Lyme-Krankheit mit Augenmaß abklären
Antibiotika, ja oder nein? Wenn ja, welche und wie lange? Diese und weitere Fragen zur Borreliose beantworten Experten aus den USA in einer neuen Leitlinie.
Am besten ist es natürlich, man fängt sich die Borreliose erst gar nicht ein. Das heißt, dass jeder die Verantwortung hat, sich so gut wie möglich vor Zeckenstichen zu schützen. Schlagen die Blutsauger dennoch zu, sollten sie umgehend mechanisch mit einer feinen Pinzette entfernt werden. Von Verbrennen oder dem Auftragen von Chemikalien inklusive Petroleum rät das Leitlinienteam aus Infektiologen, Neurologen und Rheumatologen um Dr. Paul Lantos von der Duke University School of Medicine in Durham ausdrücklich ab.
Die Zecke auf Borrelien testen?
Wünschenswert wäre es, das abgelöste Tierchen zur Identifikation der Spezies einzuschicken. Den Test einer Ixodes-Zecke auf Borrelia (B.) burgdorferi halten die Autoren dagegen für verzichtbar. Denn der Nachweis des Erregers sagt nicht zuverlässig etwas über die Wahrscheinlichkeit einer klinischen Infektion aus. Auch asymptomatische Patienten muss man nach einem Stich von Ixodes nicht auf das Bakterium testen. Die prophylaktische Antibiose innerhalb von 72 Stunden empfehlen die Experten bei Kindern und Erwachsenen nur nach einem „Hochrisikostich“. Die Kriterien dafür lauten:
- Es handelt sich um eine gesicherte Ixodes-Spezies,
- der Stich ereignete sich in einem Endemiegebiet,
- die Zecke hing mindestens 36 Stunden am Körper fest.
Die Prophylaxe erfolgt vorzugsweise mit einer oralen Einmaldosis Doxycylin, Erwachsene bekommen 200 mg, Kinder 4,4 mg/kg (max. 200 mg).
Entwickelt sich nach einem Stich in einem Endemiegebiet eine charakteristische Erythema-migrans-Läsion, hat die klinische Diagnostik größeren Stellenwert als das Labor. Anders sieht das bei suspekten, aber atypischen Hautveränderungen aus, in diesen Fällen ist die Antikörpermessung aus dem Akutphaseserum sinnvoll. Fällt sie negativ aus, wiederholt man sie nach 2–3 Wochen. Zur Behandlung eines Erythema migrans eignen sich Doxycyclin (10 Tage), Amoxicillin oder Cefuroximaxetil (jeweils 14 Tage). Wer diese Substanzen nicht verträgt, erhält Azithromycin über 5–10 Tage. Das Borrelien-Lymphozytom therapiert man über 14 Tage.
Neuroborrelioseverdacht sowie die Notwendigkeit einer entsprechenden Testung besteht – nach gesicherter Exposition gegenüber infizierten Zecken – bei folgenden Befunden:
- Meningitis
- schmerzhafte Radikuloneuritis
- Mononeuritis multiplex
- akute Neuropathien der Hirnnerven (vor allem VII und VIII)
- nachgewiesene Entzündung des Rückenmarks (seltener des Gehirns), besonders in Verbindung mit einer schmerzhaften Radikulitis in zugehörigen Segmenten
Die Diagnose wird durch die Bestimmung der Antikörper im Serum gesichert. Wird eine Liquorpunktion durchgeführt, hilft die Bestimmung des Liquor-Serum-Antikörper-Index weiter, die Liquor-Serologie allein bringt dagegen weniger. Von Polymerasekettenreaktionen (PCR) oder Kulturen halten die Autoren in diesem Zusammenhang nichts.
Zur Therapie der Neuroborreliose kommen i.v. Ceftriaxon, Cefotaxim und Penicillin G, oral Doxycyclin infrage, die Dauer beträgt 14–21 Tage. Ist das Parenchym von Gehirn oder Rückenmark mitbeteiligt, sollte die Behandlung i.v. vonstattengehen. Bei einer gleichzeitigen Fazialisparese muss man keine zusätzlichen Steroide geben.
Dyspnoe, Ödeme, Palpitationen, Benommenheit, Synkopen oder Brustschmerzen können auf eine Lyme-Karditis hinweisen und lassen ein EKG ratsam erscheinen. Gegen die Herzentzündung wir- ken die gleichen oralen Substanzen wie gegen das Erythema migrans, 14–21 Tage Anwendung reichen in der Regel aus. Besteht das Risiko für schwere kardiale Komplikationen, z.B. bei Arrhythmien, sollten die Patienten stationär überwacht und initial i.v. mit Ceftriaxon behandelt werden.
Was tun bei Amblyomma-Stich?
Der Stich einer Lonestar-Zecke (Amblyomma americanum) kann die südliche zeckenassoziierte Hautausschlagkrankheit (Southern Tick-Associated Rash Illness, STARI) verursachen. Die Veränderungen ähneln dem Erythema migrans, manchmal hilft nur die Identifizierung der Zecke für eine endgültige Diagnose. Ob bei STARI Antibiotika sinnvoll sind, ist unklar. Die Leitlinienautoren sprechen daher keine Empfehlung dafür oder dagegen aus. Eine Indikation zur Therapie sehen sie aber, wenn die Abgrenzung zum Erythema migrans nicht sicher gelingt, um eine potenzielle Lyme-Krankheit sicher zu behandeln.
Lyme-Arthritis erfordert Antibiotika über 28 Tage
Die Lyme-Arthritis deckt man am besten über die Serumantikörper auf. Nur wenn es um schwierige Therapieentscheidungen geht, empfehlen die Autoren die PCR aus Synovia oder Gewebe. Die Gelenkentzündung macht eine verlängerte orale Therapie über 28 Tage nötig. Bei anhaltenden arthritischen Beschwerden sollten Rheumatologen ins Boot kommen.
Persistierende oder rezidivierende unspezifische Symptome wie Fatigue, Schmerzen oder kognitive Defizite ohne Hinweise auf ein Therapieversagen oder eine Reinfektion bedürfen keiner erneuten Antibiose. Die Acrodermatitis chronica atrophicans dagegen behandelt man oral über 21–28 Tage, die Evidenz dafür ist allerdings schwach.
Koinfektion möglich
Entwickeln Lyme-Patienten trotz Antibiose hohes Fieber oder zeigt sich im Labor ein Abfall von Thrombozyten, Leukozyten, Neutrophilen und/oder Hämoglobin, sollte man an eine Koinfektion mit Anaplasma phagocytophilum bzw. Babesia microti denken und danach suchen. Eine Hämolyse weist vor allem auf die Babesiose hin.
Lantos PM et al. Arthritis Rheumatol 2021; 73: 12–20; doi: 10.1002/art.41562