im zweiten Experiment wurde ihnen für 24 Stunden eine doppelt so große Menge Nahrung zugeführt. Die Ergebnisse zeigten, dass die Stoffwechselreaktionen der Probandinnen und Probanden sehr unterschiedlich waren. Einige Menschen senkten ihren Stoffwechsel beim Fasten sehr stark ab, konnten ihn aber bei der Überernährung nicht erhöhen. Diese Menschen weisen einen sogenannten sparsamen Stoffwechseltyp auf. Andere Menschen hingegen können ihren Stoffwechsel stabil halten, während sie fasten, sodass er nicht abfällt. Während der Überernährung steigt er jedoch sehr stark an. Diese Menschen weisen einen sogenannten verschwenderischen Stoffwechseltyp auf. Wir konnten zeigen, dass Menschen mit verschwenderischem Stoffwechseltyp mehr aktives braunes Fettgewebe besitzen.

Was ist braunes Fettgewebe (und was macht es so besonders)?

Die Kenntnis über braunes Fett ist in der Bevölkerung nur unzureichend vorhanden. Neben dem weißen Fett, welches als „Batterie“ des Körpers bezeichnet wird und in Form von Triglyceriden Energie speichern kann, existiert auch sogenanntes braunes Fett, die zweite wichtige Fettart in unserem Körper. Dieses speichert keine Energie, sondern verbrennt sie, um Wärme zu erzeugen. Es kann als die Heizung unseres Körpers betrachtet werden. Säugetiere verfügen über braunes Fett, um ihre Körpertemperatur zu regulieren oder beispielsweise Winterschlaf zu halten. Das Besondere ist, dass das braune Fett aufgrund der hohen Anzahl an Mitochondrien in der Zelle eine braune Farbe aufweist. Außerdem kann das braune Fett bei der Verbrennung von Kohlenhydraten und Fetten kein Adenosintriphosphat (ATP) erzeugen, wie es bei Mitochondrien üblich ist. Stattdessen wird Wärme erzeugt. Die Ursache hierfür ist ein spezielles Protein, welches ausschließlich im braunen Fettgewebe exprimiert wird und als UCP1 oder „Uncoupling Protein 1“ bezeichnet wird. Dieses Protein entkoppelt im Prinzip die Atmungskette und gewährleistet, dass die Kohlenhydrate und Fette verbrannt werden, ohne dass ATP entsteht.

Braunes Fett wird natürlicherweise durch Kälteexposition aktiviert. Forschende aus München konnten aber zeigen, dass eine kohlenhydratreiche Mahlzeit ebenfalls in der Lage ist, das braune Fett zu aktivieren. Dies könnte erklären, warum der Energieverbrauch bei Menschen mit verschwenderischem Stoffwechsel stärker ansteigt als bei Menschen mit sparsamem Stoffwechsel, wenn sie sich überernähren.

Also gibt es braunes Fettgewebe beim erwachsenen Menschen?

Die Forschung zu braunem Fettgewebe ist noch relativ jung, denn bis vor ungefähr 15 Jahren ging man davon aus, dass erwachsene Menschen gar kein braunes Fett mehr besitzen. Es war bekannt, dass Babys über braunes Fett verfügen, allerdings wurde angenommen, dass dieses im Verlauf der Entwicklung des Kindes wieder verschwindet. Mittels moderner Bildgebungsmethoden, wie PET-CT-Scans, konnte nachgewiesen werden, dass auch Erwachsene braunes Fett haben, dieses jedoch mit dem Alter abnimmt und sehr ungleich verteilt ist, was möglicherweise eine Erklärung dafür sein könnte, dass ältere Menschen zunehmend Schwierigkeiten mit ihrem Gewicht haben.

Die Menge an braunem Fett liegt bei einem Individuum zwischen 0 und 300 Gramm. Dabei ist die Verteilung des braunen Fettes innerhalb der Bevölkerung sehr unterschiedlich. Während einige Individuen nur geringe Mengen an braunem Fett aufweisen, verfügen andere über viel braunes Fett, welches sich auch gut aktivieren lässt.

