1. Juli 2021Unerwünschte Folgen

Arzneimittelnebenwirkungen: Durch Ibuprofen bis zur ECMO

Pulmonale Arzneimittelnebenwirkungen sind eine Krux: Fast jedes Medikament kann Lungenschäden auslösen, fast jede Lungenkrankheit durch eine Nebenwirkung imitiert werden.

Full-Frame-Aufnahme von Pillen über Weiß
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Klopfen Sie bei Ihren Patienten im Detail den Medikamentenkonsum ab? Wahrscheinlich nicht. Sollten Sie aber, denn bei allen differenzialdiagnostischen Überlegungen ist auch an Lungenschädigungen durch Arzneimittel zu denken, mahnte Prof. Dr. Jens Schreiber von der Universitätsklinik für Pneumologie in Magdeburg. Die Relevanz der gezielten Anamnese illustrierte er anhand der folgenden Kasuistik:

Ein gesunder 38-Jähriger bricht sich beide Fersenbeine, die chirurgisch versorgt werden. Postoperativ bekommt er dreimal täglich 600mg Ibuprofen gegen die Schmezen. 24 Stunden später hat er ein nicht-kardiogenes Lungenödem mit Dyspnoe und Husten entwickelt. „Nur weil ein Medikament lange bekannt, frei verkäuflich und billig ist, heißt das nicht, dass es harmlos ist“, betonte Schreiber. Die aus seiner Sicht sehr empfehlenswerte Datenbank pneumotox.com listet allein für NSAR fast ein Dutzend relevante Nebenwirkungen auf, die vom banalen Schluckauf über schwere, potenziell letale Asthmaattacken bis zu Anaphylaxie und Angioödem reichen.

Auch das breit eingesetzte Hydrochlorothiazid (HCT) hat seine Tücken: Wer denkt schon bei einem Patienten mit Lungenfibrose daran, dass das im Antihypertensivum enthaltene HCT der Auslöser sein könnte? „Ich bin überzeugt, dass es da eine hohe Dunkelziffer gibt“, meinte Schreiber. Auf der 87 Medikamente und Prozeduren umfassenden Pneumotox-Liste zur Lungenfibrose stehen übrigens auch andere unvermutete Verdächtige wie Statine, Betablocker und verschiedene Psychopharmaka.

Heilpflanzen führten zur Bronchiolitis obliterans

Natürlich sind auch Phytopharmaka nicht so harmlos wie Patienten gerne glauben möchten. Ende der 1990er-Jahre machten per Internet erhältliche Abspeckmittel von sich reden, die asiatische „Heilpflanzen“ enthielten. Eine ganze Reihe von Anwenderinnen bezahlten den Konsum mit einer Bronchiolitis obliterans, teilweise sogar mit dem Tod.

Ein vergleichsweise häufiges Phänomen, vor allem bei jungen Menschen, ist die arzneiinduzierte akute eosinophile Pneumonie (AEP). Einer von fünf Betroffenen erkrankt so schwer, dass er mechanische Beatmung benötigt. Wichtig zu wissen: Normale Eosinophilenzahlen im Blutbild schließen eine EAP nicht aus, im Gegenteil. Acht von zehn Patienten mit EAP zeigen keine Bluteosinophilie trotz massiver Infiltration des Lungengewebes. Das heißt, bei diesen unklaren pulmonalen Krankheitsbildern müssen die Patienten bronchoskopiert und lavagiert werden. Eine Sonderform ist das PIE-Syndrom (pulmonale Infiltrate plus Eosinophilie), das unter Sartanen auftreten kann. Auch hier verschwinden Infiltrate und Bluteosinophilie, wenn der Patient den AT1-Blocker absetzt.

Ein und dasselbe Medikament kann je nach individueller Prädisposition sehr heterogene Reaktionsmuster hervorrufen. Das Spektrum reicht quer durch die gesamte Pneumologie: vom harmlosen Husten, der nicht nur die ACE-Hemmer-Therapie begleitet, sondern mindestens drei Dutzend weitere Wirkstoffe, bis hin zu schweren Komplikationen mit Entzündungen, Fibrosen und Hämorrhagien.

Selbst Pleuritiden und Pleuraergüsse können medikamentös induziert sein. Hochakute Verläufe kommen vor, die den Patienten binnen Stunden auf die Intensivstation bringen.

Nicht alles ist nach Absetzen reversibel, aber je früher es erfolgt, desto eher stoppen die pathologischen Prozesse. Aber nicht zwingend sofort: „Eine medikamentös induzierte Lungenfibrose schreitet auch fort, nachdem Sie das Medikament abgesetzt haben“, warnte Schreiber. Das unterstreicht die Bedeutung von Wachsamkeit und Früherkennung.

Fragen Sie pneumotox.com!

Die von französischen Kollegen geführte, ständig aktualisierte Datenbank pneumotox.com führt mehr als 1.000 Wirkstoffe und therapeutische Prozeduren auf, welche die Lunge schädigen können. Darunter sind natürlich viele Krebsmedikamente bzw. -therapien, z.B. Zytostatika und Immuntherapeutika, aber auch Strahlentherapien und natürlich viele andere Arzneimittel(-gruppen). Die Datenbank lässt sich nach Wirkstoffen sowie nach Schädigungsmustern sortieren. Außerdem gibt es eine Rubrik namens „Diagnosing DIRD“ (Drug-induced Respiratory Disease), in der die einzelnen Diagnoseschritte übersichtlich erläutert sind.

Statt Bakterien waren Eosinophile am Werk

Häufigste Fehldiagnose bei unklaren Lungenbefunden, die letztlich auf eine Medikamentenexposition zurückzuführen sind, ist nach Erfahrung des Kollegen die akute Infektion: Eine junge Patientin nahm Ibuprofen wegen eines Atemwegsinfekts. Sie entwickelte eine akute eosinophile Pneumonie mit Myokardbeteiligung und musste schließlich auf der Intensivstation an die ECMO angeschlossen werden. Zuvor hatte man sie wegen einer vermeintlichen bakteriellen Pneumonie antibiotisch behandelt.

*Online-Veranstaltung

Dieser Beitrag erschien auch im Printmagazin CliniCum pneumo