Gürtelrose: Bei neurologischer Beteiligung keine Zeit verlieren
Schmerzen, Schwellungen, schief hängende Mundwinkel: Die Gürtelrose gibt sich nicht immer mit einem Erythem und Bläschen zufrieden. Bei einem disseminierten Herpes Zoster könnten schwere neurologische Einschränkungen zurückbleiben, wie ein Fallbeispiel zeigt.
Wie kritisch eine neurologische Beteiligung einer Gürtelrose sein kann, zeigt der Fallbericht eines 84-Jährigen. Der bisher weitgehend gesunde Mann hatte so heftige rechtsseitige Nackenschmerzen, dass er einen Schiefhals entwickelte. Er behandelt sich als erstes mit einem entzündungshemmenden Topikum – vergeblich.
Drei Tage nach Schmerzbeginn bilden sich an Hals und Ohr schmerzhafte, nicht juckende erythematöse Hautläsionen, die an eine Verbrennung erinnern. Daraufhin geht der Mann zur Notfallsprechstunde. Der Arzt dort vermutet eine Allergie und verschreibt orales Prednison. Ebenfalls ohne Erfolg: In den Läsionen bilden sich Bläschen.
PCR bestätigte Verdacht auf Gürtelrose
Sein daraufhin konsultierter Hausarzt schickt ihn in die Notaufnahme des CHUV Lausanne. Mittlerweile sind fünf Tage vergangen und die Läsionen haben sich mit einem Begleitödem von der rechten Schulter bis zum Ohr ausgebreitet. Zusätzlich klagt der Patient über eine neu aufgetretene Hörminderung, heftigen Schwindel und Kopfschmerzen. Die Ärzte vor Ort bemerken eine psychomotorische Verlangsamung und Gangataxie. Ausserdem hängt als Zeichen einer Fazialisparese der rechte Mundwinkel herab, schreiben Dr. Sabine Galland von der Inneren Medizin am CHUV Lausanne und ihre Kollegen (1).
Aufgrund des über mehrere Dermatome (C2–C5) ausgedehnten bläschentragenden und schmerzhaften Exanthems vermuten die Dermatologen bei dem Mann eine Gürtelrose. Seine rechte Ohrmuschel ist so stark geschwollen, dass sie den äusseren Gehörgang verschliesst. Die neurologischen Symptome werten die Ärzte als typische Komplikation. Bestätigt wird ihre Einschätzung durch einen positiven Tzanck- und PCR-Test.
Patient hatte zuvor Anti-Aging-Spritzen erhalten
Das eingangs diagnostizierte allergische Kontaktekzem kann zwar auch Bläschen auslösen, ist aber nicht schmerzhaft. Eine Reaktivierung von HSV-1 als weitere mögliche Differenzialdiagnose ist nicht auf Dermatome begrenzt. Eine Ohrmuschel-Peritonitis lässt sich zwar mit dem diffusen Ödem, Erythem und den starken Schmerzen vereinbaren, zeigt aber keine Bläschenbildung.
Eine gezielte Anamnese ergibt, dass sich der Patient kurz zuvor als «Anti-Aging-Kur» Stammzellinjektionen verabreichen liess, die möglicherweise Kortikoide enthielten. Auch die dreitägige Steroidbehandlung unter der Annahme einer Allergie könnte den Zoster-Verlauf verschlimmert haben, vermuten die Kollegen. Eine Immunsuppression, nach der man bei starken Beschwerden oder unter 50-Jährigen suchen sollte, besteht nicht.
Sind die rechtsseitigen Dermatome C2–C5 betroffen, spricht das für eine Beteiligung der Hirnnerven VII–VIII. In solchen Fällen ist eine einwöchige Behandlung mit dreimal täglich 1000 mg Valaciclovir plus Analgetikum indiziert, die man auch sogleich beginnt. Währenddessen breitet sich die Gürtelrose auf das gegenüberliegende Dermatom C3 aus. Die Schwellung der rechten Ohrmuschel verstärkt sich. Ausserdem verschlimmern sich Hörminderung und Fazialisparese, während psychomotorische Verlangsamung und Gangataxie unverändert bestehen bleiben. Es folgt ein Schädel-MRI, um eine ZNS-Beeinträchtigung abzuklären.
Aufgrund der peripheren Fazialislähmung diagnostizieren die Ärzte bei ihrem Zoster-Patienten ein Ramsay-Hunt-Syndrom, auch Zoster oticus genannt. Typisch für diese komplizierte Form der Gürtelrose sind neben der Fazialislähmung Schmerzen in der Ohrmuschel und ein bläschenhafter Ausschlag im äusseren Gehörgang oder am Trommelfell. Hinzu kommen oft noch Tinnitus, Hörminderung, Übelkeit und Erbrechen, ausserdem Schwindel und Nystagmus. Diese Symptome entstehen durch eine Reaktivierung des latenten Zoster-Virus im Ganglion geniculatum.
In dieses Ganglion münden die Äste des N. facialis, wodurch sich das reaktivierte Virus auf den N. vestibulocochlearis ausbreiten kann. Behandelt wird das Ramsay-Hunt-Syndrom üblicherweise über 7–10 Tage mit Valaciclovir. In Fällen wie dem des 84-Jährigen mit Schwindel, Tinnitus und Hörverlust greift man auf eine intravenöse Kombinationstherapie zurück. Mittel der Wahl sind Aciclovir (z.B. 3 × täglich 10–15 mg/kgKG) plus Prednison (5 Tage, 1 mg/kgKG). Zentralnervöse neurologische Komplikationen (Meningitis, Enzephalitis, Myelitis) erfordern eine verlängerte intravenöse Therapie über 10–14 Tage.
Ansteckungen verhindern
- Bei einer disseminierten Gürtelrose müssen Vorkehrungen gegen eine Übertragung durch Berührung oder Atemluft getroffen werden. Diese gilt es über mindestens fünf Tage einzuhalten, bis sich keine neuen Bläschen mehr bilden.
- Auch eine lokalisierte Gürtelrose kann bei direkter Berührung der Bläschen mit den Händen übertragen werden, ebenso über indirekten Kontakt mit kontaminierten Gegenständen. Deshalb sollte man die Läsionen abdecken, weitere Schutzmassnahmen sind allerdings nicht erforderlich.
- Wenn neue Läsionen auftreten, ist die Gürtelrose eventuell länger als sieben Tage ansteckend.
Intravenöse Therapie mit Aciclovir und Prednison
Einige Tage später fällt den Ärzten eine Hypophonie mit Dysarthrie auf, ausserdem besteht eine rasch zunehmende Atemdepression. Sie verlegen den Patienten kurzfristig auf die Intensivstation. Als Ursache wird ein Fortschreiten der Polyneuritis angenommen mit Beteiligung der Hirnnerven VII bis X und des Zwerchfells. Es besteht also ein disseminierter Zoster (mehr als drei Dermatome) – bzw. ein Zoster multiplex. Der 84-jährige Patient überlebt dank einer Intensivtherapie. Trotz der einmonatigen stationären Behandlung und einer anschliessenden Reha behält er aber schwere Gangstörungen und Neuralgien zurück, die auf Antidepressiva, Gabapentin, Pregabalin und Opioide nur unzureichend ansprechen.
- Galland S et al. «Eine häufige Viruserkrankung mit möglichen schweren Komplikationen» Swiss Med Forum 2020; 20: 114–118; doi: 10.4414/smf.2020.08329.