„Bei der reisemedizinischen Beratung den generellen Impfstatus checken!“
Nach dem Urlaub ist vor dem Urlaub: Viele Menschen planen bereits eine Reise für die Wintermonate. Meist geht es dabei in tropische Gebiete, um der Kälte zu entrinnen. Der Infektiologe und Tropenmediziner Dr. Marton Széll gibt Auskunft, welche Impfungen nicht fehlen sollten.
Dr. Luitgard Grossberger: Dr. Széll, können Sie die wichtigsten Impfungen nennen, die Herr und Frau Österreicher brauchen, wenn sie im Winter in wärmere Gefilde aufbrechen?
Dr. Marton Széll: Ich würde die Frage noch etwas weiter fassen: Eine reisemedizinische Beratung ist ein sehr guter Zeitpunkt, den generellen Impfstatus zu checken. Denn diesbezüglich gibt es oft große Lücken, speziell bei Erwachsenen. Ich verbringe im Schnitt ein Drittel meiner Beratungszeit damit, mit den Klienten den Österreichischen Impfplan (s. Kasten) durchzugehen.
Das heißt, ich schaue – je nach Alter –, ob ein Schutz gegen Tetanus, Masern, Hepatitis, Pneumokokken, HPV usw. vorhanden ist, weil diese Krankheiten natürlich auch in den Tropen vorkommen. Das gilt selbstverständlich auch für Corona und die Grippe. Wir in der Klinik Donaustadt haben in diesem Jahr schon dreimal bei Tropenrückkehrern eine Influenza statt Malaria oder Denguefieber als Ursache des Fiebers gefunden.
Ansonsten kommt es sehr darauf an, wohin der Reisende fährt, wie lange er dort ist und wie er reist: ob er mit dem Rucksack unterwegs ist oder am Strand im 5-Sterne-Hotel liegt. Wichtige Impfungen für den Tropenurlaub sind sicherlich die Hepatitis-A-, Tollwut-, Typhus-, Japan-B- Enzephalitis- und neuerdings die Dengue-Virus-Impfung.
Den neuen tetravalenten Impfstoff gegen Dengue-Fieber hat die EMA ja erst Ende letzten Jahres zugelassen. Wer soll diesen abgeschwächten Lebendimpfstoff bekommen?
Das Dengue-Fieber ist eine der größten Seuchen, die es derzeit weltweit gibt. Kinder in den Endemiegebieten sind besonders schwer betroffen. Vor allem im Rahmen einer Zweitinfektion kommt es oft zu schweren Verläufen. Daher war es der WHO ein großes Anliegen, alle Kräfte zu bündeln, um einen neuen Impfstoff auf den Markt zu bringen, der auch für Kleinkinder und Menschen über 45 Jahre geeignet ist.
In der Reisemedizin spielt die Dengue-Virus-Impfung eine noch nicht ganz so große Rolle. Auch deshalb, weil es noch nicht ausreichend Daten bei Reisenden gibt. Daher ist man derzeit noch etwas zurückhaltend bei der Empfehlung dieses Impfstoffs. Das Nationale Impfgremium (NIG) empfiehlt die Impfung vor allem Reisenden, die nachweislich bereits eine Infektion durchgemacht haben, und jenen, die einen Langzeitaufenthalt in einem Endemiegebiet planen.
Kürzlich hat es einige Fälle von Dengue-Fieber in Italien gegeben. Wird man sich künftig – angesichts des Klimawandels – auch für einen Urlaub nach Italien gegen das Virus impfen lassen müssen?
Dass es in Südeuropa – Spanien, Südfrankreich und Italien – immer wieder kleine Ausbrüche von Dengue-Fieber gibt, ist nichts Neues. Meistens sind nur wenige Dutzend Personen von so einem Ausbruch betroffen. Derzeit schaut es nicht danach aus, dass das Virus in diesen Gebieten endemisch wird. Da stellt aus meiner Sicht die Autoreise nach Italien die größere Gefahr dar.
Auch das Verbreitungsgebiet der Malaria scheint sich mit dem Klimawandel zu verändern. Rechnen Sie damit, dass Malaria in Europa (wieder) Thema werden könnte?
