Onlinesucht: Wenn das Internet abhängig macht
Intensive Internetnutzung kann sich zur Sucht entwickeln, wenn sich Menschen in digitalen Räumen wohler fühlen als in ihrem wirklichen Leben. Abhängigkeitspotenzial können die unterschiedlichsten Internet-Anwendungen von Games über Pornografie bis hin zu Social Media entwickeln.
Die Generation Z (Zoomer), also die zwischen 1997 und 2012 Geborenen, wurde von früher Kindheit an mit digitalen Medien konfrontiert. Apps werden für praktisch alle Lebensbereiche genützt. Dabei geht es den jungen Menschen offenbar nicht besonders gut, denn in den USA waren 2018 bereits 37% der Vertreterinnen und Vertreter dieser Generation in therapeutischer Behandlung, wie Prim. Dr. Roland Mader vom Anton Proksch Institut in Wien ausführt. Insofern sei es nicht verwunderlich, dass gerade in der Generation Z die Onlineabhängigkeit als stoffungebundene Suchtform in den letzten Jahren zugenommen hat. Meist sind es junge Menschen, die sich in der virtuellen Welt bei Onlinespielen oder im Bereich der sozialen Netzwerke verlieren und dadurch die reale Welt immer mehr vernachlässigen, so Mader.
Ungünstiger Trend durch die COVID-Pandemie befeuert
Die COVID-19-Pandemie hat zu dieser Entwicklung beigetragen. Eine in Hamburg-Eppendorf durchgeführte Studie zeigte, dass während der Pandemie die Zeit, die für digitale Spiele verwendet wurde, von täglich 80 auf 140 Minuten anstieg und soziale Medien nun 3 statt zuvor 2 Stunden pro Tag konsumiert wurden. In jedem 2. Haushalt wurden dem Onlinekonsum keine zeitlichen Grenzen gesetzt, ein Drittel der Eltern kümmerte sich nicht um die Inhalte. Pathologische Nutzung wurde bei 3–4% der 10- bis 17-Jährigen festgestellt. Dieser Wert wird für Österreich auf 4% geschätzt. Wobei wir damit im internationalen Vergleich relativ gut dastehen, denn in Südkorea liegt der Anteil der Smartphone-Süchtigen über 30%, so Mader.
Die Folgen der zunehmenden Internetnutzung sind erheblich. In den vergangenen 30 Jahren hat der physische Aktionsradius von Kindern und Jugendlichen um 90% abgenommen. Eine der Folgen ist immer weiter verbreitetes Übergewicht. Mader unterstreicht auch, dass Computer und Smartphone der Bildung abträglich sein können. Vor allem bei schlechten Schülerinnen und Schülern sinkt mit der Verfügbarkeit digitaler Medien die Leistung.
Internet-Spielsucht mittlerweile in ICD-11 aufgenommen
„Internet Addiction Disorder“ wurde erstmals 1995 vom amerikanischen Psychiater Ivan Goldberg beschrieben. Zentraler Inhalt ist ein exzessiver, unkontrollierter Internetgebrauch, der zum wesentlichen Lebensinhalt der Betroffenen wird. Online-Gaming als Teilbereich der Internetnutzung wurde 2019 von der WHO als Krankheit anerkannt. „Internet Gaming Disorder“ wurde im Mai 2019 als 6C51 in ICD-11 aufgenommen.
Internetsucht kann zahlreiche Anwendungen betreffen – vom Glücksspiel über Online-Pornografie bis zum Shopping. Ein erhebliches Suchtpotenzial haben beispielsweise auch Massively Multiplayer Online Role-Playing Games (MMORPGs), also Rollenspiele mit hoher Teilnehmerzahl. Die Spiele bewirken mit hoher technischer Qualität breit angelegte sensorische Stimulation und erhöhten Erregungsfaktor. Da der zeitliche Einsatz mit dem Erfolg korreliert, entsteht eine hohe Spielanbindung. Spielende gehen unkompliziert unzählige nicht-reale Beziehungen ein und werden Teil einer Gemeinschaft. Verpflichtungen innerhalb der Gemeinschaft führen zu Versäumnisängsten und noch stärkerer Bindung an das Spiel. Auch Spiele vom Typ First Person Shooter wie Fortnite Battle Royale oder Candy Crush Saga können zu problematischem Internetkonsum führen. Ebenso besitzen die sogenannten sozialen Medien unter anderem ein nicht zu unterschätzendes Abhängigkeitspotenzial. Das Grundproblem liege darin, dass sich empfängliche Menschen in digitalen Räumen wohler fühlen als im wirklichen Leben und entsprechend versucht sind, sich möglichst viel in digitalen Räumen aufzuhalten.
Kompetenten Umgang mit digitalen Medien erlernen
Um dem vorzubeugen, empfiehlt Mader, dafür zu sorgen, dass Kinder möglichst mit realen Freunden spielen, bzw. reale Spiele zu fördern. Der Computer sollte nicht im Kinderzimmer stehen und die Spieldauer schon vor Beginn begrenzt werden. Altersbeschränkungen müssen beachtet werden. Ein Problem der Erziehung zum vernünftigen Umgang mit dem Internet liege jedoch darin, so Mader, dass die heutige Elterngeneration in ihrer Jugend noch zu wenig Erfahrungen mit dem Internet sammeln konnte. Zum Aufbau von Medienkompetenz gibt es unterschiedliche Empfehlungen, die durchwegs eher restriktiv sind. Für sehr junge Kinder werden Bildschirmzeiten zwischen 0 und maximal 30 Minuten am Tag empfohlen. Bis 9 Jahre kann dann die Bildschirmzeit langsam auf maximal 60 Minuten erhöht werden und ab 10 Jahren soll ein selbst einteilbares Bildschirmzeitkonto etabliert werden. Auch sollten Kinder unter 12 Jahren kein eigenes Handy und insbesondere kein Smartphone besitzen. Falls erforderlich, kann davor ein nicht internetfähiges sogenanntes „Dumbphone“ zum Einsatz kommen.
Internetsucht wird am Anton Proksch Institut stationär in der Gruppe behandelt. Das Programm läuft über 8 Wochen, wobei jede Woche ein anderes Thema behandelt wird. Die Gruppe erweist sich für die meist jungen Patientinnen und Patienten als sehr hilfreich, so Mader. Das Therapieziel ist Medienkompetenz, also ein wachsamer Umgang mit digitalen Medien.
Quelle: Symposium der AG Suchterkrankungen & Suchtforschung „Neues aus der Suchtforschung“, im Rahmen der 24. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP), Wien, 25.4.2024