ATTD II: Wer braucht heute noch HbA1c?
Die kontinuierliche Glukosemessung hat gezeigt, dass bei gleichem durchschnittlichem Blutzucker das Hämoglobin unterschiedlicher Individuen unterschiedlich glykiert sein kann. Noch nicht gänzlich geklärt sind die klinischen Schlussfolgerungen aus diesem Befund.
Glykiertes Hämoglobin (HbA1c) wird seit vielen Jahren zur Diagnose des Diabetes mellitus ebenso herangezogen wie für die Kontrolle der Therapiequalität. Im Vergleich zur Bestimmung des Nüchternzuckers hat es den Vorteil, dass es die längerfristige glykämische Kontrolle widerspiegelt. In Zeiten der kontinuierlichen Glukosemessung (CGM) haben sich allerdings auch Nachteile des HbA1c gezeigt. Insbesondere korreliert es nicht immer und nicht bei allen Personen mit gleicher Genauigkeit mit dem Blutzuckerspiegel. „Bereits seit den 1980er Jahren wissen wir, dass Anämie, Hämoglobinopathien, Nierenversagen und viele andere Zustandsbilder Einfluss auf das HbA1c haben“, sagt Prof. Dr. Irl Hirsch vom Diabetes Institute der University of Washington. Mithilfe von CGM wurde 2008 im Rahmen der ADAG-Studie die Relation von durchschnittlichem Blutzuckerspiegel mit dem HbA1c ermittelt. Auffallend dabei waren die großen statistischen Schwankungsbreiten, so Hirsch, der auch betont, dass diese Beobachtung in zahlreichen weiteren Studien bestätigt wurde und dass Personen mit Erkrankungen wie Anämie oder Niereninsuffizienz aus diesen Studien ausgeschlossen waren.1 Hirsch: „Es ist also klar, dass es außer den bekannten Komorbiditäten und der Physiologie des Hämoglobins noch andere Faktoren geben muss, die Einfluss auf das HbA1c haben.“
Darunter könnte die Überlebenszeit von Erythrozyten fallen, die in einer Studie mit Probanden ohne Anämie um rund 50% zwischen ca. 40 und 60 Tagen schwankte.2 Daher wurde der Terminus „geschätztes HbA1c“ im Zusammenhang mit CGM verlassen und durch den „Glucose Management Indicator“ (GMI) ersetzt.3 Die Abweichung vom gemessenen HbA1c schwankt individuell und kann beträchtlich sein. In einer Kohorte von mehr als 600 Patientinnen und Patienten lagen bei der Hälfte HbA1c und GMI um mehr als ein halbes Prozent auseinander, bei 22% war es sogar ein volles Prozent.4
Erhöhtes Risiko von Endorganschäden bei schneller Glykation
- Nathan DM et al., Diabetes Care 2008 Aug; 31(8):1473–8
- Cohen RM et al., Blood 2008; 112(10):4284–91
- Bergenstal RM et al., Diabetes Care 2018;41:2275–80
- Perlman JE et al., Diabetes Technol Ther 2021; 23(4):253–58
- Maran A et al., Diabetes Care 2022; 45(10):2439–44
- Bovee L et al., Diabetes 2023; 72(Supplement_1):107–OR
- Hempe JM et al., Diabetes Care 2015; 38(6):1067–74