1. Feb. 2019

Bohren, brechen und stanzen in der Knorpelwerkstatt

Vier Reparaturverfahren für kleine und grosse Defekte.

Schon kleine Knorpelschäden können die Gelenkfunktion erheblich mindern, starke Schmerzen auslösen und zur Arthrose führen. Doch das ist kein unabwendbares Schicksal, denn es gibt zahlreiche chirurgische Reparaturmöglichkeiten. Welche sich am besten eignet, richtet sich nach der Defektgrösse.

Heute wird die obere Altersgrenze für eine regenerative Behandlung von Knorpel­läsionen mit etwa 50 bis 55 Jahren angesetzt. Bei der Wahl des Therapieverfahrens spielen Ausdehnung und Lage des Knorpeldefekts eine entscheidende Rolle, schreibt das Team um Dr. Alexander Rauch von der Sporttraumatologie und Kniechirurgie der ATOS Klinik München. Eine fortgeschrittene Arthrose und gegenüberliegende Gelenkschäden, sogenannte kissing lesions, gelten allerdings als Kontraindikationen.

Mikrofrakturierung ist einfach durchführbar

Knochenmarkstimulierende Verfahren wie die Mikrofrakturierung (MFx) eignen sich nur zur Behandlung umschriebener Knorpelschäden von maximal 2,5 cm2 Fläche (Grad 3–4, siehe Tabelle). Ein Vorteil dieser Technik: die einfache Durchführung. Im Abstand von 3–4 mm wird die subchondrale Knochenplatte bis in eine Tiefe von 2–4 mm perforiert. Aus den Löchern treten mit dem Blut mesenchymale Stammzellen aus, was zur Bildung von Zell-Blut-Koageln im Defekt führt. Aus diesem Blutklott entsteht ein hyalinartiger Regeneratknorpel. Da er nicht so haltbar ist wie «echter» Knorpel, beschränkt sich die Anwendung auf kleine Läsionen.

Mit der matrixassoziierten autologen Chondrogenese (AMIC), einer Modifikation der Mikrofrakturierung, lassen sich auch grössere Schäden (Grad 3–4, > 2–3 cm2) behandeln, wenn eine Übertragung von autologen Knorpelzellen nicht infrage kommt. Dabei wird der Blutklott im Defektbett mithilfe einer passgenauen Matrix festgehalten. Diese sorgt dafür, dass die ausströmenden mesenchymalen Stammzellen im Defekt verbleiben und begünstigt die Umwandlung in Chondrozyten.

Anzüchtung von Knorpelzellen im Labor

Die autologe Chondrozyten-Transplantation kann mit und ohne Matrix (ACT/MACT) stattfinden. Das Verfahren erfordert jedoch immer ein zweizeitiges Vorgehen: Beim ersten Eingriff entnehmen die Chirurgen einen kleinen Knorpel-Knochen-Zylinder aus einem unbelasteten Teil des Gelenks (zum Beispiel laterale Femurkondylen). Danach werden die Knorpelzellen im Labor angezüchtet (siehe Abbildung). Vier bis acht Wochen später erfolgt die Transplantation, bei Bedarf ergänzt durch weitere Eingriffe (wie Umstellungsosteotomie oder Bandrekonstruktion).

Vor der Befüllung bedarf der Defekt einer gründlichen Präparation, mit der man geschädigte Knorpelanteile entfernt und stabile Ränder im Gesunden schafft. Anders als bei den knochenmarkstimulierenden Verfahren darf es aus der Läsion nicht bluten.

Die MACT hat sich in mehreren Studien der Mikrofrakturierung überlegen gezeigt. So konnte ein grös­serer Teil der Patienten seinen Sport wieder aufnehmen bzw. an alte Leistungen anknüpfen. Indiziert ist diese Transplantation zur Behandlung symptomatischer Knorpelschäden (Grad 3–4) mit einer Ausdehnung von mehr als 2–3 cm2.

Bei Knochen-Knorpel-Läsionen kombinieren die Chirurgen die MACT inzwischen häufig mit einer Spongiosaplastik. Dabei entfernt man den geschädigten Knochen und füllt den entstandenen Defekt mit autologer Spongiosa (beispielsweise aus dem Beckenkamm) auf. Anschliessend erfolgt die MACT in der üblichen Technik. Auf diese Weise lassen sich auch Läsionen decken, deren Grösse 3–4 cm2 überschreitet.

Autologe Transplantation auch auf einmal möglich

Die osteochondrale autologe Transplantation (OAT) ermöglicht als einziges Verfahren, betroffene Stellen (bis zu einer Grösse von etwa 3–4 cm2) in einer Sitzung mit hyalinem Knorpel zu decken und Knochen-Knorpelschäden zu behandeln. Die dafür benötigten Zylinder werden auch hier aus einer wenig belasteten Gelenkregion entnommen und dann «press fit» in den vorher ausgestanzten Defekt eingebracht.

Für grössere Beschädigungen bis zu einer Ausdehnung von 9 cm2 eignet sich die Mega-OAT. Als Spenderregion dient hier die posteriore Femurkondyle. Die Entnahmestellen füllen sich von selbst mit Knochen und Ersatzknorpelgewebe. Letzteres ist zwar nicht so belastbar, aber für die Spenderregion meist ausreichend, so die Kollegen.

Nach sechs Wochen wieder aufs Velo
In den ersten sechs Wochen nach regenerativen Knorpeltherapien sollten die Patienten Scherkräfte und starke Kompression meiden. An gewichtstragenden Gelenken raten Experten zur Entlastung bzw. Teilbelastung für bis zu sechs Wochen, anschliessend erfolgt die schrittweise Erhöhung der Belastung. Neueren Studien zufolge scheint auch eine forcierte Aufbelastung ohne Spätschäden möglich – z.B. 1. und 2. Woche 20 % KG, 3. und 4. Woche 50 % KG, 5. und 6. Woche volles KG.
Ebenfalls für die ersten sechs postoperativen Wochen empfiehlt sich das Tragen einer CPM-Schiene (continous passive motion) für drei bis acht Stunden täglich. Nach diesem Zeitraum darf der Patient wieder velofahren, rudern oder schwimmen (Freistil).
Klassifikation der Knorpelschäden (nach ICRS*)
Grad Bezeichnung
0 Kein Defekt sichtbar
1a Oberfläche intakt, Fibrillationen bzw. leichte Erweichung
1b Zusätzlich oberflächliche Risse bzw. Fissuren
2 Tiefe der Läsion < 50 % der Knorpeldicke (abnormaler Knorpel)
3a Tiefe der Läsion > 50 % der Knorpeldicke, nicht bis zur kalzifizierenden Schicht (schwer veränderter Knorpel)
3b Tiefe der Läsion > 50 % der Knorpeldicke, bis zur kalzifizierenden Schicht
3c Tiefe der Läsion > 50 % der Knorpeldicke, bis zur subchondralen Platte
3d Tiefe der Läsion > 50 % der Knorpeldicke, periläsionale Blasen
4a Vollständige Knorpelläsion, subchondrale Platte durchbrochen
4b Vollständige Knorpelläsion, bis tief in die Spongiosa
*    International Cartilage Research Society

 

Quelle: Rauch A et al. Orthopäde 2018; 47: 965–978.