Ätiologie und Therapie des chronischen Pruritus
Die möglichen Ursachen hinter chronischem Juckreiz sind vielfältig und nicht immer evident. Zur Behandlung empfiehlt sich ein stufenweises Vorgehen.
Chronischer Pruritus bezeichnet einen seit mindestens sechs Wochen bestehenden Juckreiz. In Mitteleuropa wird von einer Lebensprävalenz von rund 20 Prozent ausgegangen. „Jeder chronische Pruritus ist abklärungs- und behandlungsbedürftig“, betont Dr. Manuel Pereira vom Kompetenzzentrum chronischer Pruritus am Universitätsklinikum Münster. „Pruritus ist ein Symptom unterschiedlicher Erkrankungen und schwer zu therapieren, weil die Pathophysiologie komplex und nur zum Teil bekannt ist. Man braucht eine umfassende Diagnostik, um die richtige Therapie einleiten zu können und es ist wichtig, beim Pruritus sehr systematisch vorzugehen.“
Chronischer Pruritus kann sich sehr unterschiedlich präsentieren. In diesem vielfältigen Bild ist eine klinische Klassifikation hilfreich, um die Diagnostik zu planen: Bei Pruritus auf entzündlicher Haut kann bei unklarer Diagnose eine Abklärung per Biopsie, Histologie und direkter Immunfluoreszenz erfolgen. Ebenso können bestimmte Laborparameter (ANA, IgE) herangezogen werden. Pruritus auf nicht-entzündlicher Haut gilt als Hinweis auf internistische Erkrankungen, daher ist eine laborchemische Diagnostik wichtig, ebenso die Bildgebung, um mögliche Tumoren auszuschließen, die selten, aber doch Juckreiz induzieren können. Zusätzlich besteht eine dritte Gruppe, Pruritus bei chronischen Kratzläsionen: „Diese ist in der Diagnostik am aufwendigsten, weil aufgrund des klinischen Bildes nicht erkennbar ist, ob dem eine Dermatose zugrunde liegt. Hier ist eine Biopsie sinnvoll, um internistische Erkrankungen auszuschließen, ebenso sind eine laborchemische Diagnostik und eine gute Anamnese von Bedeutung“, sagt Pereira.
Ätiologische Klassifikation
Die häufigsten Ursachen für chronischen Pruritus sind dermatologische Erkrankungen, vor allem Neurodermitis und Psoriasis, aber auch kutane T-Zell-Lymphome. Eine weitere große Gruppe sind die systemischen Erkrankungen mit Pruritus auf normal aussehender Haut, z.B. bei Niereninsuffizienz, Leber- und hämatoproliferativen Erkrankungen; aber auch Schwangerschaft oder bestimmte Medikamente können einen anhaltenden Juckreiz auslösen. „Ein klassisches Beispiel für ein Pruritus-induzierendes Medikament ist Allopurinol“, erzählt der Dermatologe, „aber auch einige Antibiotika haben diese Nebenwirkung. Entscheidend ist die zeitliche Korrelation. Wenn der Verdacht eines medikamenteninduzierten Pruritus besteht, sollte das Medikament abgesetzt und für mindestens sechs Wochen pausiert werden, um eine Aussage treffen zu können.“ Bei rund sieben Prozent der Patienten liegt eine neurologische Ursache vor, z.B. ein Nervenkompressionssymptom oder ein einseitiger Pruritus nach Schlaganfall. Somatoformer Pruritus ist meist eine Ausschlussdiagnose; liegen mehrere Ursachen vor, wird dies als multifaktorieller Pruritus bezeichnet. Wird trotz aller Diagnostik keine Ursache gefunden, spricht man von Pruritus unklarer Genese.
Therapieoptionen
Der Therapie von chronischem Pruritus besteht aus der Kombination von Lokal- und Systemtherapeutika und einer psychosomatischen Begleittherapie, wenn Patienten aufgrund des Pruritus an Angst oder Depressionen leiden. „Jeder Patient braucht einen individuellen Therapieplan, der an Alter, Komorbiditäten und Ko-Medikation angepasst werden muss“, erläutert Pereira. „Ebenso müssen die Ursache des Juckreizes, seine Ausprägung und die Beurteilung, wie stark die Lebensqualität eingeschränkt ist, in diesem Konzept berücksichtigt werden.“
Unabhängig von der Pruritus-Ursache sind allgemeine Gegenmaßnahmen immer angebracht: Die aktuelle Leitlinie1 empfiehlt ein stufenweises Vorgehen. Im ersten Schritt sollen die Diagnostik zur Ursachenfindung und parallel allgemeine Maßnahmen eingeleitet werden. „Insbesondere Emollenzien sind hier sehr hilfreich, weil die meisten Patienten mit chronischem Juckreiz auch unter Xerosis leiden. Auch eine Antihistaminika-Therapie kann sofort begonnen werden, weil diese sehr gut verträglich ist, allerdings sollte man sedierende Antihistaminika möglichst vermeiden. Ebenso können bei vorliegenden Kratzläsionen oder Dermatosen kurzfristig topische Steroide angewendet werden.“
Längere Gaben sollten aufgrund der Nebenwirkungen (Hautatrophie) vermieden werden, informiert Pereira. Sobald die Ursache bekannt ist, erfolgt die Umstellung auf eine symptomatisch-ursächliche Therapie. „Wir wissen heute, dass z.B. Paroxetin gut bei hämatoproliferativen oder Gabapentinoide gut bei neuropathischen Pruritus-Syndromen helfen. Wenn die Ursache unbekannt bleibt oder die davor gesetzten Maßnahmen nicht ausreichen, soll im dritten Schritt eine symptomatische Therapie nach dem Prinzip der Pruritus-Unterbrechung begonnen werden, diese beinhaltet Medikamente, die im peripheren oder zentralen Nervensystem wirken, wie Gabapentinoide, Antidepressiva oder Opioidrezeptor-Modulatoren.“
Topische Therapeutika
Bei sehr trockener Haut oder Prurigoknoten soll eine dermatologische Basistherapie verabreicht werden: „Eine rückfettende Therapie für zweimal am Tag für zwei Wochen kann das Hautbild deutlich verbessern.“ Neben der Basistherapie können Steroide, Calcineurin-Inhibitoren und Crisaborole (0,5% und 2%) als topische Therapeutika eingesetzt werden. „Tacrolimus und Pimecrolimus sind sicher und effektiv, für die atopische Dermatitis zugelassen und können auch bei sehr kleinen Kindern angewandt werden“, ergänzt der Experte. „Auch Crisaborol, das ist ein Phospodiesterase-4-Inhibitor, zeigt einen sehr guten, dosisabhängigen Effekt. Diese Substanz ist eine Alternative bei der atopischen Dermatitis, aber derzeit nur in den USA zugelassen.“ Bei neuropathischem Pruritus bietet sich die lokale Anwendung von hochdosierten Capsaicin-haltigen Pflastern als gute Option an.
Systemische Therapeutika
Die systemische Therapie steht auf zwei Säulen: antiinflammatorische Medikamente wie Steroide und Immunsuppressiva und antipruretische Medikamente wie Gabapentinoide, Antidepressiva und Opioidrezeptor-Antagonisten. „Diese beiden Säulen können parallel eingesetzt werden, oft reicht es bei der atopischen Dermatitis nicht, Entzündungshemmer anzuwenden; hier sollte auch eine antipruritische Therapie dazugegeben werden.“ Opioid-Rezeptoren sind sowohl im zentralen als auch im peripheren Nervensystem vorhanden, werden sie durch einen Antagonisten blockiert, ist eine juckreizlindernde Wirkung zu erwarten. Antikonvulsiva und Antidepressiva können bei unterschiedlichen Pruritusformen zum Einsatz kommen.
Neue Therapeutika
Mit zunehmendem Verständnis der Pathophysiologie des Pruritus wurden in den letzten Jahren neue Medikamente entwickelt, die auf die Immunmodulatoren-Achse wirken. Dazu gehören monoklonale Antikörper wie Dupililumab und Nemolizumab und die JAK-Inhibitoren, die in der Pruritus-Therapie zunehmend an Bedeutung gewinnen. Für die neuronale Achse zeigen v.a. Opioidrezeptor-Modulatoren wie Nalbuphin und Nalfurafin erste vielversprechende Ergebnisse. Neurokinin-1-Rezeptor-Antagonisten hingegen konnten sich trotz anfänglich optimistischer Studiendaten nicht durchsetzen und werden daher nicht weiter verfolgt. Mit dem Kappa-Opioid-Rezeptor(KOR)-Agonisten Difelikefalin kann bei Patienten mit urämischem Pruritus eine Verbesserung erzielt werden2. „Daher ist zu erwarten, dass auch Opioid-Modulatoren für spezielle Pruritus-Formen zugelassen werden. Generell betrachtet können wir durch die neuen pharmazeutischen Entwicklungen davon ausgehen, dass sich für die Behandlung von Patienten mit chronischem Pruritus weitere Optionen ergeben werden.“
Referenzen:
- S2k-Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des chronischen Pruritus; AWMF-Reg.Nr. 013-048, 2016; abrufbar unter: awmf.org/leitlinien/ detail/ll/013-048.html; derzeit in Überarbeitung
- Fishbane S et al., NEJM 2020; 382(3):222–232
Vortrag „Best practice der topischen und systemischen Pruritustherapie“, Jahrestagung der Österreichischen Akademie für Dermatologische Fortbildung (OEADF), Hybridveranstaltung, Salzburg, 4.6.21