Kollaps und neurologische Ausfälle
Nach einer Synkope weist ein Patient eine rechtsseitige Hemiparese und eine Facialisparese auf. Am rechten Arm sind keine Pulse tastbar. Eine rasche diagnostische Abklärung verhilft diesem Patienten zur lebensrettenden Maßnahme.
Anamnese und Klinik
Der 72-jährige Patient stellt sich in der Notfallambulanz bei Zustand nach Kollaps mit Bewusstlosigkeit und anschließender rechtsseitiger Hemiparese, Facialisparese rechts sowie fehlendem Puls an der rechten oberen Extremität vor. Anamnestisch sind bis auf eine Aortenektasie mit leichter Aortenklappeninsuffizienz und einer arteriellen Hypertonie keine Vorerkrankungen bekannt.
Differenzialdiagnosen
Bei Bewusstlosigkeit kommen verschiedene neurologische, metabolische und kardiologische Ursachen sowie eine hämodynamisch wirksame Pulmonalembolie (PE) oder Blutung infrage.
Eine vasovagale Synkope entsteht durch eine autonome Aktivierung des N. vagus. Meistens zeigen die Patienten Prodromi, wie Schwindel, Blässe, Bauchschmerzen, Übelkeit, Erbrechen oder Sehstörungen.1,2 Diese verneint der Patient jedoch.
Orthostatische Synkopen, die laut den Leitlinien der European Society of Cardiology (ESC) zu den vasovagalen Synkopen zu zählen sind, entstehen durch Blutdruckabfall (mindestens 20mmHg systolisch) bei Lageänderung (vom Liegen auf Sitzen oder vom Sitzen auf Stehen). Meistens zeigt sich danach eine Reflextachykardie.1
Ein neurogen bedingter Bewusstseinsverlust kann im Rahmen einer Subarachnoidalblutung, einer TIA, eines Subclavian-Steal-Syndroms oder einer Migräne-Attacke auftreten. Bei dem Paienten besteht keine positive Anamnese für Migräne und amnestisch wie klinisch kein Hinweis auf Subclavian-Steal-Syndrom. Eine neurologische Ursache wird mittels CT abgeklärt.1
Metabolische Ursachen wie eine Hypoglykämie, Elektrolytstörungen oder eine Hypoxämie konnten schon im Labor und in der Blutgasanalyse ausgeschlossen werden.1
Nicht zu vergessen ist die Möglichkeit einer psychogenen Synkope, die im Rahmen einer Angst- oder Panikstörung auftreten kann. Meistens kommen diese Episoden jedoch vermehrt vor und die Patienten sind zumeist gesund und zeigen keine kardialen Vorerkrankungen.1
Zur Abklärung einer arrhythmogenen Synkope wurde ein EKG durchgeführt.
Weitere neurologische Ursachen für Bewusstseinsverlust umfassen epileptische Anfälle mit Toddscher Lähmung sowie einen zerebralen Insult. Es besteht keine positive Anamnese für Epilepsie. Ein Schädel-CT wird veranlasst.
Der fehlende Puls an der rechten oberen Extremität könnte auf einen akuten arteriellen Verschluss hindeuten. Ein solcher Befund erklärt aber die neurologische Symptomatik nicht ausreichend.
Eine hämodynamisch relevante Blutung kann bei einem normalen Hämoglobin-Wert ausgeschlossen werden.
Im Labor fällt ein hohes D-Dimer auf. Es muss an die Möglichkeit einer (zusätzlichen) Lungenembolie gedacht werden, auch wenn die Klinik in diesem Fall nicht charakteristisch ist.
