Hat Netzwerk-Immunität die Pandemie beendet?
Der Ausbruch von Mpox (Affenpocken) im Jahr 2022 ist aus ungeklärten Gründen sehr schnell wieder abgeklungen. Eine belgische Gruppe präsentierte nun die Hypothese, dass es im Zentrum „sexueller Netzwerke“ zur Ausbildung von Immunität infolge überstandener Infektion gekommen sei. Dies habe die weitere Verbreitung des Virus über diese Netzwerke zum Erliegen gebracht.
Die in Mpox umbenannten Affenpocken, deren Ausbruch 2022 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) am 23. Juli 2022 zu einer gesundheitlichen Notlage internationaler Tragweite erklärt wurde, sind nicht nur aus den Medien weitgehend verschwunden. Immerhin führte der Outbreak des zuvor vor allem als Zoonose bekannten Virus zu mehr als 85.000 Erkrankungen weltweit, wobei Männer, die Sex mit Männern hatten, am häufigsten betroffen waren. Nach einem steilen Anstieg der Fallzahlen ab Mai 2022 kam es jedoch zu einem raschen Rückgang der Erkrankungen. Warum Mpox so schnell wieder verschwanden, wie sie kamen, wird aktuell intensiv diskutiert. Im Rahmen des European Congress of Clinical Microbiology & Infectious Diseases (ECCMID) 2023 präsentierte eine belgische Gruppe ihre Theorie zu dieser Frage. „Der steile Anstieg der Fallzahlen wurde vermutlich durch virale Übertragung während sexueller Kontakte, die sich zwischen Individuen mit häufigen Partnerwechseln innerhalb eines dichten und geografisch weit ausgebreiteten Netzwerks sehr effizient gestaltete“, sagt dazu Studienautor Dr. Christophe Van Dijck vom Institut für Tropenmedizin in Antwerpen. Zur schnellen Verbreitung hätten vermutlich auch mangelnde Kenntnis der Erkrankung sowie asymptomatische und präsymptomatische Transmission beigetragen.
Verhaltensänderungen oder erworbene Immunität durch Infektion?
Als mögliche Ursachen für das Abflauen des Ausbruchs werden gesteigerte Awareness und Verhaltensänderungen ebenso diskutiert wie das Erlangen von Immunität durch Impfung oder Infektion. Van Dijck weist allerdings darauf hin, dass beispielsweise in Belgien die Mpox-Fälle bereits zurückgingen, bevor eine relevante Durchimpfung der Risikopopulation erreicht war. Daher stellten Van Dijck und seine Kolleg:innen die Hypothese auf, dass Verhaltensänderungen für das Abflauen der Epidemie verantwortlich waren.
Zur Überprüfung konnten sie zwei Datensätze heranziehen, die an ihrem Institut während des Jahres 2022 erhoben worden waren. Der erste Satz bestand aus Fragebögen, die von 155 Personen ausgefüllt wurden, die eine Mpox-Diagnose erhalten hatten. Es handelte sich zu 95 Prozent um homosexuelle oder bisexuelle Männer, die in den drei Wochen vor der Diagnose im Median mit zwei Partnern sexuellen Verkehr hatten. Die Auswertung zeigte, dass Personen, bei denen in der ersten Zeit der Pandemie Mpox diagnostiziert worden war, vor der Diagnose Sex mit mehr Partnern hatten als Personen, die später im Verlauf des Outbreaks erkrankten. Die Abnahme lag bei 0,86 Partnern pro Woche. Es gab hier also ein Signal, das auf Verhaltensänderungen in der Risikopopulation hinweist.
Der zweite Datensatz wurde aus Fragebögen generiert, die Männer ausfüllten, die die Klinik aufsuchten, um die Präexpositionsprophylaxe (PrEP) gegen HIV zu erhalten. Diese Population wurde in zwei Gruppen ausgewertet: einmal „Core PrEP-User” (das waren Männer mit einer Syphilis-Infektion in der Anamnese) und zum anderen „Non-Core PrEP-User“, also Männer ohne stattgehabte Syphilis-Infektion. Die Syphilis-Anamnese diente als Marker für riskantes Sexualverhalten in der Vergangenheit. Die Forschenden gingen auch davon aus, dass Personen, die bereits eine Syphilis hinter sich hatten, eher im Zentrum des sexuellen Netzwerks anzusiedeln waren als in der Peripherie.
Von den 1.322 PrEP-Usern waren mehr als 99 Prozent Männer, die Sex mit Männern hatten, darunter besuchten 55,9 Prozent die Klinik im Jahr 2022 regelmäßig. In dieser Population betrug die mediane Zahl an Sexualpartnern in den vorangegangenen drei Monaten fünf, wobei Core PrEP-User durchgehend mehr Partner angaben als Non-Core PrEP-User. In beiden Gruppen nahm die Zahl der Sexualpartner während des Jahres 2022 zu.
Zunehmende Immunität im Zentrum der Netzwerke
Van Dijck: „Die Abnahme der Zahl an Partnern in der Gruppe nach Mpox-Infektion würde darauf hindeuten, dass es zu Verhaltensänderungen gekommen war. Andererseits zeigen die Ergebnisse in der PrEP-Population eher das Gegenteil. Daher haben wir eine alternative Hypothese aufgestellt. Wir nehmen an, dass sich die Kern-Personen des sexuellen Netzwerks als Erste mit Mpox infizierten, die Personen an der Peripherie des Netzwerks später. Daher stellte sich im Kern des Netzwerks relativ früh infektionsinduzierte Immunität ein, die die Ausbreitung der Krankheit zum Stillstand brachte.“ Derzeit arbeitet die belgische Gruppe an serologischen Studien und Modellrechnungen zur Überprüfung dieser Hypothese.
Netzwerk-Immunität bedeute allerdings nicht, dass man das Thema Mpox für immer vergessen könne. Van Dijck: „Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass es zu weiteren Ausbrüchen kommen kann, wenn die Netzwerk-Immunität gestört wird. Dies könne geschehen, wenn die Immunität im Kern des Netzwerks abnimmt, oder wenn bislang nicht infizierte Personen aus der Peripherie des Netzwerks sexuell aktiver werden.“
Van Dijck C et al. Shift in sexual risk profile of mpox cases suggests "network immunity" contributed to epidemic decline. Presented at ECCMID 2023, Abstract 6887