10. Juni 2020Akuter myokardialer Schaden belastet auch Patienten ohne Komorbidität

Corona trifft mitten ins Herz

Bereits seit den ersten Wochen der Corona­-Pandemie ist klar: Viele Betroffene haben eine begleitende kardiovaskuläre Erkrankung. Damit geht eine deutlich schlechtere Pro­gnose einher. Wie genau die Infektion dem Herz zusetzt und was das für die Praxis bedeutet.

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Während den meisten Influenza-Epidemien sterben mehr Patienten an kardio­vaskulären Komplikationen als an der virusbedingten Pneumonie selbst. Wer z.B. unter einer KHK leidet, trägt ein grösseres Risiko, bei einer Infektion ein akutes Koronarsyndrom zu entwickeln. Herzinsuffiziente neigen dazu, durch die begleitende Stressreaktion kardial zu dekompensieren.

Auch die gängigen Coronaviren können das Herz-Kreislauf-System in Mitleidenschaft ziehen. Dass vorbelastete Patienten nun schwerere Covid-19-Verläufe entwickeln als Herzgesunde, liegt also nahe. SARS-CoV-2 dringt – wie das SARS-Coronavirus­ von 2003 – mithilfe des Oberflächenmoleküls Angiotensin-Converting-Enzym 2 (ACE2) in die Wirtszelle ein. Dieses Protein findet sich in den Atemwegen sowie an Gefässendothel und glatter Gefässmuskulatur, am Dünndarmepithel und auf Immunzellen, erklären Dr. Mohammad Madjid vom University of Texas Health Science Center in Houston und Kollegen.1

Bis jetzt steht fest: Über 60-Jährige, Männer und Personen mit Komorbiditäten (Hypertonie, Diabetes, kardio- und zerebrovaskuläre Erkrankungen) laufen besonders Gefahr, an der SARS-CoV-2-Infektion zu sterben. Die Allgemeingültigkeit des Risikofaktors «männliches Geschlecht» stellen Experten allerdings infrage. Denn viele Daten kommen aus China, wo mehr als jeder zweite Mann raucht, aber nur 3 % der Frauen. Dies könnte den beobachteten Unterschied erklären.

Schwere Verläufe mit hohen kardialen Biomarkern

Wie relevant die kardiovaskulären Begleitleiden sind, zeigt ein kurzer Abstecher in die Epidemiologie.­ In China lag die Sterblichkeit von Covid-19 insgesamt bei 2,3 %, mit einer Herzkrankheit (exkl. Bluthochdruck) stieg sie auf 10,5 %, ohne Komorbiditäten betrug sie lediglich 0,9 %. Eine Fallserie mit 191 Patienten fand folgende Prävalenzen bei Gestorbenen (n = 54) und Überlebenden (n = 137): Hypertonie 48 % vs. 23 %, KHK 24 % vs. 1 %, Herzinsuffizienz 52 % vs. 12 %, akuter Myokardschaden 59 % vs. 1 %.
Vor allem der myokardiale Schaden scheint die Prognose zu beeinflussen. Pathologische Serumspiegel der kardialen Biomarker lassen sich bei schweren Verläufen regelmässig nachweisen. Eine Infektion mit SARS-CoV-2 könnte also nicht nur die Exazerbation einer Grunderkrankung fördern, sondern das Herz auch de novo schädigen, worauf mehrere Studien inzwischen hindeuten.

So untersuchten Kollegen aus Wuhan die Troponin-T (TnT)-Level von 187 Covid-19-Erkrankten.2 Ungefähr jeder Dritte hatte ein kardio­vaskuläres Leiden und etwa jeder Vierte einen akuten Myokardschaden (TnT-Erhöhung über die 99. Perzentile). Letzterer betraf erwartungsgemäss eher Ältere mit Komorbiditäten. Die TnT-Zunahme ging mit einer signifikant höheren Mortalität einher (59,6 % vs. 8,9 %). Parallel dazu stieg zudem der NT-proBNP-Spiegel. Das Besondere: Prognostisch entscheidend war weniger das Grundleiden an sich. Von den Vorbelasteten ohne pathologisches TnT starben 13 %, von den zuvor Gesunden mit auffälligem TnT 37,5 %.