Labor
- Leukozyten: 9,74G/L
- Thrombozyten: 149G/L
- Hb: 14,9g/dL
- PTZ: 79%
- INR: 1,1
- D-Dimer: 45,30mg/L
- CRP: 2,4mg/L
- Na+: 140mmol/L
- K+: 3,3mmol/L
- Ca2+: 2,07mmol/L
- Kreatinin: 0,92mg/dL
- GFR: 85mL/min/1,7m2
- GOT: 32U/L
- GPT: 38U/L
- GGT: 19U/L
- LDH: 283U/L
- Trop I: 3,26ng/L
- NT-pro-BNP: 82,9pg/mL
Arterielle BGA
- pH: 7,38
- pCO2: 43mmHg
- pO2: 85mmHg
- sO2: 97%
- HCO3: 24mmol/L
Weiterführende Diagnostik
EKG. Zur Abklärung einer Herzrhythmusstörung wird ein EKG durchgeführt. Dieses zeigt einen Sinusrhythmus, einen überdrehten Linkstyp, eine Herzfrequenz von 70/min sowie QRS-Komplexe mit einer regelrechten Dauer von 0,08s, keine Erregungsrückbildungsstörungen.
Herzecho. Bei erhöhtem D-Dimer und Verdacht auf Pulmonalembolie wird eine Herzechokardiographie durchgeführt, um Rechtsherzbelastungszeichen auszuschließen. In der Bedside-Herzechokardiographie zeigt sich eine erweiterte Aortenwurzel von 54mm Durchmesser (Normbereich bei gesunden Erwachsenen 25–35mm). Zur weiteren Abklärung erfolgt eine CT-Angiographie der Aorta.
Schädel-CT. Zum Ausschluss einer neurologischen Ursache (Schlaganfall, Subarachnoidalblutung) wird eine craniale Computertomographie durchgeführt. Darin finden sich weder eine intrazerebrale Blutung noch Nachweise einer rezenten Ischämie. Die inneren und äußeren Liquorräume sind normal weit, ohne Hinweis auf Liquorabflussstörung. Die basalen Zisternen sind entfaltet.
CT-Angio. Es wird eine CT-Angiographie der gesamten Aorta, sowie der Aa. carotides und Aa. vertebrales durchgeführt. Darin findet sich eine aneurysmatische Ausweitung der Aorta ascendens auf bis zu 5,9cm mit einer Typ-A-Dissektion, die etwa auf Höhe der Klappenebene beginnt, kaudal bis in den Abdominalraum reicht und mit Abgang der linken Nierenarterie endet (siehe Abb. unten). Die Dissektion setzt sich in alle supraaortalen Äste fort und endet beidseits auf Höhe der Karotisbifurkation. Es findet sich zudem eine kurzstreckige Dissektion der linken A. subclavia. Abseits der Aortendissektion zeigen sich zunehmende schmale hämorrhagische Pleuraergüsse beidseits (1,6cm rechts und 1,4cm links), sowie primäre Kompressionsatelektasen beider Unterlappen.
Diagnose
Es wird die Diagnose einer Aortendissektion Typ A gestellt.
Therapie und weiterer Verlauf
Operation. Ein Hirnödem sowie eine massive cerebrale Ischämie konnten ausgeschlossen werden, die Pupillen waren isocor und eng, sodass die Indikation zur Not-Operation gestellt wurde. Der Patient wird sofort in den OP gebracht und nach Narkoseeinleitung mit Propofol, Remifentanil und Esmeron intubiert. Bei Hypotonie wird Neosynephrin gespritzt, bei bradykarden Phasen Effortil. Ein Ascendens-Bogenersatz und eine Frozen-Elephant-Trunk-Prothese werden implantiert.
