Es gibt mehr als nur die Wanderröte
Ab dem Frühling kommen wieder Patienten nach einem Zeckenstich in die Praxis, weil sie eine Borreliose befürchten. Wer hat tatsächlich spezifische Symptome? Und wer braucht welches Antibiotikum?
Eine Lyme-Borreliose macht sich in bis zu 90 % der Fälle auf der Haut bemerkbar. Die verschiedenen Früh- und Spätsymptome können variieren, schreiben Dr. Cora Scheerer von der Klinik für Dermatologie und Allergologie am Biederstein der Technischen Universität München und ihre Kollegen.1
Das typische randbetonte Erythema migrans entwickelt sich meist nach einigen Tagen um die Einstichstelle herum. Es ist nicht erhaben, die Rötung wandert von innen ausgehend mindestens 5 cm nach aussen. In diesem Fall ist jede weitere Borrelien-Diagnostik unnötig, erklären Dr. Volker Fingerle vom Nationalen Referenzzentrum für Borreliose und Professor Dr. Andreas Sing vom Bayerischen Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit in Oberschleissheim.2
Das Erythem muss nicht immer leuchtend rot sein
Die Wanderröte bleibt in manchen Fällen die einzige Manifestation, sie muss allerdings nicht immer leuchtend rot sein. Gelegentlich ist sogar «Rötung» übertrieben, die Veränderung erscheint allenfalls blassrosa oder wird nur bei Erwärmung sichtbar. In anderen Fällen ist sie fleckig oder infiltriert. Von allergischen Reaktionen lässt sich das Erythema migrans über die zentrifugale Zunahme der flachen, randbetonten Rötung – Crescendo-Reaktion – unterscheiden. Klingt es nach spätestens vier Wochen nicht ab, hat sich ein Erythema chronicum migrans entwickelt.
Nachhaken sollte man, wenn der Patient nur über die charakteristische Rötung berichtet: Nicht jeder erinnert sich an die Zecke. In manchen Fällen lässt das Frühsymptom bis zu 30 Tage auf sich warten. Dann ist auch die Einstichstelle nur noch schwer auszumachen.
Breiten sich die Borrelien via Bindegewebe aus, kommt es zu multiplen Erythemen. Zusätzliche Hautrötungen müssen nicht persistieren, sondern rezidivieren mitunter über Tage oder Wochen. Gelangen die Spirochäten über die Blutbahn in andere Organe, können die Patienten auch systemische grippeähnliche Symptome und/oder neurologische Manifestationen entwickeln.
Ebenfalls ein lokales, wenn auch weniger bekanntes Frühsymptom ist das Borrelien-Lymphozytom aufgrund einer Lymphozyten-Hyperplasie. Dabei fällt meist an Ohrläppchen, Brustwarzen oder anogenital ein einzelnes, leicht gerötetes, sonst symptomloses Knötchen auf, gelegentlich bildet es sich auch innerhalb eines chronifizierten Borrelien-Erythems.
Häufigste Spätmanifestation der Lyme-Borreliose ist die Acrodermatitis chronica atrophicans. Es kann Monate bis Jahre dauern, bis die Veränderung auftritt, die anfangs kaum Beschwerden verursacht. Dementsprechend häufig wird sie verkannt. Die zunächst leicht gerötete, ödematös infiltrierte Haut mit nicht schuppenden Plaques vor allem an den Beinen lässt sich mit einer chronisch venösen Stauungsinsuffizienz verwechseln.
Die Atrophie entwickelt sich erst allmählich: die lokale Behaarung geht verloren, es kommt zu livide-bräunlichen Verfärbungen, die Gefässe zeichnen sich deutlich ab und die Haut faltet sich papierartig. Mehr als die Hälfte der Patienten entwickelt zusätzlich peripher-neurologische Symptome wie Parästhesie, Allodynie, Myalgie und Arthralgie.
Brennende Schmerzen bei Neuroborreliose
Seltener verursachen die Spirochäten ausschliesslich eine Neuroborreliose. Frühmanifestationen wie Bannwarth-Syndrom (Polyradikuloneuritis) und Meningitis treten bereits wenige Wochen nach der Infektion auf. Betroffen sind meist Spinalnerven und in gut der Hälfte der Fälle auch Hirnnerven, v. a. der N. facialis. Auch eine alleinige Hirnnervenbeteiligung ist möglich.
Erwachsene klagen am häufigsten über brennende Schmerzen, vor allem nachts. Im Verlauf können Parästhesien und Paresen in den Versorgungsgebieten der betroffenen Nerven folgen, z.B. als Mononeuritis multiplex. Bei Kindern mit Neuroborreliose sieht man dagegen eher eine Meningitis mit Kopfschmerzen, steifem Nacken, Reizbarkeit und – typischerweise – einer Fazialisparese.
Späte Neuroborreliosen machen nur etwa zwei von 100 Erkrankungsfällen aus. Sie treten vor allem als Enzephalomyelitis mit spastisch-ataktischem Gangbild und Störungen beim Wasserlassen (Zeichen der Myelitis) auf. Bei manchen Patienten kommen Aphasie und Krampfanfälle dazu (Zeichen der Enzephalitis).
Eine absolute Seltenheit ist die Borrelien-induzierte intrakranielle Vaskulitis. Man erkennt die Gefässentzündung in CT, MRT oder via Duplex-Sonografie v. a. im posterioren Stromgebiet. Für die Prognose sind besonders Lokalisation und Ausdehnung des ischämischen Gebiets entscheidend.
