Ulcus an der Ferse

Der Fall
Sie machen eine Vertretung für einen Kollegen im Seniorenheim. Dort werden Sie bereits erwartet. „Frau K. ist eine neue Bewohnerin, sie ist erst seit zwei Tagen bei uns. Sie kam in einem sehr verwahrlosten Zustand zu uns“, erklärt Ihnen rasch die Schwester. „Beim Baden ist uns jetzt ein Fersenulkus aufgefallen, die gar nicht gut aussieht. Bitte schauen Sie sich diese Wunde einmal genauer an!“
Aus den Akten erfahren Sie nicht viel, außer dass Frau K. (82 J.) unter Demenz leidet und nur eine Tochter hat, die im Ausland lebt. Diese habe wohl die Aufnahme ins Seniorenheim eingeleitet, da sich ihre Mutter nicht mehr selbständig versorgen konnte. Vormedikation sowie weitere Vorerkrankungen sind unbekannt.
Die zierliche alte Dame wirkt bei der Visite etwas verloren und deutlich verwirrt. An der rechten Ferse zeigt sich eine tiefe Wunde (ca. 2cm im Durchmesser) mit Weichteilschädigung. Sie ist schmierig und mit Granulationsgewebe belegt.
Welche Therapie ordnen Sie an und welche weiteren Maßnahmen ergreifen Sie?
„Der Fall stellt uns vor eine Reihe schwer zu lösender Probleme“
OA Dr. Luka Girardi, Leiter der Gefäßambulanz im Gesundheitszentrum Wien-Mariahilf:
Der Fall stellt uns vor eine Reihe zu lösender Probleme. Die Patientin ist verwirrt, ihr Zustand über längeren Zeitraum unbekannt, außer dass sie zu Hause unzureichend versorgt war. Mehrere Umstände können die Verwirrtheit auslösen oder verschlimmern, z.B. Medikamente, Infektionen oder Dehydratation. Diese Fragen müssen mit Hilfe weiterer Diagnostik (Status, Labor, ev. weitere apparative Untersuchungen) und erweiterter Anamnese beantwortet werden und daraus therapeutische Konsequenzen (Rehydratation, Medikamentenumstellung, ev. Antibiose …) gezogen werden. Eine Unterernährung ist mit dem Zustand (zierliche Dame, Demenz, Unterversorgung) durchaus vereinbar und eine entsprechende ernährungsmedizinische Intervention indiziert.
Die Wunde befindet sich an der rechten Ferse: Bei der allem Anschein nach wenig mobilen und nicht gepflegten Patientin ist das Fersenulkus wahrscheinlich ein durch ständigen Druck und fehlende Entlastung entstandenes Ulcus, ein Decubitus. Trotzdem muss die Möglichkeit einer Peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) im Auge behalten werden: Sie ist wahrscheinlich keine Ursache dessen, eine Abheilung des Ulcus kann sie jedoch erschweren.
Das Ulcus ist schmierig belegt, d.h. lokal infiziert; die Granulation zeigt, dass eine Heilungstendenz des Gewebes grundsätzlich besteht; Knochen liegt nicht frei, somit besteht vorerst kein Hinweis auf eine Osteomyelitis.
Die Lokaltherapie des Ulcus an der Ferse sollte enthalten: eine antiseptisch wirkende Wundreinigung, Randschutz, feuchte Wundbehandlung mit einer antimikrobiell wirkenden Wundauflage, solange die Wunde infiziert ist (danach Wechsel auf andere Wundauflagen), trockenen Schutzverband und Druckentlastung.
Im Falle einer PAVK würde man in Anbetracht des beschriebenen Zustandes und angenommener Multimorbidität neben der konservativen Therapie eine gefäßerweiternde oder gar operative Therapie sehr zurückhaltend überlegen und den erwarteten Nutzen gegen Risikofaktoren abwiegen. Gänzlich außer Acht sollte man sie nicht lassen, denn chronische Wunden ziehen Komplikationen nach sich, verstärken die Multimorbidität und verschlechtern die Prognose.
Da eine Granulation besteht, ist eine relevante Minderdurchblutung nicht wahrscheinlich und man würde vorerst sicherlich konservativ eine Heilung zu erreichen versuchen.
„Als auslösende Ursache des Fersenulkus ist zu allererst das Schuhwerk zu kontrollieren“
Dr. Ilse Hellemann-Geschwinder, Lehrpraxis für Allgemeinmedizin, Lehrbeauftragte der MedUni Graz, ÖÄK-Diplome für psychosoziale u. psychosomatische Medizin sowie Geriatrie und Palliativmedizin:
Die Fersen sind Prädilektionsstellen für Druckgeschwüre (Dekubitalulcera). Da aus der Fallbeschreibung nicht auf eine bettlägerige Patientin zuschließen ist, ist als auslösende Ursache des Fersenulkus zu allererst das Schuhwerk zu kontrollieren. Solange Druck auf die Ulcus-Wunde ausgeübt wird, ist mit Heilungstendenz nicht zu rechnen.