Verlauf. Postoperativ wird der Patient auf der Intensivstation aufgenommen. Das Auftreten von paroxysmalem tachykardem Vorhofflimmern sistiert nach Gabe von Amiodaron. In der Aufwachphase zeigt der Patient noch eine Hypophonie, eine geringgradige sensomotorische brachiofaciale Hemiparese rechts und im Armhalteversuch ein Absinken und Pronieren rechts. Nach dem Aufwachen wird eine Kontrolle mittels zerebraler MR-Angiografie durchgeführt. Darin finden sich ein subakutes Infarktareal okzipital links mit einer zwischenzeitlich stattgehabten geringen Einblutung sowie kleine subakute Infarkte in beiden Kleinhirnhemisphären mit geringen zwischenzeitlich stattgehabten Einblutungen. In einer opthalmologischen Kontrolle zeigt sich am rechten Auge ein Gesichtsfeldausfall nach oben. Bei postoperativem Auftreten einer Vorhofflimmerepisode wird nach einer radiologischen Kontrolle der Einblutungsareale im Insultbereich eine dauerhafte Antikoagulation angestrebt.
Bei Entlassung ist nur noch eine Resthemiparese der oberen Extremität mit minimalem Absinken im Armhalteversuch feststellbar. Auch die Fazialisparese hat sich bereits zurückgebildet.
Infokasten zur Erkrankung
Die Prävalenz der Aortendissektion beträgt 3/100.000 pro Jahr. Meistens wird ein Auftreten ab dem 50. Lebensjahr beobachtet (außer bei genetischen Erkrankungen). In 65 Prozent der Fälle ist die Aorta ascendens, in ca. 20–25 Prozent die Aorta descendens und in fünf bis zehn Prozent der Aortenbogen betroffen.3
Die häufigsten Ursachen der Aortendissektion sind arterielle Hypertonie (72,1% der Fälle), Arteriosklerose (31% der Fälle) und Aortenaneurysmen.4 Seltenere Ursachen sind Vaskulitiden oder Bindegewebserkrankungen (Marfan-Syndrom , Ehlers-Danlos-Syndrom).
Neben dem typischen Vernichtungsschmerz in der Brust treten Symptome der Malperfusion auf, wie z.B. Myokardischämie, akutes Nierenversagen, Synkope oder neurologische Ausfallserscheinungen. Ischämiesyndrome in der Peripherie treten in 19 Prozent der Fälle auf und sind das Resultat von Seitenastverschlüssen durch die Dissektionsmembran.4,5 Bei einem erhöhten D-Dimer sollte man differenzialdiagnostisch auch an eine Aorten-Dissektion denken. Das bildgebende Verfahren der Wahl für die Diagnosestellung einer Aortendissektion ist die CT-Angiographie der gesamten Aorta.2
Bei einer Typ-A-Dissektion wird ein rascher operativer Ersatz angestrebt.4
Bei unkomplizierter Typ-B-Dissektion wird eine konservative Therapie durchgeführt. Bei Patienten mit akuter komplizierter Typ-B-Aortendissektion (Malperfusions-Syndrom, Progression der Dissektion, Aneurysma-Vergrößerung, Unmöglichkeit, Blutdruck oder Symptome kontrollieren zu können) stellt das endovaskuläre Vorgehen mit einem thorakalen Endograft die Erstlinienintervention dar.4,2
Grundpfeiler der Nachsorge sind eine langfristige antihypertensive Therapie und regelmäßige Kontrolluntersuchungen mittels Schnittbilddiagnostik (CT oder MRT).4
Referenzen:
- McDermott D and Quinn JV: Approach to the adult patient with syncope in the emergency department. UptoDate 2020; www.uptodate.com/contents/approach-to-the-adult-patient-with-syncope-in-the-emergency-department? (letzter Zugriff: April 2021)
- Torsello G et al: S2k-Leitlinie „Typ B Aortendissektion”, AWMF 2018; Registernummer:004-034; www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/004-034l_S2k_Typ_B_Aortendissektion_2018-09.pdf (letzter Zugriff: April 2021)
- www.amboss.com/de/wissen/Aortendissektion (letzter Zugriff: April 2021)
- Weigang E et al.: Management von Patienten mit Aortendissektion. Dtsch Ärztebl 2008; 105(38), 639–645
- Folkmann S et al.: Die Hybrid-OP-Technik der akuten Aortendissektion Typ A. Austrian Journal of Cardiology 2012; 19(9–10):278–281