Geschlechtskrankheiten: Screening bei asymptomatischen Patienten?
Die Ausbreitung von sexuell übertragbaren Infektionen lässt sich durch eine rasche Diagnose und Behandlung eindämmen. Doch in manchen Fällen haben regelhafte Tests bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten mehr Nachteile als Vorteile.
Bis zum Jahr 1954 mussten Personen, die heiraten wollten, in den meisten US-amerikanischen Bundesstaaten einen negativen Syphilistest vorlegen. Man geht davon aus, dass diese Vorgabe sowie die wirksame Behandlung mit Penicillin maßgeblich zum Rückgang der Syphilisprävalenz nach dem zweiten Weltkrieg beigetragen haben. Heutzutage sind Tests auf sexuell übertragbare Infektionen (sexually transmitted infections; STI) fester Bestandteil internationaler Leitlinien. Flächendeckende Screeningprogramme werden jedoch nur dann empfohlen, wenn sie gewisse Voraussetzungen erfüllen. Hierzu zählt neben der Kosteneffizienz der Nachweis aus qualitativ hochwertigen, randomisierten, kontrollierten Studien, dass sie die Mortalität oder Morbidität senken. Darüber hinaus sollte der Nutzen des Screenings den Schaden überwiegen.
In einer aktuellen Übersichtsarbeit ist ein Forschungsteam um Prof. Dr. Chris Kenyon vom Institute of Tropical Medicine in Antwerpen der Frage nachgegangen, auf welches STI-Screening diese Kriterien nach dem heutigen Wissensstand tatsächlich zutreffen. Nach Ansicht der Forschenden ist ein Screening auf HIV und Syphilis insbesondere bei Hochrisikopatienten wie Männern, die Sex mit Männern haben (MSM) und eine Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gegen HIV einnehmen, empfehlenswert. Zudem sollten schwangere Frauen auf eine Infektion mit dem Syphiliserreger Treponema pallidum getestet werden, um eine Übertragung auf ihr Kind und damit einhergehende Schwangerschaftskomplikationen zu vermeiden.
Vier Voraussetzungen für ein erfolgreiches Screening
Folgende Eigenschaften der Wirt-Pathogen-Interaktionen bei HIV und Syphilis sprechen für den Erfolg von Screeningmaßnahmen bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten:
- Unentdeckte Infektionen sind in der Regel mit schwerwiegenden negativen klinischen Folgen verbunden.
- Zwischen Infektion und Ausbruch der Krankheit vergeht viel Zeit.
- Die Infektion wird nicht spontan vom Immunsystem beseitigt.
- Nach einer überstandenen Infektion entwickeln Patientinnen und Patienten bei erneutem Kontakt mit dem Erreger seltener Symptome, sodass ihre Krankheit übersehen werden könnte.
Die Autorinnen und Autoren der Übersichtsarbeit haben eine ausreichende Evidenz dafür gefunden, dass die frühzeitige Diagnose von HIV und Syphilis nicht nur den Weg für eine lebensrettende Therapie ebnet. Sie reduziert zudem die Ausbreitung dieser STI bzw. fördert deren lokale Eliminierung. Dies zeigt das Beispiel Niederlande. Dort trug die Test-and- treat-Strategie zu einem Rückgang der HIV-Inzidenz um schätzungsweise 70% in den letzten 10 Jahren bei.
Im Gegensatz dazu scheinen Neisseria gonorrhoeae, Chlamydia trachomatis und Mycoplasma genitalium weniger gut für ein Screening geeignet zu sein. Während es sich bei Syphilis und HIV um systemische Infektionen handelt, die serologisch frühzeitig nachgewiesen werden können, lösen Gonokokken, Chlamydien und Mykoplasmen lokale Infektionen an den Schleimhäuten aus. Gegen regelhafte Tests sprechen darüber hinaus die kurze Zeitspanne zwischen einer Infektion und dem Ausbruch der Krankheit sowie die hohe Wahrscheinlichkeit eines selbstlimitierenden Verlaufs. Entsprechend schwach ist die Evidenz aus Studien für den Nutzen eines flächendeckenden Screenings auf diese 3 Erreger.
Es gibt zwar Hinweise darauf, dass ein Chlamydien-Screening die Häufigkeit von Beckenentzündungen in der Allgemeinbevölkerung verringern kann. Die Auswirkungen auf die Prävention von weiblicher Unfruchtbarkeit sind jedoch unklar. Auch für ein Screening in Hochrisikogruppen fehlen stichhaltige Beweise, so die Autorinnen und Autoren.
Antibiotikaresistenzen durch erhöhten Makrolidgebrauch
Insbesondere bei MSM mit Sexualkontakten zu vielen verschiedenen Partnern birgt ein Screening auf Gonokokken, Chlamydien und Mycoplasma genitalium darüber hinaus Gefahren. So können regelhafte Tests und damit die Detektion von asymptomatischen STI die Nutzung von antimikrobiellen Mitteln und damit die Gefahr einer Resistenzbildung steigern. In Kohortenstudien führte beispielsweise ein Screening auf Gonokokken und Chlamydien bei Patientinnen und Patienten mit einer HIV-PrEP zu einem Makrolidverbrauch, der die Schwellenwerte für die Resistenzbildung bei verschiedenen Bakterienarten um das 5- bis 9-Fache überschritt.
Weiterhin kann sich ein übermäßiger Verbrauch von antimikrobiellen Mitteln nachteilig auf das Mikrobiom auswirken. Mögliche Folgen sind eine Dysbiose und eine gestörte Immunität, einhergehend mit einem geringeren Schutz vor Geschlechtskrankheiten und anderen Krankheitserregern. Zuletzt weisen die Autorinnen und Autoren der Übersichtsarbeit auch auf potenzielle psychosoziale Nachteile einer STI-Diagnose bei asymptomatischen Patientinnen und Patienten hin.
Zusammenfassend kommen sie zu dem Schluss, dass ein Screening beim Fehlen von Symptomen in Bevölkerungsgruppen mit hoher STI-Prävalenz auf HIV und Syphilis beschränkt werden sollte. Sie vermuten, dass Risiko, Nutzen und Kosteneffizienz des STI-Screenings je nach Population und getesteten Erregern, verwendetem diagnostischen Test, Testhäufigkeit und Gesundheitssystem variieren. Weitere Daten dazu werden, so hoffen die Autorinnen und Autoren, die Ergebnisse mehrerer großer, laufender Screeningstudien bringen. Die Präferenzen der versorgten Bevölkerung und der einzelnen Patientinnen und Patienten sollten bei der Auswahl des Screenings jedoch ebenfalls eine wichtige Rolle spielen.
Quelle: Kenyon C et al. Lancet Reg Health Eur 2023; 34: 100743; doi: 10.1016/j.lanepe.2023.100743