19. Aug. 2012

Chronische Wunden: Abduschen gefährlich?

Es ist nicht bewiesen, ob man mit einer Wundreinigung den Endpunkt Heilung bei chronischen Wunden wirklich schneller erreicht. Das liegt aber vor allem daran, dass randomisierte doppelblinde Studien hierzu schwierig durchzuführen sind. Daher haben sich die Verfasser der aktuellen S3-Leitlinie zur Lokaltherapie chronischer Wunden auf Empfehlungen geeinigt, die sich an praktischen Überlegungen orientieren.

Wundreinigung mit Kochsalz, Ringer oder Leitungswasser

So wird zu einer regelmäßigen mechanischen Wundreinigung mit sterilen Mull- oder Vlieskompressen in Kombination mit einer Spülung geraten, da dies kostengünstig und einfach umzusetzen ist. 

Vielen Patienten bereitet der Verbandswechsel Schmerzen. Daher sollte eine individuell angepasste Schmerztherapie erfolgen. Bei der Wundreinigung ist auf Keimarmut zu achten, d.h., es werden sterile Instrumente in „No-Touch-Technik“ verwendet.

Wundinfektionen: Leitungswasser im Vorteil?

Zum Spülen kommen isotone Kochsalzlösung, Ringerlösung oder Leitungswasser infrage, wobei die Flüssigkeitsmenge je nach Wundsituation wenige Milliliter bis mehrere Liter betragen kann. Die vorliegenden Daten zeigen beim Vergleich sterile Kochsalzlösung vs. Leitungswasser oder Ringerlösung (gilt nach Anbruch der Flasche nicht mehr als steril) keinen signifikanten Unterschied in Sachen Wundheilung.

In einer isolierten Bewertung der Studie stellte man die Wundreinigung per Leitungswasser der Spülung mit Kochsalzlösung gegenüber. Beim Endpunkt Infektion konnte das Leitungswasser im sechswöchigen Verlauf besser punkten (RR 0,16). Allerdings waren die Fallzahlen infizierter Wunden mit 3 von 16 und 0 von 23 recht klein, bemängeln die Autoren.

Patienten finden ausduschen besser!

Auch bei der Patientenzufriedenheit schnitt das Leitungswasser gut ab. Die Kranken, die ihre Wunden selbst ausduschen durften, wollten diese Methode auch beibehalten. Für die Untersuchung hat man Leitungswasser nach australischem Standard benutzt, ohne dass dieser genau definiert wurde.

Die Leitlinienverfasser erklären dazu, dass in Australien das Wasser mit 0,1 bis 4 mg/l freien Chlor desinfiziert wird. Auch in Kanada und den USA wird Leitungswasser grundsätzlich desinfiziert. In Deutschland wird das Wasser nur bei Bedarf gechlort. Die Chlorkonzentrationen liegen aber auch dann in der Regel mit 0,1 bis 0,3 mg/l niedriger.

Bakterien aus deutschen Wasserhähnen

Eine Überprüfung der Wasserqualität im Jahr 2006 in deutschen Privathaushalten von Menschen mit chronischen Wunden ergab, dass Verunreinigungen mit Pseudomonaden und gramnegativen Bakterien vorkamen. Auch bei optimaler Wasserqualität können sich also Keime beim Endverbraucher in der Leitung tummeln, so die Folgerung der Experten.

Zudem empfiehlt die Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim RKI zum Verbandwechsel nur die Verwendung steriler Materialien – und dazu zählt Leitungswasser nicht. Dennoch: Es gibt bisher keine Studienergebnisse zum Heilungsverlauf, zum Nutzen oder Schaden durch Spülen mit Leitungswasser.

Wundreinigung mit der Brause: Kosten vs. Infektionrisiko

In diesem Zusammenhang taucht dann auch die Frage auf, ob die Patienten duschen dürfen, was natürlich großen Einfluss auf die Lebensqualität der Betroffenen hat. Hier geben die Autoren zu bedenken, dass man die Körperreinigung losgelöst von der Säuberung der Wunde betrachten kann.

Beim Duschen könnte man die Wunde ja wasserdicht abdecken. Dennoch wird dieses Thema im Expertenkreis weiterhin kontrovers diskutiert. Die geringen Kosten der Wasserspülung und die mechanische Reinigungswirkung stehen potenziellen Risiken durch Kontamination mit Krankheitserregern entgegen.

Entscheidung über Wundreinigung liegt beim Patienten

Ein Konsens für oder wider eine Empfehlung wurde nicht erreicht. Die Verfasser einigten sich auf die Aussage: Der Patient soll vor dem Wundkontakt mit Leitungswasser über die möglichen Vor- und Nachteile und die fehlende Evidenz beim Einsatz im Vergleich zu NaCl- Lösung aufgeklärt und nach seiner persönlichen Präferenz gefragt werden.

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Wundheilung und Wundbehandlung e.V., S3-Leitlinie: Lokaltherapie chronischer Wunden bei Patienten mit den Risiken peripherer arterielle Verschlusskrankheit, Diabetes mellitus, chronisch venöse Insuffizienz, Stand 12.6.2012, AWMF-online