19. Okt. 2023Psychodermatologie

EADV 2023: Bei ästhetischen Eingriffen an körperdysmorphe Störungen denken!

Die Psychodermatologie ist eine aufstrebende Subdisziplin der Dermatologie. Ein wichtiges Krankheitsbild, an das jede Dermatologin bzw. jeder Dermatologe, vor allem bei ästhetischen Eingriffen, denken sollte, ist die körperdysmorphe Störung (BDD=Body Dysmorphic Disorder). Beim EADV-Kongress in Berlin wurde die erste Leitlinie zur Diagnose und zum Management von BDD in der Dermatologie vorgestellt.1 Der Leitfaden wurde in Zusammenarbeit mit der Europäischen Gesellschaft für Dermatologie und Psychiatrie erstellt.

PLASTIC SURGEON DRAWING TUMMY TUCK SURGERY. ADOLESCENTS ADDICTION TO AESTHETIC OPERATIONS.
Rafa Jodar/AdobeStock

Die körperdysmorphe Störung (BDD) ist eine relativ häufige psychiatrische Erkrankung, bei der die Betroffenen von vermeintlichen Defekten oder Mängeln ihrer äußeren Erscheinung überzeugt sind, erklärt Dr. Maria-Angeliki Gkini, MD, MSc, PhD vom General Army Hospital in Athen, Barts Health NHS Trust, London und Mitautorin der Leitlinie. BDD beeinflusst mentales Wohlbefinden und Lebensqualität der Patientinnen und Patienten erheblich. Oft werden sie in Krankenhäusern und Arztpraxen als „schwierig“ eingestuft. Gkini: „Diese Patientinnen und Patienten beschweren sich oft über Ärztinnen und Ärzte, hinterlassen negative Bewertungen in sozialen Medien und wechseln ständig die Ärztin bzw. den Arzt, da sie nie zufrieden sind. Sie versuchen, jemanden zu finden, der sie besser aussehen lässt, aber dies geschieht nie.“

Das BDD-Risiko bei dermatologischen Erkrankungen ist deutlich erhöht

Eine rezente Studie im British Journal of Dermatology zeigt, dass Betroffene von Hauterkrankungen ein erheblich erhöhtes BDD-Risiko aufweisen.2 Die multizentrische Beobachtungs- und Querschnittsstudie umfasste 8.295 Teilnehmende: 5.487 Betroffene mit verschiedenen Hautkrankheiten (56% weiblich), die aus dermatologischen Ambulanzen in 22 Kliniken in 17 europäischen Ländern rekrutiert wurden, und 2.808 gesunde Kontrollpersonen (66% weiblich). Die BDD-Symptome wurden mit dem Dysmorphic Concern Questionnaire erfasst. Außerdem wurden soziodemografische Daten sowie Informationen über psychologische Faktoren und körperliche Beschwerden erhoben. BDD-Symptome traten bei Patientinnen und Patienten mit dermatologischen Erkrankungen fünfmal häufiger auf als bei Kontrollpersonen mit gesunder Haut (10,5% vs. 2,1%). Bei jenen mit Hyperhidrose, Alopezie und Vitiligo war die Wahrscheinlichkeit von BDD-Symptomen sogar um mehr als das 11-Fache (bereinigte Odds Ratio (OR) >11) im Vergleich zu gesunden Kontrollen erhöht. Bei Patientinnen und Patienten mit atopischer Dermatitis, Psoriasis, Akne, Hidradenitis suppurativa, Prurigo und bullösen Erkrankungen stiegt die Wahrscheinlichkeit von BDD-Symptomen mehr als 6-fach (bereinigte OR >6).

Bei ästhetischen Eingriffen auf BDD screenen

BDD ist zwar eine psychiatrische Störung, allerdings ist die Inzidenz in ästhetischen klinischen Einrichtungen besonders hoch. Ein frühzeitiges Erkennen kann unnötige elektive Eingriffe mit ethischen und medizinrechtlichen Folgen vermeiden. Daher kommt Dermatologinnen und Dermatologen bei BDD eine wichtige Rolle bei der Früherkennung zu, unterstreicht Gkini. „Mit dieser Leitlinie soll das Wissen unter Dermatologinnen und Dermatologen im Bereich der Psychologie erweitert und evidenzbasierte Empfehlungen zur Diagnose und Behandlung bereitgestellt werden.“

Eine wichtige Empfehlung ist, Patientinnen und Patienten, die ästhetische oder chirurgische Eingriffe durchführen lassen möchten, auf BDD zu screenen. Ebenso sollten Betroffene mit chronisch entzündlichen Hauterkrankungen auf die Störung untersucht werden, und dabei sollte auch auf Depression, Angstzustände und suizidale Gedanken geachtet werden. „Patientinnen und Patienten mit BDD haben oft begleitende psychische Störungen wie Depression, Angst und soziale Phobien. Suizidale Gedanken und Handlungen sind nicht selten, daher ist es wichtig, diese bei der Beurteilung zu berücksichtigen“, betont Gkini. Insgesamt sei es entscheidend, die körperdysmorphe Störung zu erkennen und angemessen zu behandeln, da sie die Lebensqualität der Betroffenen erheblich beeinflussen kann.

Empfehlungen und Erkenntnisse aus der Leitlinie

  • Die BDD ist eine relativ häufige psychiatrische Erkrankung, bei der Betroffene von wahrgenommenen Defekten überzeugt sind, die sich oft auf Gesicht, Hals und Haut erstrecken.
  • Betroffene beschäftigen sich oft stundenlang mit sich selbst und ihrem Körper und vergleichen sich häufig mit anderen Menschen, was zu einer erheblichen Beeinträchtigung der Lebensqualität führt.
  • Betroffene sind oft unzufrieden mit ihrem Aussehen und suchen ständig nach dermatologischen Behandlungen, um ihr Aussehen zu verbessern, was jedoch selten zu den gewünschten Ergebnissen führt.
  • Die Störung ist sowohl in ästhetischen als auch in klinisch dermatologischen Einrichtungen weit verbreitet.
  • Im Idealfall sollte die Behandlung in einem multidisziplinären Team erfolgen, vorzugsweise in einer psychodermatologischen Klinik. Falls dies nicht möglich ist, sollte eine Zusammenarbeit mit Psychiaterinnen und Psychiatern sowie Psychologinnen und Psychologen erfolgen.
  • Für die medikamentöse Behandlung empfiehlt der Leitfaden selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRIs) in Kombination mit Psychotherapie. SSRIs sollten in höherer Dosierung angewendet werden, und die Patientinnen und Patienten müssen darüber aufgeklärt werden, dass die Wirkung einige Wochen in Anspruch nehmen kann. „Monotherapie zeigt weniger Erfolg, daher empfehlen wir die Kombination von Psychotherapie und Medikation“, so Gkini.

„Body Dysmorphic Disorder in Dermatology“, Presentation ID D3T01.3J, Late breaking news Session 3 im Rahmen der Jahrestagung der European Academy of Dermatology and Venereology (EADV), Berlin 13.10.2023