Wie kann Kälteexposition den Stoffwechsel verbessern?

Derzeit ist in Kiel die Durchführung einer Studie geplant, welche die Aktivierung von braunem Fett mittels Kälteexposition im Wasser bei Menschen mit Prä-Diabetes zum Ziel hat. Im Rahmen dieser Studie soll untersucht werden, ob sich dadurch der Zuckerstoffwechsel verbessern lässt.

Wie oben bereits beschrieben, konnten wir zeigen, dass die identifizierten Stoffwechseltypen auch mit der unterschiedlichen Aktivität von braunem Fett erklärbar sind. Das heißt, Menschen mit einem verschwenderischen Stoffwechsel, die sehr viel Energie verbrauchen, haben viel aktives braunes Fett, während Menschen mit einem sparsamen Stoffwechsel, die wenig Energie verbrauchen, wenig aktives braunes Fett haben. Jetzt liegt es natürlich nahe, zu untersuchen, wie man braunes Fett auch bei Menschen mit einem sparsamen Stoffwechsel aktivieren kann. Noch gibt es aber keine Methode oder Medikament, welches braunes Fett zuverlässig und auch im Alltag gut anwendbar aktivieren kann. Da uns braunes Fett aber vor Kälte schützt, ist aktuell die beste Möglichkeit die Aktivierung über Kälteexposition. In Studien wurde gezeigt, dass schon nach kurzzeitiger Kälteexposition von wenigen Tagen das braune Fett stärker aktiviert wird. Allerdings wurde die Kälteexposition in kalten Räumen bei einer Temperatur von ungefähr 16–19 Grad Celsius durchgeführt, und dort mussten sich die Testpersonen täglich für 4–6 Stunden aufhalten, was im Alltag nicht wirklich praktikabel und umsetzbar wäre.

Unser Ziel ist es daher, zu erforschen, ob sich das braune Fett auch durch Kälteexposition in kaltem Wasser über einen kürzeren Zeitraum, zum Beispiel 3-mal pro Woche eine halbe Stunde, aktivieren lässt. Denn dies wäre auch im Alltag besser umsetzbar. Hierbei geht es jedoch nicht unbedingt um Gewichtsverlust, da frühere Studien gezeigt haben, dass die Aktivierung von braunem Fett nicht unbedingt zu einer Gewichtsreduktion führt. Dies lässt sich vermutlich auf eine Gegenregulation des Körpers zurückführen, welche auch die Nahrungsaufnahme beeinflusst. Von größerer Bedeutung ist jedoch die Erkenntnis, dass sich der Stoffwechsel durch die Aktivierung von braunem Fett verbessert. Insbesondere der Zuckerstoffwechsel und auch der Fettstoffwechsel werden optimiert. Dies resultiert in einer gesteigerten Insulinsensitivität sowie sinkenden Blutfettwerten, insbesondere von Triglyceriden, LDL-Cholesterin, und das gute HDL-Cholesterin steigt. Menschen mit viel aktivem braunem Fett weisen folglich ein geringeres Risiko für Diabetes, Bluthochdruck und kardiovaskuläre Erkrankungen auf. Zudem scheint aktives braunes Fett einen protektiven Effekt gegenüber Krebserkrankungen zu haben.

Sind bereits Medikamente zur Aktivierung des braunen Fettes verfügbar?

