Lyme-Borreliose ohne Wanderröte richtig diagnostizieren
Erst der Zeckenstich, dann das Erythema migrans: Da fällt die Diagnose der Borreliose nicht schwer. Doch die Erkrankung kommt leider oft mit ganz anderen Symptomen daher, was in die Irre führen kann. (Medical Tribune 36-37/20)
Die Lyme-Borreliose geht in Europa üblicherweise auf Bakterien des Artkomplexes Borrelia burgdorferi zurück. Etwa 2–3 % der Menschen mit einem Zeckenstich erkranken an ihr, wobei die Zahl der Fälle steigt. In Westeuropa schätzt man die Zahl mittlerweile auf 230.000 pro Jahr – und das ist wohl noch zu niedrig angesetzt, vermuten der Infektiologe Prof. Dr. Bart-Jan Kullberg vom Radboud University Medical Center in Nimwegen und Kollegen. Zuverlässige Vorbeugung wäre also praktisch, allerdings gibt es dazu weder einheitliche Empfehlungen noch einen Impfstoff.
Fazialisparese bei Kindern deutet auf Neuroborreliose
Bildet sich um einen Zeckenstich herum ein roter Fleck, der größer wird oder sich ringförmig ausbreitet, ist die Diagnose klar: Das Erythema migrans gilt als sicheres Zeichen einer Borrelien-Infektion. Allerdings erinnert sich nur etwa der Hälfte der Betroffenen an den Stich der Biester. Fehlt die Wanderröte, lässt sich die Infektion dagegen schwer diagnostizieren: Anfangs ist sie noch nicht serologisch nachweisbar – hat sie gestreut, kann sie eine Vielzahl unterschiedlicher Symptome verursachen.
So deuten laut den niederländischen Experten eine Fazialisparese bei Kindern sowie eine Radikulopathie, Neuritis oder lymphozytäre Liquorpleozytose bei Erwachsenen nach einem Zeckenstich auf eine Neuroborreliose hin. Kommt es immer wieder oder dauerhaft zu Schwellungen und Schmerzen in einem oder wenigen Gelenken, kann es sich um eine Lyme-Arthritis handeln. Meist ist hier das Knie mit betroffen. Zu den Späterscheinungen nach Monaten oder Jahren gehört die Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA). Im Gegensatz zu anderen Manifestationen klingt sie nicht spontan ab und wird mitunter von Nerven- und Gelenkproblemen begleitet.
Am Herzen zeigt sich die Borreliose eher selten und typischerweise als AV-Block unterschiedlicher Schweregrade, ab und zu als Myoperikarditis oder Kardiomyopathie. Auch wenn die Lyme-Karditis meist von selbst verschwindet: Unbehandelt droht Lebensgefahr. Ebenfalls selten: das Borrelien-Lymphozytom. Dabei handelt es sich um einen schmerzlosen, bläulich-roten Knoten auf der Haut, der vor allem bei Kindern und hauptsächlich am Ohrläppchen, am Skrotum oder an der Brustwarze auftritt. Bei aktiver Infektion führt eine Antibiose meist zum Ziel. Oralem Doxycyclin und Ceftriaxon i.v. kommt hier eine wesentliche Rolle zu (s. Tabelle).
Mehr als 90% der Patienten mit Erythema migrans sprechen auf Doxycyclin, Amoxicillin oder orale Cephalosporine an. Doxycyclin für zehn Tage ist jedoch häufig erste Wahl. Dass Bakterien nach der Therapie noch streuen, ist unwahrscheinlich. Trotzdem können mitunter weiterhin Beschwerden bestehen. Gerade bei der Arthritis und der ACA vergehen oft etliche Monate, bis sich die Krankheitszeichen auflösen. Die Heilungschance der ACA liegt zwar bei 85–100 %, Hautschäden und Neuropathie bleiben aber oft unwiderruflich. Die ACA ist außerdem die einzige Manifestation, bei der sich u.U. in Läsionen eine chronische Infektion nachweisen lässt.
Neues Erythema migrans heißt erneute Ansteckung
Nach einer Lyme-Arthritis behalten nahezu zwei Zehntel der Patienten eine Synovitis, die wohl auf immunologische Mechanismen zurückgeht. Eine Neuroborreliose kann durch irreversible Schäden bis zu 50 % der Patienten noch über Monate bis Jahre beeinträchtigen. Tritt dagegen ein Erythema migrans erneut auf, basiert dies – vor allem in Endemiegebieten – in der Regel auf einer erneuten Ansteckung. Des Weiteren können Koinfektionen, zum Beispiel mit Babesien, Dauer und Schwere einer Borreliose verstärken. Bei Fieber, Anämie, Thrombozytopenie oder Leukopenie sollte man daran unbedingt denken.
Anhaltende Beschwerden immer ernst nehmen
Einige Menschen leiden ohne erkennbaren Grund und ohne nachweisbaren Borrelienbefall dauerhaft unter Muskel- und Gelenkschmerzen, Fatigue oder kognitiven Beschwerden. Man spricht dann vom „Post-Treatment-Lyme-Syndrom“ oder von chronischer Borreliose. Die genauen Gründe dafür kennt man nicht. Oft sind psychische Faktoren als Ursache im Gespräch und man sollte auch das chronische Fatigue-Syndrom oder eine Fibromyalgie in Erwägung ziehen. Wichtig ist, die Beschwerden der Patienten stets ernst zu nehmen. Keinesfalls sollte man jedoch eine unbegründete oder sogar potenziell schädliche Therapie beginnen, warnen die Autoren.
Kullberg B-J et al. BMJ 2020; 369: m1041 doi: 10.1136/bmj.m1041