Weiters erfolgt eine Wundtoilette mit Entfernung eindeutig abgestorbener Gewebsteile, Desinfektion vorzugsweise mit Betaisodona-Lösung, Vermeiden zu großzügigen „Anfrischens“ der Wundränder – hier bin ich wesentlich vorsichtiger als verschiedene Kollegen aus der Chirurgie –, täglicher steriler Verbandwechsel, vorzugsweise mit Betaisodona-Wundgel, Fettgaze, Tupfer und Wattepolsterung, nachts druckfreie Lagerung, tags evtl. Fersenentlastungsschuh und ... viel Geduld.
Eine Antibiotikatherapie oral oder parenteral erfolgt nur bei generalisierter Wundinfektion (z.B. Rotlauf), eine Gewebeprobe nur bei Verdacht auf Malignom.
Parallel dazu sind auch die Gewebsschädigung begünstigenden internistischen oder neurologischen Faktoren abzuklären. Dabei denke ich an Diabetes mellitus, kombinierte Durchblutungsstörungen oder Nervenschädigungen (z.B. PNP, St.p. Polio etc.).
Mir ist bekannt, dass es modernere, eventuell auch gezielter wirksame Wundauflagen bzw. Verbandstoffe gibt: Alginat, Silber, Aktivkohle, Enzymaktive, Kolloidverbandsmaterialien, nicht zu vergessen Fliegenmaden und Med-Honey. Andererseits bin ich als Kassenvertragsärztin zur Ökonomie verpflichtet und betrachte die geschilderte traditionelle Vorgangsweise beim Fersenulkus als am kostengünstigsten und ausreichend effektiv.
„Zu behandeln sind zwei Bereiche: das Fersenulkus und das demenzielle Syndrom“
Dr. Paul Groß, Arzt für Allgemeinmedizin, Zusatzfach Geriatrie, ÖÄK-Diplome für Palliativmedizin, psychosoziale und psychosomatische Medizin, Wien:
Die Behandlung sollte sich in zwei Bereiche aufteilen:
Die Wunde. In dieser unklaren Situation ist es wichtig, nach den Grundprinzipien des Wundmanagements vorzugehen:
- Nass-Trocken-Phase mit 0,9% NaCl und, da die Wunde tief ist, anschließend einen Wundabstrich abnehmen, um den Knochen an der Ferse eventuell mit einem Antibiotikum abzuschirmen.
- In die Wunde selbst ein Silberalginat (z.B. Suprasorb A + Ag) eintamponieren oder zuschneiden und zusätzlich mit Aqua oder Hydrogel befeuchten, sollte die Ulcus-Wunde zu trocken sein.
- Wundrandschutz mit einer Zinkcreme und mit Hydrofaser (z.B. Durafiber oder Aquacel) abdecken.
- Sekundärverband: ein Allevyn Heel mit Raucolast befestigen.
- Ferse beim Liegen frei lagern und für die Mobilisation unter Tags einen Fersenentlastungsschuh besorgen. (Dieser ist im Sanitätsfachhandel erhältlich.)
- Verbandswechselintervall: am Anfang jeden 2. Tag
Das dementielle Syndrom. Da diese Patientin anscheinend keinerlei Vorbehandlungen oder Untersuchungen hatte, sollte ein umfassendes geriatrisches Assessment stattfinden. Als Erstes ist die Beurteilung der medizinisch-körperlichen Ebene bedeutsam. Dies beinhaltet vor allem eine gute internistische Basisuntersuchung mit EKG und erweitertem Labor. Hier gilt es, eventuelle zugrundeliegende Systemerkrankungen aufzuspüren (z.B.: Diabetes, Elektrolytmangel, VHFL etc.).
Weiters sollte eine Abklärung der kognitiven Fähigkeiten stattfinden. Die neurologisch-differenzialdiagnostischen Überlegungen in Bezug auf eine vaskuläre oder Alzheimer-Demenz und die Einordnung des Stadiums der Erkrankung hat wesentliche Auswirkungen auf die Auswahl einer allfälligen Medikation.
Hilfreich wäre hier sicher auch ein MRT des Schädels. Bei entsprechender personeller Unterstützung und um das Assessment abzurunden, wäre noch die Erfassung der alltagspraktischen Aktivitäten (so z.B. durch den Barthel-Index) wünschenswert.
Ziel jedenfalls ist es, die Selbständigkeit der Patientin soweit wie möglich zu erhalten.
Weiterlesen