Nein, aber es wird intensiv an Medikamenten zur Aktivierung von braunem Fett geforscht. Braunes Fett wird über Beta-Rezeptoren aktiviert, also auch über das sympathische Nervensystem und damit über Adrenalin und Noradrenalin. Daher suchte man nach Medikamenten, die spezifisch die Beta-Rezeptoren aktivieren können. Zunächst ging man davon aus, dass analog zum Mausmodell auch beim Menschen das braune Fett über Beta-3-Rezeptoren aktiviert wird. Also wurde ein Medikament ins Auge gefasst, das spezifisch die Beta-3-Rezeptoren aktiviert, wie zum Beispiel Mirabegron, das in den USA zur Behandlung einer überaktiven Blase zugelassen ist. In Studien wurde dann aber festgestellt, dass zwar das braune Fett aktiviert wird, aber durch die Aktivierung anderer Beta-Rezeptoren auch Nebenwirkungen auftreten, wie erhöhter Blutdruck oder beschleunigter Herzschlag. Vor kurzem fand man heraus, dass beim Menschen das braune Fett aber eher über Beta-2-Rezeptoren aktiviert wird. Dementsprechend wurden auch Medikamente getestet, die Beta-2-Rezeptoren spezifisch aktivieren, wie zum Beispiel Salbutamol. Das ist ein Medikament, das zum Beispiel zur Behandlung von Asthma eingesetzt wird. Und es konnte gezeigt werden, dass dieses Medikament in der Tat auch braunes Fett aktivieren kann. Aber auch hier kann es zu kardiovaskulären Nebenwirkungen kommen.

Auch in Deutschland wird an neuen Medikamenten geforscht, da es hier einen Sonderforschungsbereich gibt, der sich BAT Energy nennt. Forschende aus Bonn konnten jüngst zeigen, dass ein bestimmtes Purin namens Inosin die braunen Fettzellen vor dem Zelltod schützt und auch die Aktivierung und Umwandlung in braune Fettzellen beschleunigen kann. Menschen, die also mehr Inosin haben, könnten auch mehr aktives braunes Fett aufweisen und eventuell könnte eine derartige Therapie das braune Fett besser bei Menschen aktivieren, die nicht so viel haben.

Weiterhin konnten Forschende aus München zeigen, dass Sekretin, das erste entdeckte Darmhormon überhaupt, auch in der Lage ist, braunes Fett zu aktivieren und damit Sättigung zu signalisieren. Also könnte eine Sekretin-haltige Kost oder auch die Behandlung mit Sekretin direkt zu einer verstärkten Aktivierung von braunem Fett führen.

Gleichzeitig hat man im Mausmodell auch erforscht, ob sich braunes Fett transplantieren lässt. Doch die Ergebnisse waren eher gemischt und zum Teil auch ernüchternd, da sich das transplantierte braune Fett in den meisten Fällen wieder in weißes Fett umwandelte.

Was könnte in Zukunft möglich sein?

Ich bin mir ziemlich sicher, dass in Zukunft eine zielgerichtete Therapie zur Aktivierung von braunem Fett zur Verfügung stehen wird. Bis dahin müssen wir uns mit der Kälteexposition zufriedengeben, die am zuverlässigsten funktioniert; man muss sie nur regelmäßig durchführen. Die zielgerichtete Therapie könnte ähnlich aussehen wie bei der Cholesterinsenkung. Denn dort gibt es seit kurzem mit Inclisiran ein Medikament, das zielgerichtet in die Leber aufgenommen wird und nur dort die Expression eines bestimmten Proteins hemmt, welches die LDL-Rezeptoren auf der Leberoberfläche abbaut. Und die Therapie ist deswegen so zielgerichtet, weil dieses Medikament in keine andere Körperzelle aufgenommen werden kann, außer in die Leberzellen. Das liegt am speziellen Design des Medikaments, das mit einem speziellen Zucker versehen ist, das nur die Leberzellen aufnehmen können. Wenn wir ein spezifisches Target auch bei braunem Fett finden, das nur dort vorhanden ist, und es uns es gelingt, ein Molekül zu designen, das genau an dieses Target andockt, dann könnten wir auch eine zielgerichtete Therapie zur Aktivierung von braunem Fett herstellen, ohne die Nebenwirkungen einer Aktivierung des gesamten Beta-Rezeptoren-Systems zu haben.

Danke für das Gespräch!