Anosmie in der Pandemie
Bei jedem zweiten Patienten mit COVID-19 ist die Geruchswahrnehmung beeinträchtigt – bis hin zur kompletten Anosmie.
Auch in Coronazeiten empfiehlt es sich, bei Patienten mit Riechstörung zunächst abzuklären, ob weitere neurologische Symptome vorliegen. Gibt es z.B. Zeichen eines erhöhten Hirndrucks, kann das auf eine zerebrale Läsion hindeuten. Wichtig ist zudem ein Check auf häufige nasale Erkrankungen, die den Geruchssinn via Blockade oder Kongestion trüben.
Der mit SARS-CoV-2 verbundene Riechverlust beginnt im Allgemeinen plötzlich und verläuft häufig schwer, ist aber meist reversibel. Bei neun von zehn Patienten bessert sich das Riechvermögen innerhalb von vier Wochen, schreibt das Team um Dr. Abigail Walker vom University Hospital Lewisham in London.
Die olfaktorische Störung beruht auf der isolierten sensorineuralen Schädigung durch das Virus: Anders als bei Obstruktionen (Rhinosinusitis etc.) erreichen Geruchsstoffe ungehindert das Riechepithel, können aber nicht richtig wahrgenommen werden.
Betroffene klagen oft zusätzlich über ein verringertes Geschmacksempfinden, das aber wahrscheinlich olfaktorisch bedingt ist. Zur Abgrenzung hilft die Frage, ob der Patient noch salzig, süß und bitter unterscheiden kann. Denn diese gustatorischen Qualitäten werden von der Zunge registriert.
Bei Personen mit akut aufgetretener Riechstörung empfehlen die Autoren, gezielt nach anderen Symptomen einer COVID-19-Erkrankung (Husten, Fieber etc.) zu fahnden. Die meisten geben auf Nachfrage weitere Beschwerden an (Fieber, Husten etc.). Bei immerhin 16 % ist die Anosmie aber das einzige Zeichen der Infektion.
Cortisonspray erst nach zwei Wochen erwägen
Die Autoren empfehlen, Patienten mit nicht anderweitig erklärbarer Reduktion des Geruchssinns auf SARS-CoV-2 zu testen. In den ersten sieben bis zehn Tagen der Erkrankung erfolgt der Nachweis mittels Polymerasekettenreaktion, danach serologisch. Bis das Ergebnis der PCR vorliegt, sollte sich der Betroffene in häusliche Quarantäne begeben.
Die Therapie der Anosmie mit Glukokortikoiden wird kontrovers diskutiert. Die topische Anwendung als Nasenspray oder -tropfen (z.B. Betamethason, Fluticason) ist zu erwägen, wenn die Hyp- oder Anosmie länger als zwei Wochen anhält. Vom Einsatz oraler Steroide in den ersten 14 Tagen raten die HNO-Spezialisten ab. Sie könnten die Viruselimination verzögern und sind zudem wegen der hohen Spontanheilungsrate nicht erforderlich. Bei einem länger persistierenden Verlust des Riechvermögens dürfen auch COVID-19-Betroffene, deren Diagnose länger als zwei Wochen zurückliegt, kurzfristig ein orales Steroid erhalten. Allerdings sollten die damit verbundenen Risiken (Blutzuckeranstieg, Psychosen) mit den Patienten besprochen werden.
Manche Betroffene profitieren von einem Riechtraining. Das regelmäßige Erschnuppern ätherischer Öle und anderer stark riechender Substanzen kann die Erholung des olfaktorischen Systems fördern. Personen mit An- oder Hyposmie sollten bei Speisen und Getränken auf das Verfallsdatum achten (Verderb) und die Funktion der Rauchmelder in der Wohnung sicherstellen. Die meisten Patienten mit COVID-19-bedingtem Geruchsverlust können durch den Hausarzt betreut werden. Eine Überweisung zum Spezialisten empfehlen die Autoren erst, wenn die Störung länger als drei Monate anhält.
Diese Symptome können die Riechstörung begleiten
Symptome | mögliche Ursache |
beidseitige Nasenblockade mit wechselnder Dominanz | allergisch |
anhaltende einseitige Blockade | strukturell
(z.B. Trauma) |
anhaltende beidseitige Blockade | Rhinosinusitis |
fauliger Geruch in der Nase | Kakosmie
(Fehlriechen) |
beim Schneuzen Blutspuren im Mukus | Epistaxis |
Bluten am blockierten Nasenloch | Krebs |
Knoten bzw. Schwellung am Hals oder Nacken | Krebs |
Quelle: Walker A et al. BMJ 2020; 370: m2808; doi: 10.1136/bmj.m2808