15. Juni 2020Komplementäre und alternative Therapien

Entspannung für Magen und Darm

Für den Kampf gegen ihre Symptome greifen Patienten mit gastrointestinalen Erkrankungen tief in den Geldbeutel. Dabei setzen sie immer mehr auf komplementäre und alternative Therapien – und scheinen damit äusserst zufrieden.

Frisches Blatt Minze grüne Kräuter Zutat für Mojito-Getränk, isoliert auf weißem Hintergrund.
iStock-1164307019/Yasonya

Wie darf man sich den typischen Patienten vorstellen, der sein Reizdarmsyndrom, die permanente Übelkeit oder die funktionelle Dyspepsie auf «natürlichem» Weg in den Griff bekommen möchte? Laut Literatur weiblich, gut situiert und hochgebildet, gern auch etwas fülliger.

Die Chancen stehen nicht schlecht, dass es Gastroenterologen mit Patienten zu tun bekommen, die lieber Kräuter, Akupunktur, Cannabis oder Yoga statt chemischer Medikamente verschrieben bekommen wollen. Schätzungen aus sys­tematischen Reviews gehen von bis zu 44 % aus, in anderen Arbeiten ist gar von jedem zweiten Gastropatienten die Rede. Grund genug, sich als Arzt näher mit den komplementären und alternativen Therapien (kurz CAM) zu beschäftigen, finden Dr. Jill­ K. Deutsch­ von der Yale University School of Medicine und Kollegen.

Vielfältige Ursachen für Übelkeit und Erbrechen

Von viralen Gastroenteritiden bis zur veränderten Hormonlage bei Schwangeren – die Ursachen von Übelkeit und Erbrechen können vielfältig sein. Besonders werdende Mütter möchten natürlich möglichst auf pharmakologische Präparate verzichten. Häufig werden deshalb pflanzliche Arzneimittel auf Basis von Ingwer verwendet. Dessen antiemetischer Effekt scheint dabei auf einer anticholinergen und antiserotonergen Komponente der Pflanze zu beruhen.

In einigen Studien erwies sich Ingwer bei postoperativem Erbrechen/Übelkeit gegenüber Placebo überlegen und Metoclopramid zumindest als ebenbürtig. Eine Metaanalyse konnte jedoch keinen signifikanten Vorteil der Knolle ausmachen. Zwar gilt Ingwer als relativ sicher. Es liegen aber auch Hinweise vor, die die Heilpflanze als potenziell mutagen einstufen, weshalb man einen übermässigen Gebrauch in der Schwangerschaft kritisch betrachten sollte.

Diese Frauen könnten auf Vitamin B6 umsteigen, das in mehreren Studien mit positiven Effekten bei schwangerschaftsinduziertem Erbrechen aufwarten konnte. Abraten sollte man ihnen (natürlich) von Cannabis, einer weiteren oft genutzten Alternative gegen Übelkeit. Ob die Blüten wirklich helfen, ist bisher unklar. Wer als Betroffener trotzdem auf Cannabis setzen möchte, sollte gewarnt sein: Ein regelmässiger Gebrauch kann selbst eine Hyperemesis auslösen.
Gut belegt ist dagegen die Wirksamkeit der Akupunktur bzw. Akupressur am Punkt P6. Patienten können die Stelle leicht selbst aktivieren und finden sie 2,5–3 fingerbreit proximal der Palmarfalte des Handgelenks auf der volaren Seite in der Mittellinie. Ein systematisches Review von fast 30 Publikationen deutet an, dass diese Stimulation Nausea und Erbrechen verschiedener Genese effektiver lindert als Placebo.

Ängste reduzieren mit Entspannungsverfahren

Leiden Patienten so sehr unter ihrer Übelkeit, dass sie deshalb Ängste entwickeln, können sie mit Entspannungsverfahren wie der Progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson aktiv gegenarbeiten.

Dyspepsie

Bei funktioneller Dyspepsie sind von den pflanzlichen Wirkstoffen Pfefferminze und Kümmel am besten untersucht. Beide sollen über die Blockade von Kalziumkanälen muskelrelaxierend wirken. Im Placebovergleich linderte eine Fixkombi aus täglich 180–270 mg Pfefferminze plus 100–150 mg Kümmel über 29 Tage epigastrische Schmerzen und Blähungen deutlich besser.
Das pflanzliche Kombinationspräparat STW-5 hat sich in einer Doppelblindstudie als vergleichbar effektiv wie Cisaprid bei dyspepsietypischen Symptomen erwiesen. Laut einer Metaanalyse gingen epigastrische Schmerzen und gastroösophagealer Reflux sogar besser zurück, wenn die Teilnehmer vier Wochen lang dreimal täglich 1 ml STW-5 zu sich nahmen. Suggestible Personen könnten es mit Hypnose probieren. Im Vergleich zu Cisaprid lässt sich die Magenentleerungszeit damit offenbar besser beschleunigen.

Reizdarmsyndrom

Komplementäre und alternative Heilverfahren zielen bei einem Reizdarmsyndrom (RDS) vor allem darauf ab, die Schmerzen zu lindern und den Stuhlgang zu normalisieren. Gern und häufig genutzt werden Flohsamenschalen (Psyllium). Die enthaltenen Faserstoffe quellen im Darm auf, vergrössern das Volumen des Stuhls, verbessern dessen Konsis­tenz und verkürzen die Transitzeit. Eine systematische Überblicksarbeit zeigt, dass Psyllium (20–35 g/d) die Reizdarmsymptomatik effektiver lindert als Weizenkleie.

Wer im Rahmen eines RDS unter Blähungen leidet, kann bzw. sollte etwas an seiner Ernährung verändern. In einer Vielzahl von Untersuchungen berichteten deutlich mehr Betroffene von einer Verbesserung ihrer Beschwerden, wenn sie sich mit möglichst wenigen fermentierbaren kurzkettigen Kohlenhydraten ernährten (sog. Low-FODMAP-Kost), als wenn sie eine andere Ernährungsform praktizierten (76 % vs. 54 %).

L. plantarum und B. animalis beruhigen den Blähbauch

FODMAP sind Oligo-, Di- und Mono­saccharide sowie Polyole, die Fermentationsprozesse im Kolon inkl. die Bildung von Gas anregen und durch osmotische Effekte zu einem höheren Wassergehalt führen.
Während Präbiotika wie Fructo­oligosaccharide keine nennenswerten Effekte auf die Symptome zeigen, besserten sich Bauchschmerzen und Flatulenz unter der Einnahme des Probiotikums Lactobacillus plantarum.

Bifidobacterium animalis hilft gegen Blähungen, Schmerzen und das Gefühl der inkompletten Entleerung. Ausserdem lohnt sich ein Versuch mit Pfefferminzöl (90 mg/d), STW-5 (3 × je 1 ml/d) und Kur­kuma (2 g/d).

Ebenfalls hilfreich sind die kognitive Verhaltenstherapie, die Hypnotherapie sowie die mindfulness based stress reduction. Bei diesen Verfahren lernen Patienten, ihre Überreaktionen auf Stressoren abzubauen und ungünstiges Copingverhalten zu reduzieren. Im Vergleich zu konventionellen RDS-Therapien scheint auch Yoga die Symptome und Ängste von Betroffenen deutlicher zu lindern.

Deutsch JK et al.
Am J Gastroenterol 2020; 115: 350–364.