Eine Spät-Neuritis bzw. -Polyneuropathie tritt dagegen eigentlich nur in Kombination mit einer Acrodermatitis auf, weshalb man bei positivem Antikörpernachweis ohne Hautsymptome nicht auf eine akute Infektion schliessen sollte, warnen die Fachleute (s. Kasten unten links).
Die Prognose ist auch für Neuroborreliosen gut. Für eine «chronische Borreliose», eine persistierende oder latente Infektion mit unspezifischen Beschwerden ohne klinische Befunde gibt es keine Belege. Gleiches gilt für ein «Posttreatment Lyme-Disease Syndrom».
Im Stufenschema nach Antikörpern suchen
Das perfekte Diagnoseverfahren existiert nicht. Sinnvoll ist ein mehrstufiges Vorgehen, bei dem erst auf einen positiven oder grenzwertigen Antikörper-Suchtest mit hoher Sensitivität ein zweiter, teurerer Test (z.B. Immunoblot) mit höherer Spezifität folgt, schreiben Dr. Fingerle und Prof. Sing. Allerdings bilden sich die Antikörper erst ab drei (IgM) bis sechs (IgG) Wochen nach der Infektion. Parallele Tests für die einzelnen Borrelien-Spezies sind überflüssig, so die Meinung der Experten. Dafür ist die jeweilige Kreuzreaktivität hoch genug. Generell deutet ein Borrelien-spezifischer IgM/IgG-Nachweis auf eine frühe und der dreifache Nachweis zusammen mit IgA auf eine späte Manifestation hin.
Der Verdacht auf Neuroborreliose muss nicht nur über das Serum, sondern auch über eine Liquoruntersuchung bestätigt werden. Entscheidend ist das Verhältnis der Antikörperkonzentration in der Zerebrospinalflüssigkeit zu der im Serum. Nur ein «antikörperspezifischer Index» über 1,5 spricht für eine lokale Produktion und damit für einen ZNS-Befall. Hinzu kommen unspezifischere Befunde wie eine Pleozytose mit überwiegend Lymphozyten und ein erhöhter Albuminquotient als Zeichen der gestörten Blut-Hirn-Schranke. Bei Kindern ist die Antikörperproduktion im Liquor bei früher Neuroborreliorse meist noch nicht ausgebildet und deshalb diagnostisch eher ungeeignet.
Eine Infektion des Nervensystems kann auch über einen negativen CXCL13-Test (Sensitivität 96 %, Spezifität 94 %) ausgeschlossen werden. Allerdings bildet der Körper das Chemokin auch bei Neurosyphilis oder zerebralem Lymphom.
Differenzialdiagnosen
- zirkumskripte Sklerodermie
- Granuloma anulare
- Tinea
- Sarkoidose
- Erythema anulare et diutinum
- Urtikaria-Vaskulitis
Die richtige Probeentnahme
Die Entnahme von Blut bzw. Liquor erfolgt immer vor Therapiebeginn. Wegen der geringen Erregerzahl sollte (steril!) möglichst viel Material gewonnen (bei Liqour mindestens 3 ml) und –wenn möglich – innerhalb von 24 h verschickt werden.
Der direkte Erreger-Nachweis über Kultur oder eine PCR ist nur in Ausnahmefällen oder bei diagnostisch unklaren Fällen nötig. Zieht man ein entsprechendes Verfahren in Erwägung, können ausgewiesene Speziallabore weiterhelfen.
Antikörper sind nicht alles
Besteht bei entsprechenden Symptomen der Verdacht «Borreliose», wird im Blut nach Borrelien-spezifischen Antikörpern gesucht. Ein reiner Patientenwunsch ist ohne Symptome keine Indikation.
Achtung: Ein positiver Antikörpernachweis muss nicht automatisch eine akute Infektion bedeuten. Gewisse Menschen entwickeln im Laufe ihres Lebens Borrelien-Antikörper – je nach Wohnort und Alter. Fehlen z.B. die charakteristischen Symptome, hat der Patient die Infektion wahrscheinlich schon lange hinter sich. Ausserdem können auch bestimmte Virusinfekte (z.B. mit EBV) kreuzreagierende Immunglobuline hervorrufen.
Wirkstoffe der Wahl bei Borreliose-Manifestationen | ||
Manifestation | Therapie | Dauer |
Haut | ||
lokalisiert: Erythema (chronicum) migrans, Borrelien-Lymphozytom | Doxycyclin*, Amoxicillin Alternativ: Cefuroxim, Ceftriaxon, Cefotaxim, Azithromycin, Clarithromycin | Doxycyclin: 10–14 d; Amoxicillin, Cefuroxim: 14 d; Azithromycin: 5–10 d |
disseminiert: multiple Erythemata migrantia | 14–21 d, nur Azithromycin: 5–10 d | |
Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA) ohne neurologische Symptome | oral Doxycyclin* oder Amoxicillin | 30 d |
Nervensystem (Neuroborreliose) | ||
Polyradikuloneuritis, Meningitis | Doxycyclin* (oral) oder Ceftriaxon, Cefotaxim, Penicillin G als Infusion | 14 d |
Enzephalomyelitis, borrelieninduzierte zerebrale Vaskulitis, periphere Polyneuritis/Polyneuropathie (bei ACA) | 14–21 d (keine Vorteile bei Verlängerung!) | |
* bei Schwangerschaft und Kindern unter 8 Jahren kontraindiziert |
1. Scheerer C et al. Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: 19–28.
2. Fingerle V, Sing A. Dtsch Med Wochenschr 2020; 145: 29–34.