Wie der Kinderwunsch dennoch erfüllt werden kann
Schon heute kann jedes zehnte Paar mit Kinderwunsch keinen Nachwuchs bekommen. Und es werden immer mehr. In der Hälfte der Fälle liegt die Ursache zumindest teilweise beim Mann. Aber es gibt Hoffnung: Die Therapiemöglichkeiten werden immer besser.
Eine Fertilitätsdiagnostik und Behandlung wird empfohlen, wenn die Partnerin trotz regelmässigen Geschlechtsverkehrs innerhalb von einem Jahr nicht schwanger wird – je nach Konstellation auch früher. Bei Frauen > 35 Jahre raten Experten schon nach sechs Monaten dazu. Die initiale Abklärung basiert auf Anamnese, körperlicher Untersuchung und Spermiogramm (s. Tabelle). Bei pathologischen Befunden sollte eine Überweisung zum Spezialisten erfolgen, raten Professor Dr. Ashok Agarwalvom American Center for Reproductive Medicine in Cleveland und Kollegen.
Diagnostische Hodenbiopsie ist nicht mehr empfohlen
Von einer Azoospermie spricht man, wenn sich keine Spermien im Ejakulat nachweisen lassen. Dabei werden prätestikuläre Störungen (z.B. hormonelle Veränderungen) von testikulären und posttestikulären unterschieden. Typisch für den hypogonadotropen Hypogonadismus (angeboren oder erworben) sind niedrige Testosteron- und FSH-Spiegel. Die hormonelle Veränderung zählt zu den wenigen medikamentös behandelbaren Ursachen der männlichen Infertilität. Die Substitution erfolgt üblicherweise mit einer Kombination von humanem Choriongonadotropin (hCG) und Menotropin.
Ist eine prätestikuläre Störung ausgeschlossen, muss zwischen obstruktiver und nichtobstruktiver Azoospermie differenziert werden. Als Cut-off-Wert zur Differenzierung beider Formen gilt ein FSH von 7,6 mIU/l und ein testikulärer Längsdurchmesser von 4,6 cm. Die früher eingesetzte diagnostische Hodenbiopsie wird heute nicht mehr empfohlen. Patienten mit nicht passierbaren Samenwegen können von einer chirurgischen Rekonstruktion bzw. einer intrazytoplasmatischen Spermieninjektion nach testikulärer Spermatozoenextraktion profitieren.
Wesentlich schlechter sind die Erfolgschancen bei Männern mit gestörter testikulärer Spermiogenese, schreiben die Autoren. Allerdings findet sich auch bei diesen Patienten oft noch eine fokale Samenzellproduktion im Hoden, die sich für testikuläre Spermatozoenextraktion und intrazytoplasmatische Spermieninjektion nutzen lässt. Unklar ist derzeit noch die optimale Extraktionstechnik, eine eindeutige Überlegenheit des mikroskopischen Verfahrens gegenüber der perkutanen Aspiration konnte bisher nicht belegt werden.
Bei Patienten mit klinisch manifester Varikozele und pathologischem Spermiogramm kann eine Sanierung des Gefässbefunds die Fertilität verbessern. Infertile Varikozelenträger mit normalem Samenzellbefund sollen sich nicht operieren lassen, ebenso wenig Patienten mit subklinischen Gefässveränderungen.
Wenn sich trotz adäquater Diagnostik keine Ursache finden lässt, spricht man von einer idiopathischen Infertilität. Therapeutisch hilft eventuell schon ein gesünderer Lebensstil (z.B. Gewichtsabnahme, Bewegung, Rauchstopp).
Diagnostik der männlichen Infertilität
Anamnese: z.B. Kryptorchismus, Hodentorsion, Urogenitalinfekte
Untersuchung: Habitus, sekundäre Geschlechtsmerkmale, Penis (Epispadie etc.), Hoden (normale Grösse 4 × 3 cm, Tumorausschluss), Nebenhoden, Ductus deferens
Hormontests: FSH, Gesamttestosteron, ggf. LH, Prolaktin
Spermaanalyse: Kombination mehrerer Parameter nutzen, Screening der Spermienkonzentration evtl. zu Hause möglich
Genetische Diagnostik:
Karyotyp-Analyse (z.B. Verdacht auf M. Klinefelter; häufige Fehlgeburten, Malformationen oder geistige Behinderung in der Familie), CFTR*-Mutation (strukturelle Veränderung Vas deferens) etc.
* Cystic Fibrosis Transmembrane Conductance Regulator
Freie Radikale scheinen eine wichtige Rolle zu spielen
Selektive Östrogen-Rezeptor-Modulatoren wie Clomifencitrat können off label verordnet werden, auch wenn eine Verbesserung des Spermiogramms bisher nicht belegt ist. Von einer Testosterongabe raten die Autoren wegen des ungünstigen Effekts auf die Spermatogenese ab.
Am häufigsten empirisch eingesetzt werden orale Antioxidanzien, unter der Vorstellung, dass freie Radikale bei der männlichen Infertilität eine wichtige Rolle spielen. Eine Cochrane-Metaanalyse kommt zu dem Ergebnis, dass eine Supplementierung bei subfertilen Männern die Schwangerschaftsrate und die Zahl der Lebendgeburten leicht verbessert, bei allerdings geringer Evidenz.
In Zukunft Spermien aus Stammzellen generieren?
Einen wesentlichen Fortschritt in der Infertilitätsbehandlung haben die verschiedenen Techniken der künstlichen Befruchtung ermöglicht. Bei der intrauterinen Insemination werden angereicherte motile Spermien zum Zeitpunkt der Ovulation direkt in die Gebärmutterhöhle transferiert.
Stärker ausgeprägte Störungen der männlichen Fertilität lassen sich bei einem Teil der Betroffenen mit In-vitro-Fertilisation bzw. intrazytoplasmatischer Spermieninjektion überwinden. Die Kombination von testikulärer Spermaextraktion und intrazytoplasmatischer Spermieninjektion eignet sich auch für Männer ohne Azoospermie, aber mit vermehrter DNA-Fragmentation. Denn das Sperma im Hoden weist im Vergleich zum Ejakulat möglicherweise weniger Erbsubstanz-Brüche auf.
Allerdings können die bisher zur Verfügung stehenden Techniken längst nicht allen infertilen Männern zum ersehnten Nachwuchs verhelfen. Wissenschaftler arbeiten deswegen bereits an der Produktion von Spermatozoen aus Stammzellen. Bis die Stammzelltherapie bei männlicher Infertilität zum Einsatz kommen kann, müssen allerdings noch zahlreiche Hürden überwunden werden, so die Autoren. So ist das Verfahren beispielsweise aus ethischer Sicht problematisch.
Lebensstil der Kinderlosen
Rauchen, Alkoholgenuss und der Konsum von Freizeitdrogen (Kokain, Opioide, Cannabis, anabole Steroide) können die männliche Fertilität beeinträchtigen. Speziell für Cannabis ist bekannt, dass es die Hormonachse zwischen Hypothalamus, Hypophyse und Gonaden inhibiert und so Spermatogenese und -funktion stört. Paare, die Gleitmittel verwenden, sollten darauf achten, Produkte zu wählen, die keine Spermizide enthalten.
Agarwal A et al. Lancet 2021; 397: 319–333; doi: 10.1016/S0140-6736(20)32667-2.