17. Apr. 2015Notfallmedizin

Mobile Ärzteflotte als Entlastung für Notfalleinsätze

Die obligatorischen Notfalldienste gehören nicht gerade zum beliebtesten Pflichtenheft von Hausärzten. In der Region Basel besteht immerhin die Möglichkeit, diese Aufgabe, aber auch Ferien- oder Wochenenddienste an eine mobile Ärzteflotte mit Sitz in Allschwil (Kanton Baselland) zu delegieren. Davon machen immer mehr Ärzte Gebrauch: im Kanton Basel-Stadt bereits ein gutes Drittel, in Baselland sogar mehr als zwei Drittel aller in den Notfalldienst eingebundenen Ärzte. Der Initiator und Chef der Organisation «Mobile Ärzte» heisst Dr. Michael Gloger. Seine vor fünf Jahren umgesetzte Idee – eine Hausarztpraxis inklusive Notfallstation auf vier Rädern – ist in der Schweiz in dieser Breite und Tiefe bis heute einmalig.

Krankenwagen Flotte
iStock/Domofon

Viele Hausärzte können dem Begriff «Hausärzte» im wahrsten Sinne des Wortes kaum mehr gerecht werden: Für Hausbesuche fehlt ihnen angesichts übervoller Praxen schlichtweg die Zeit. Und hie und da wohl auch die Lust, sich vor allem abends nach einem stressigen Tag noch zu einem Patienten auf den Weg zu machen; eine Leistung, die finanziell erst noch verhältnismässig schlecht entschädigt wird.

Dass sich eines Tages eine Lücke auftut zwischen Angebot und Nachfrage nach Hausvisiten vermutete Dr. Michael Gloger schon vor fast 20 Jahren. In seiner Doktorarbeit beschäftigte er sich mit der Verbesserung der Ausbildungsmethoden von Ärzten an der Universität Basel. Er kam zum Schluss, dass sich die ärztliche Versorgung in der Schweiz bei steigenden Prämien in Zukunft eher verschlechtern wird, nicht zuletzt infolge erschwerter Ausbildungsbedingungen. Der Ärztemangel auf dem Land sei schon damals absehbar gewesen, sagt der heute 44-Jährige. Grundversorger fänden zunehmend keine Nachfolger mehr für ihre Praxen, und die Notfallstationen in den Spitälern seien chronisch überlastet.

Die Lösung des Problems schliesst eine Marktlücke

Welche Rezepte zur Lösung dieses Problems bieten sich an? Dr. Gloger fand eine Marktlücke. Nachdem er im Angestelltenverhältnis fünf Jahre in Basel als Hausarzt respektive Internist praktiziert hatte und parallel dazu in einer Basler Spezialklinik tätig gewesen war, mutierte er 2010 zum Unternehmer. «Wir fingen ganz klein an, waren hochverschuldet und arbeiteten quasi rund um die Uhr», erinnert er sich. Die Ausdauer zahlte sich aus.

Heute ist er stolzer Besitzer einer Flotte von sechs Fahrzeugen, keine gewöhnlichen Autos natürlich. «Sie verfügen alle über eine Infrastruktur, die sich mit derjenigen einer Hausarztpraxis oder einer Notfallstation problemlos messen kann», schwärmt er.

Zwei markante Vorteile gegenüber Hausarztpraxis

Zwei wesentliche Vorteile gegenüber einer traditionellen Hausarztpraxis mit Notfalldienst bringen die mobilen Ärzte in eine Poleposition. Da ist zum einen der Unterschied in Bezug auf die Ausbildung: Jeder Arzt – ob Allgemeinmediziner oder Spezialist – müsse sich von Gesetzes wegen zu Notfalldiensten verpflichten, je nach Region ein oder gar mehrere Male pro Woche. Diese Verpflichtung habe jedoch ihre Tücken, so Dr. Gloger. «Ein Arzt mag als Handchirurg eine Koryphäe sein. Das heisst aber noch lange nicht, dass er einen Herzinfarktpatienten als Notfallarzt optimal einschätzen und versorgen kann.» Bei den mobilen Ärzten dagegen verfügten alle – Ärzte und «Paraärzte» – über ein spezifisches Fachwissen in Sachen Notfallmedizin und würden in diesem Bereich noch zusätzlich geschult. Die Lohnliste der mobilen Ärzte umfasse momentan 30 Ärzte mit fixen Verträgen. Viele arbeiteten Teilzeit und seien noch andernorts tätig, z. B. in Notfallinstitutionen. Ein Grossteil der Ärzte stamme aus Deutschland. «Der Markt in der Schweiz ist völlig ausgetrocknet», bilanziert Dr. Gloger.

Der zweite nennenswerte Vorteil der mobilen Ärzte sei der Faktor Zeit. «Drei bis vier Fahrzeuge, jeweils in Doppelbesetzung mit einem Arzt, sind permanent auf den Strassen der Region unterwegs», erzählt Dr. Gloger. «Wir sind so ein bisschen wie ein Taxidienst organisiert. Bei einem ernsten Notfall können wir innerhalb von 30 Minuten beim Patienten sein», verspricht er. Alle notwendigen Abklärungen liessen sich vor Ort durchführen. EKG, Defibrillator, Ultraschall, ein Labor, das bei Bedarf bis zu 60 Parameter analysiert usw.: Das Fahrzeug sei mit allen notwendigen Utensilien für den Notfall ausgerüstet. Eine Überweisung durch den Hausarzt ist üblich, aber keine Voraussetzung. Private können die mobilen Ärzte bei einem Notfall auch direkt kontaktieren (Tel. 061 485 90 00). Die Abrechnung nach Tarmed entspreche derjenigen eines notfallmässigen Hausarztbesuchs.

Glück im Unglück für einen jungen Patienten

Sogar kleinere chirurgische Eingriffe seien durch die mobilen Ärzte möglich. Dr. Gloger erzählt von einem Patienten, dem er nach einem Unfall auf einem Bauernhof einen Finger behelfsmässig vor Ort wieder annähen konnte, bevor der Verunfallte dann zum Handchirurgen ins Spital kam. Als spektakulärste Aktion ist ihm aber ein junger Familienvater in Erinnerung geblieben, der nach einem Ägypten-Aufenthalt unter vermeintlich heftigem Durchfall litt. Das Leiden entpuppte sich dann aber als eine starke anale Blutung. «Nur dank einem erfahrenen Triagisten, der die richtigen Fragen am Telefon stellte und unverzüglich reagierte, konnte der junge Mann gerettet werden. Er wäre verblutet, hätte man noch zugewartet», ist Dr. Gloger überzeugt.

Anfängliche Skepsis hat sich gelegt

Und wie reagierten eigentlich die Hausärzte der Region auf das neue Angebot der mobilen Ärzte? Sahen oder sehen sie darin immer noch eine Konkurrenz oder eher eine Entlastung? Nach anfänglich harten Zeiten und «gefühlten 300 Sitzungen» mit allen Playern im Gesundheitswesen habe sich die Skepsis sukzessive gelegt, fasst Dr. Gloger zusammen. Heute würden die mobilen Ärzte akzeptiert, die Zusammenarbeit sei gut. Ein Anhaltspunkt dafür: Ein Drittel (BS) respektive mehr als zwei Drittel (BL) aller Hausärzte hätten den Notfalldienst inzwischen der mobilen Ärztegesellschaft übertragen. Viele Ärzte gäben seine Organisation auf Band auch als Stellvertreter bei Ferienabwesenheiten, an Wochenenden oder an Donnerstagen («Weiterbildungstag») an, ergänzt Dr. Gloger. Mit den Hausärzten und anderen Playern finde ein reger Informationsaustausch statt. Sie würden über den Gesundheitszustand ihrer Notfallpatienten so schnell wie möglich – im Normalfall bis am Folgemorgen – ins Bild gesetzt.

Kein vergleichbares Angebot in der Schweiz

Das Unternehmen hat seinen Sitz in Allschwil. Die Firma ist als Aktiengesellschaft eingetragen. Neben Dr. Gloger figuriert noch die Diplomkauffrau und Personalchefin Anja Lob als Hauptaktionärin, wie Dr. Gloger ebenfalls eine Pionierin der ersten Stunde. Ein zweites Projekt dieser Grösse wie die mobilen Ärzte in Basel gibt es in der Schweiz bislang nicht. Die SOS-Ärzte in Zürich, ebenfalls zuständig für die Notfallversorgung, sind mit dem Basler Projekt nicht in der Art und Weise vergleichbar. Gegen eine weitere Expansion seines Projektes in die übrige Schweiz hätte Dr. Gloger nichts einzuwenden.

Im Durchschnitt rücken die mobilen Ärzte pro Tag etwa 15-mal aus, in Spitzenzeiten bis zu 40-mal. An Wochenenden, an Feiertagen und an Abenden kalkuliere man einen höheren Personaleinsatz ein, ebenso aber auch bei speziellen äusseren Umständen: «Bei Vollmond, Schnee und Kälte oder bei einer anstehenden Hitzewelle» – sowie bei einer Grippewelle, wie sie augenblicklich grassiere.