Es gibt tatsächlich autochthone Fälle von Malaria in Europa. Das sind aber wirklich immer nur einzelne Fälle. Mittelfristig sehe ich keine Gefahr, dass Malaria bei uns ein Problem werden könnte.
Bei welchen Reisezielen müssen Urlauber nach heutigem Stand unbedingt an die Malaria-Prophylaxe denken?
Die Verbreitung der Malaria hat sich in den letzten Jahrzehnten doch deutlich geändert. Sowohl in Süd- und Mittelamerika als auch in Asien ist die Malaria sehr gut unter Kontrolle. Dort erkranken Touristen fast nie daran, während sich in Afrika leider nicht sehr viel geändert hat. In weit über 90 % aller Malariafälle in Österreich waren die Betroffenen zuvor in Afrika gewesen. Das heißt, vor allem bei Menschen, die nach Afrika südlich der Sahara reisen, macht eine Evaluierung Sinn, ob eine Malariaprophylaxe notwendig ist oder nicht.
Wer kommt mit einer Stand-by-Therapie aus?
Generell tendiert man heute zu einer durchgehenden Malariaprophylaxe. Die Stand-by-Therapie hat sich in Studien als oft ineffektiv erwiesen. Entweder die Reisenden nehmen sie nicht ein, weil sie glauben, an etwas anderem erkrankt zu sein, oder die Erkrankten erbrechen die Malaria-Therapie, weil im Rahmen einer Malaria-Erkrankung oft gastrointestinale Symptome auftreten. Deshalb gilt die Empfehlung, dass in Gebieten mit hoher Malaria-Gefahr und schlechter medizinischer Versorgung eine durchgehende Malaria-Prophylaxe genommen werden sollte.
Tollwut ist in vielen Gebieten verbreitet, die gar nicht so weit weg sind von uns. Für welche Länder – auch innerhalb Europas – würden Sie eine Impfung empfehlen?
Tollwut ist weiterhin in vielen Ländern ein Problem. Indien ist das Land mit den meisten humanen Tollwutfällen weltweit. Neben den Asiatischen Ländern spielt die Tollwut auch noch in Afrika eine große Rolle.
Generell ist das Problem, dass in vielen Ländern die postexpositionelle Prophylaxe nicht adäquat durchgeführt wird. Wir hatten heuer im Sommer einige Patienten, die in der Türkei von einem Tier gebissen wurden und dort kein Immunglobulin bekommen haben, obwohl es indiziert gewesen wäre. Das heißt, schon bei einem Türkei-Urlaub könnte man darüber nachdenken, ob man sich nicht Tollwut impfen sollte.
Für welche Reiseziele bzw. unter welchen Umständen würden Sie zu einer Impfung gegen das Japanische Enzephalitis-Virus raten?
Das Japan-Enzephalitis-Virus (JEV) ist im Bereich zwischen Pakistan und Japan endemisch. Das heißt, Reisende in Süd- und Südostasien sollten über eine Impfung nachdenken. Wir empfehlen sie speziell Reisenden, die längere Zeit und vor allem einfacher im Landesinneren unterwegs sind, zum Beispiel Rucksacktouristen in Nordthailand oder Expats, die nach Vietnam ziehen. Für Touristen, die zwei Wochen in einem guten Hotel am Strand Urlaub machen, spielt die Impfung eher eine geringe Rolle.
Ein Blick in die Zukunft: Mit welchen neuen Impfstoffen dürfen wir in den nächsten Jahren rechnen?
Die nächste Impfung, die in der Pipeline ist, ist die gegen Chikungunya-Fieber. Dafür laufen gerade die Zulassungsverfahren bei der EMA. Eventuell ist schon 2024 damit zu rechnen.
Welchen Stellenwert messen Sie dieser Impfung bei?
In den meisten Fällen ist Chikungunya-Fieber zwar eine relativ harmlose Erkrankung, jedoch haben etliche Patienten danach Gelenkschmerzen, die relativ lange Zeit anhalten können. So gesehen wird die Impfung dann ratsam sein, wenn jemand in ein Gebiet reist, in dem aktuell Chikungunya-Fälle gemeldet werden.
Österreichischer Impfplan 2023/24
Anfang September ging der aktuelle Österreichische Impfplan online.
Sie finden diesen unter:
www.sozialministerium.at/impfplan