Direkter Virusbefall, Hypoxie, systemische Inflammation?

Für einen solchen Myokardschaden gibt es zahlreiche Erklärungen. Sie reichen vom direkten Virusbefall über eine Plaqueruptur infolge der systemischen Inflammation bis hin zur ausgeprägten Hypoxie/­Hypoxämie. Alle potenziell zugrunde liegenden Mechanismen können in einen akuten Infarkt, eine dekompensierte Herzinsuffizienz oder eine Arrhythmie münden.

Immer wieder wird von einer starken Immunantwort auf die Infektion mit SARS-CoV-2 berichtet, verbundem mit dem Begriff des Zytokinsturms. Auch die oben genannten Patienten aus Wuhan zeigten einen CRP-Anstieg, der linear mit den TnT-Spiegeln korrelierte.

Darüber hinaus können erhöhte kardiale Biomarker für eine Myokarditis stehen. Schliesslich gelten Viren als einer der häufigsten Auslöser der Herzmuskelentzündung. Anscheinend kommt es bei Covid-19 mitunter sogar zu einer kardialen Beteiligung, ohne dass eine Pneumonie auftritt, wie ein Fall aus Italien veranschaulicht (s. Kasten).3

Um Betroffene adäquat versorgen zu können, muss man den Einfluss von SARS-CoV-2 auf das kardiovaskuläre System noch besser verstehen. In bisherigen Analysen wurde zu wenig zwischen den Grunderkrankungen unterschieden, kritisieren chinesische Kardiologen.4 Sie empfehlen, Komplikationen in allen betroffenen Ländern zu beobachten und auf andere prognostisch relevante Risikofaktoren zu achten.

Die therapeutische Strategie beschränkt sich vorerst darauf, Komplikationen leitliniengerecht zu behandeln. Womöglich ergeben sich aus dem täglich wachsenden Wissen zu Covid-19 bald weitere Handlungsanweisungen. Zum Beispiel das Messen von kardialen Biomarkern zur Risikostratifizierung oder Triage.

Mit Myokarditis zur Covid-19-Diagnose

Eine ausgeprägte Fatigue zwingt eine sonst gesunde 53-Jährige, die Notfallstation einer italienischen Klinik aufzusuchen. Fieber hat sie nicht, aber einen niedrigen Blutdruck, diffuse ST-Hebungen im EKG sowie erhöhte hs-TnT- und NT-­proBNP-­Spiegel. Der Röntgen-Thorax ist unauffällig. Ana­mnestisch berichtet die Frau über Fieber und trockenen Husten vor einer Woche. Aufgrund der aktuellen Coronapandemie entnehmen die Ärzte einen nasopharyngealen Abstrich und testen auf SARS-CoV-2. Das Ergebnis der Echtzeit-PCR: positiv. Zusammen mit der stark eingeschränkten linksventrikulären Ejektionsfraktion (35 %) spricht das MRI für eine akute Perimyokarditis (diffuses biventrikuläres Ödem, late enhancement, Perikarderguss). Auf eine Biopsie zur histologischen Bestätigung verzichten die Kollegen. Neben einer Herzinsuffizienztherapie samt Inotropika erhält die Patientin Kortikosteroide, Chloroquin und Lopinavir/Ritonavir. Darunter stabilisiert sich ihr Zustand.

1. Madjid M et al. JAMA Cardiol 2020;
doi: 10.1001/jamacardio.2020.1286
2. Guo T et al. A.a.O.
doi: 10.1001/jamacardio.2020.1017
3. Inciardi RM et al. A.a.O.
doi: 10.1001/jamacardio.2020.1096
4. Yang C, Jin Z. A.a.O.
doi: 10.1001/jamacardio.2020.0934