7. Dez. 2021

Bei der familiären Hypercholesterinämie ist frühes Handeln gefragt

Gehen die Blutfette schon bei jungen Menschen durch die Decke, sollte man an eine familiäre Hypercholesterinämie denken. Je eher sie erkannt und behandelt wird, umso besser, sonst droht der frühe kardiovaskuläre Tod.

Unter dem Begriff der familiären Hypercholesterinämie (FH) fasst man verschiedene genetisch bedingte Stoffwechselerkrankungen zusammen, die alle einen verzögerten Abbau von LDL zur Folge haben.

Solche Xanthome der Sehnen wie hier im Bereich der Ferse sind typisch für die homozygote Form einer familiären Hypercholesterinämie.

Bei LDL-Cholesterinwerten > 190 mg/dl – für Kinder > 155 mg/dl – besteht der Verdacht auf eine FH, schreiben Professor Dr. Gerald Klose von der Internistischen Gemeinschaftspraxis Beckenbauer und Maierhof in Bremen und Kollegen. Meist liegen den Erkrankungen Mutation des LDL-Rezeptors (LDLR) zugrunde. Aber auch ein verändertes Apolipoprotein-B (APOB) oder PCSK9-Gen gehören zu den häufigeren Auslösern.

In Deutschland sind etwa 300 von 100 000 Menschen zumindest heterozygote Merkmalsträger einer FH. Damit handelt es sich um die häufigste monogenetische Erkrankung in der Praxis – und statistisch dürfte jeder Hausarzt Betroffene unter seinen Patienten haben. Homozygote Mutationen beobachtet man dagegen rund 2500-mal seltener. Dann liegt das LDL-Cholesterin aber in der Regel jenseits von 400 mg/dl.

Große Infarktgefahr bei Jüngeren

Die Konsequenzen einer FH können fatal sein. Herz- und Gefäßkrankheiten manifestieren sich deutlich früher als in der Normalbevölkerung. So erleidet die Hälfte der Männer mit heterozygoter FH bereits vor dem 50. Lebensjahr einen Herzinfarkt, bei den Frauen trifft es rund 30 % bis zum 60. Lebensjahr. Und mit homozygoter FH drohen schon Kindern Herzinfarkte oder gar der Tod durch Gefäßschäden.

Neben dem hohen Cholesterinspiegel können die Erkrankten Sehnenxanthome, Fettablagerungen im Auge (Arcus lipoides corneae) sowie diverse Manifestationen einer Atherosklerose aufweisen. Diese Zeichen sind aber bei der heterozygoten Form oft schwächer oder bilden sich erst später aus als bei der homozygoten, geben die Experten zu bedenken. Zudem tragen andere Risikofaktoren wie die gleichzeitige Erhöhung des Lipoproteins a sowie die üblichen Verdächtigen – Rauchen, Diabetes oder Bluthochdruck – dazu bei, dass der Phänotyp der FH klinisch stark variiert.

Kommt zu den Symptomen eine positive Familienanamnese hinzu, ist die Diagnose oft schon plausibel. Trotzdem raten die Autoren dazu, sie genetisch zu verifizieren. Eine Analyse umfasse mindestens die Genorte LDLR, APOB und PCSK9. Ergänze man weitere, könne das Aufschluss über wichtige Differenzialdiagnosen geben, darunter die Phytosterolämie (ABCG8), ein Mangel an saurer lysosomaler Lipase (LIPA) oder die zerebrotendinöse Xanthomatose (CYP27A1). So kann man die Prognose besser abschätzen und die Therapie an das individuelle Risiko anpassen. Denn bei gleichem LDL-Cholesterinspiegel erhöht eine FH das kardiovaskuläre Risiko um ein Vielfaches gegenüber Patienten, die keine solche Mutation aufweisen. Eine gesicherte Diagnose rechtfertigt dann nicht nur eine intensivere Therapie, sie verbessert auch die Adhärenz des Patienten. Zudem ermöglicht sie ein Kaskadenscreening, also das Identifizieren weiterer Betroffener in der Familie.

Das LDL-Cholesterin auf unter 55 mg/dl senken

Bleibt die FH unbehandelt, verkürzt das die Lebenszeit der Betroffenen um 16 Jahre. Je früher man therapiert, umso besser. Weist der Patient eine Atherosklerose oder einen anderen Risikofaktor auf, sollte das LDL-Cholesterin auch zur Primärprävention um mehr als 50 % gesenkt werden – in einen Zielbereich < 55 mg/dl. Fehlen die genannten Faktoren, sollte man zumindest einen Wert < 70 mg/dl erreichen.

Standardmäßig kommen Statine zum Einsatz, häufig in Kombination mit Ezetimib. Genügt das nicht, empfehlen die Autoren PCSK9-Hemmer. Evolocumab, Alirocumab und Inclisiran können bei Patienten mit heterozygoter FH die Cholesterinwerte um 50–70 % gegenüber der Standardtherapie senken. Alternativ bleibt nur die Apherese, auf die im Allgemeinen Betroffene mit homozygoter FH angewiesen sind – besonders, wenn sie keine LDL-Rezeptoren bilden.

Weitere Lipidsenker wie zum Beispiel der Hemmer des mikrosomalen Triglycerid-Transfer-Proteins, Lomitapid, oder das Antisense-Oligonukleotid Mipomersen werden derzeit auch für die homozygote FH untersucht. Sie bergen aber das Risiko von Leberfunktionsstörungen und ihr Einsatz beschränkt sich nach Einschätzung der Autoren zunächst eher auf Spezialzentren.

Diagnostik-Tipp

Den Verdacht auf eine FH kann man über den sogenannten FH-Score abklären. Er ist online verfügbar unter:

www.fhscore.eu

Text und Abb.: Klose G et al. internistische praxis 2021; 63: 415-423 © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach