13. Nov. 2018ÖGP 2018

AAT-Mangel: Frühe Therapie verringert den Gewebsverlust

Cartoon Atemnot

Bei Lungen- und Lebererkrankungen auch an Alpha-1-Antitrypsin-Mangel denken und lieber einmal zu viel testen, lautet die eindringliche Botschaft eines deutschen Pneumologen. Bei bestätigter Diagnose kann ein früher Behandlungsbeginn das Leben deutlich verlängern. (Medical Tribune 46/18)

Das vornehmlich in der Leber gebildete Akute-Phase-Protein Alpha-1-Antitrypsin (AAT) ist einer der wichtigsten Proteinaseninhibitoren im Serum. Unter anderem schützt AAT die Lunge vor der proteolytischen Wirkung der aus Entzündungszellen freigesetzten Leukozytenelastase. AAT-Mutationen, die zu einer Strukturveränderung des Proteins führen, wirken sich vor allem auf zwei Organe fatal aus: In der Leber kann es durch Akkumulation des fehlerhaften Proteins zu einer Hepatitis und in weiterer Folge zu einer Zirrhose und zur Entwicklung eines hepatozellulären Karzinoms kommen. Fehlt die Schutzfunktion in der Lunge, wird das Lungengerüst durch die Leukozytenelastase zerstört und es entwickelt sich ein Lungenemphysem.

Die wichtigsten AAT-Mutationen sind die Allele S und Z. Mehr als 90 Prozent der Patienten mit medizinisch relevantem Alpha-1-Antitrypsin- Mangel haben den Genotyp ZZ. Aus den geschätzten Prävalenzzahlen lässt sich hochrechnen, dass es in Österreich etwa 2.000 Träger dieses Genotyps geben muss. Bisher diagnostiziert sind jedoch nur etwa 150 Betroffene. Prof. Dr. Felix Herth, Abteilung Innere Medizin – Pneumologie, Universitätsklinikum Heidelberg, führt das vor allem darauf zurück, dass nach wie vor viel zu wenig getestet wird: „Wenn wir Patienten mit einer COPD im Endstadium untersuchen, finden wir immer wieder Fälle mit undiagnostiziertem AAT-Mangel. Da haben einfach Fachkollegen 15 Jahre lang versagt!“ Dabei handelt es sich durchaus nicht um Einzelschicksale: Zwischen dem ersten Auftreten von Symptomen und der Diagnose eines AAT-Mangels vergehen im Schnitt sechs bis acht Jahre, in denen in der Regel mehrere Ärzte aufgesucht werden.

Bei neuer COPD-Diagnose auf AAT-Mangel testen

In den internationalen Empfehlungen und nationalen Leitlinien wird eine Vielzahl von Indikationen für die Bestimmung eines Alpha-1-Antitrypsin-Serumspiegels aufgelistet. Unter anderem sollte heute bei jeder neu diagnostizierten COPD unabhängig vom Alter des Patienten ein AAT-Mangel ausgeschlossen werden. Wie sehr die Praxis diesen Empfehlungen hinterherhinkt, zeigt eine deutsche Untersuchung aus dem Jahr 2013: Pneumologen testeten im Schnitt nur 16 Prozent ihrer COPD-Patienten auf einen AAT-Mangel. Obwohl die Wahrscheinlichkeit, in einer Hausarztpraxis einen AAT-Mangel zu finden, nicht allzu hoch ist, lag die entsprechende Quote bei den befragten Allgemeinmedizinern immerhin bei 40 Prozent. „Lieber einmal zu viel testen als einmal zu wenig“, rät Herth. Mit der intravenösen Substitution des im Blut fehlenden Proteins Alpha-1-Antitrypsin steht seit etwa 30 Jahren eine nicht unumstrittene Therapie des AAT-Mangels zur Verfügung. Schattenseiten der Therapie sind die hohen Kosten und die lebenslange Notwendigkeit eines wöchentlichen Arztbesuchs, die die Patienten in ihrer Alltags- und Freizeitgestaltung doch erheblich einschränkt.

Substitutionstherapie frühzeitig beginnen

Zweifel an der Effektivität der Substitutionstherapie sind aus Sicht Herths jedoch nicht gerechtfertigt: In der randomisierten, placebokontrollierten RAPID-Studie konnte gezeigt werden, dass Patienten mit ausgeprägtem AAT-Mangel, die eine Substitutionstherapie erhielten, nach zweijähriger Behandlung 33 Prozent weniger Dichteverlust im Lungen-CT hatten. Die Autoren errechneten daraus eine Verlängerung der Überlebenszeit durch die Substitution von 5,6 Jahren. In der offenen Extension-Phase der Studie, in der auch den Patienten aus der Kontrollgruppe eine Substitutionstherapie angeboten wurde, konnte die Verlangsamung der Emphysementwicklung bestätigt werden. „Die Patienten aus dem Placeboarm konnten den Verlust von Lungengewebe, der in den ersten zwei Jahren stattgefunden hatte, im späteren Behandlungsverlauf allerdings nicht mehr ausgleichen.“ Für Herth ist das ein klarer Beleg dafür, dass zu jedem Zeitpunkt mit einer Substitutionstherapie begonnen werden kann. „Schäden, die es bereits gibt, sind aber nicht mehr reversibel. Bei entsprechender Indikation sollte daher möglichst frühzeitig mit der Substitution begonnen werden.“

Wer benötigt eine Substitutionstherapie?

Ein neuer Trend könnte das Leben von Patienten mit AAT-Ersatztherapie um einiges erleichtern. Das Zauberwort heißt „Selbstsubstitution“. Dieser Ansatz, der sich bereits bei Patienten mit hereditärem Angioödem oder Hämophilie bewährt hat, soll in den nächsten Jahren vermehrt propagiert werden. Erfahrungen in den USA zeigen, dass Patienten, die sich die Therapie selbst verabreichen, vor allem die größere Unabhängigkeit und die Möglichkeit, länger verreisen zu können, schätzen. Interessantes Detail am Rande: Die Möglichkeit der Selbstsubstitution wird in Amerika deutlich häufiger von Frauen als von Männern genutzt. In mehreren RCT-Studien konnte nachgewiesen werden, dass die Progression des Lungenemphysems bei Patienten mit homozygotem Genotyp Pi*ZZ durch die intravenöse Substitutionstherapie signifikant verzögert werden kann. Derzeit gibt es aber keine Evidenz dafür, dass das auch für heterozygote Träger des Z-Allels gilt.

Zudem weiß man heute, dass nicht jeder ZZ-Träger ein Lungenemphysem entwickelt. Lange Zeit galt der Abfall der Lungenfunktion als der entscheidende Parameter für den Beginn einer Substitutionstherapie. Wesentlich aussagekräftiger sind jedoch Niedrigdosis-Dünnschicht-CTs, mit deren Hilfe sich die Lungendichte quantifizieren lässt. „Mit den modernen Protokollen ist die Strahlenbelastung dieser Untersuchung so gering, dass das kein Thema mehr ist“, so der Pneumologe. „Bei jedem Patienten mit nachgewiesenem AAT-Mangel sollte ein solches Basis-CT gemacht werden.“ Findet man bei Kontrollen einen deutlichen Dichteverlust, ist das ein Hinweis auf eine Progression der Lungenerkrankung Richtung Emphysem. „In diesem Fall soll auch dann mit einer Substitutionstherapie begonnen werden, wenn die 1-Sekunden- Kapazität FEV1 noch normal ist.“

42. Jahrestagung der Österreichischen Gesellschaft für Pneumologie (ÖGP); Linz, Oktober 2018

Indikationen zur Bestimmung des AAT-Serumspiegels

  • COPD: bei jeder Erstdiagnose
  • Lungenemphysem: wenn keine anderen Risikofaktoren bekannt oder Patienten unter 50 Jahre alt sind
  • Asthma: bei ungenügender Reversibilität der Atemwegsobstruktion
  • Bronchiektasen: wenn keine Ursache erkennbar ist
  • Lebererkrankung: wenn keine Ursache erkennbar ist
  • Positive Familienanamnese für AAT-Mangel, Lungenemphysem, Bronchiektasen oder Lebererkrankungen