Sorgenkind Glioblastom – Update 2019
Die Behandlung der Glioblastome ist ein hartes Brot. Neue therapieansätze, von denen man sich wenigsten kleine Effekte versprochen hat, haben sich in Studien nicht bestätigt. Worauf darf man jetzt noch hoffen? Wir sprachen mit einem Experten.
Bei den Glioblastom-Studien wurden neu Interimsdaten von INTELLANCE-1 präsentiert. Was ist dabei herausgekommen? Was hat sich während des letzten Jahres geändert?
Prof. Weller: Das Glioblastom ist der aggressivste primäre Hirntumor bei Erwachsenen, und weniger als 5 % der Patienten überleben fünf Jahre nach der Diagnose. Zu meinem Bedauern gibt es nicht viel Positives bei der Weiterentwicklung der Therapie des Glioblastoms zu berichten. Wenn Sie so wollen, sind die Highlights 2019 zwei negative Studien, nämlich INTELLANCE-1 und CheckMate 498. Dass die INTELLANCE-1-Studie mit Depatux-M negativ ist, war eine Überraschung, nach dem positiven Signal von Depatux-M in der INTELLANCE-2-Studie beim Rezidiv. In INTELLANCE 1 wurde der primäre Endpunkt, das Gesamtüberleben, nicht erreicht. Aber weil das INTELLANCE-2-Signal im Rezidiv ja nach wie vor existiert, haben wir über die Studiengruppe EORTC* versucht, die Firma davon zu überzeugen, nochmals eine grössere Rezidivstudie durchzuführen, aber ohne Erfolg. Die Entwicklung der Substanz wurde eingestellt. Und die andere Enttäuschung ist das Ergebnis der CheckMate 498-Studie. In der Primärtherapie konnte der Checkpoint-Inhibitor Nivolumab in Kombination mit Strahlentherapie das Gesamtüberleben bei Patienten mit neu diagnostiziertem MGMT-Promotor-unmethylierten Glioblastom nicht verlängern. Bislang sind die kontrollierten Immuntherapie-Studien leider alle negativ verlaufen. CheckMate 498 war eine der grössten. Jetzt müssen wir uns nach zwei grossen Enttäuschungen wieder sammeln.
Wo gibt es denn noch einen Hoffnungsschimmer?
Prof. Weller: Es läuft noch die Immuntherapie-Studie CheckMate 548 mit MGMT-Promotor-methylierten Patienten, bei der das progressionsfreie Überleben als Endpunkt zwar nicht erreicht wurde, aber wir warten auf die Daten zum Gesamtüberleben, die noch nicht reif sind. Die Studie läuft weiter. Sie untersucht Nivolumab in Kombination mit Strahlentherapie und Temozolomid bei Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom. Ich mache mir grosse Sorgen, dass, falls diese Studie auch negativ ist, sich die Industrie aus dem immunonkologischen Sektor komplett zurückziehen wird.
Welche weiteren Studien laufen derzeit?
Prof. Weller: Erwähnen möchte ich die MIRAGE-Studie, EORTC 1709, mit dem Proteasominhibitor Marizomib, die von PD Dr. Patrick Roth aus unserer Klinik geleitet wird. Diese Phase-III-Studie schliesst neben Genf, Lausanne und St. Gallen unter anderem auch Zentren in Kanada und den USA ein und rekrutiert mit derzeit fast 400 Patienten sehr gut. Das Ziel ist 750 Patienten. In der EORTC-Studie 1709 wird bei neu diagnostiziertem Glioblastom in der Primärtherapie die Kombination von Marizomib mit der Standardtherapie, der Temozolomid basierten Radiochemotherapie plus Temozolomid-Erhaltungstherapie, mit der Standardtherapie allein verglichen. Im Rahmen der Studie wird untersucht, ob die Hinzunahme des Proteasominhibitors zur Standardtherapie das Gesamtüberleben von Glioblastompatienten verlängert. Die Therapie mit Marizomib beginnt parallel zur Strahlentherapie und wird bis zum Fortschreiten der Erkrankung, nicht tolerierbarer Nebenwirkungen oder Rückzug der Einwilligung, maximal für 18 Monate durchgeführt. Neben verschiedenen Überlebenszeitpunkten werden die Verträglichkeit und Sicherheit von Marizomib sowie der mögliche Effekt des Medikaments auf die kognitive Leistungsfähigkeit untersucht. Zudem werden Analysen an Tumorgewebe und Blut durchgeführt, die zum Ziel haben, das Ansprechen auf eine Behandlung mit Marizomib vorhersagen zu können. Die Studie ist so angelegt, dass man mit dem Ergebnis auch etwas anfangen kann, wenn sie nur für die MGMT-Promotor-unmethylierten Patienten positiv wäre. Das Studiendesign basiert auf der Überlegung, dass sich die beiden Patientengruppen mit und ohne MGMT-Promotor-Methylierung unterscheiden. Die Rationale der Studie ist, dass man aufgrund der neurotoxischen Symptome von Marizomib in frühen Studien darauf geschlossen hat, dass die Substanz die Bluthirn-Schranke passiert. Die neurologischen Nebenwirkungen lassen sich übrigens mit einer Dosisanpassung in den Griff bekommen und sie sind transient, ohne bleibenden Schaden.
Wie geht es weiter mit dem Glioblastom?
Prof. Weller: Die entscheidende Studie für die Immunonkologie ist jetzt CheckMate 548, die randomisierte einfach verblindete Phase-II-Studie mit Temozolomid und Strahlentherapie in Kombination mit Nivolumab oder Placebo bei erwachsenen Patienten mit neu diagnostiziertem Glioblastom, welches einen methylierten MGMT-Promoter aufweist. Alle, die auf die Immunonkologie beim Glioblastom hoffen, warten auf diese Studie. Wenn die Studie positiv ist, dann ist das wunderbar für die Patienten. Das würde bedeuten, dass man für die MGMT-Promotor-methylierten Patienten einen neuen Standard hätte. Und es wäre eine hervorragende Ausgangsbasis für Kombinationen, zum Beispiel mit Ipilimumab oder neueren Checkpoint-Inhibitoren oder auch Vakzinierungen. Ein positives Ergebnis würde auch vermutlich bedeuten, dass beim Glioblastom der Tumor Mutational Burden, TMB, eine Rolle spielt. Man müsste dann postulieren, dass nach vielen Monaten Therapie mit Temozolomid DNA-Schäden akquiriert werden, dadurch mutierte Proteine produziert werden, die das Immunsystem erkennt, wenn Nivolumab mit an Bord ist. Für die MGMT-Promotor-Unmethylierten müssten wir überlegen, ob wir mit einer anderen Art von Strahlentherapie oder anderer Strahlen-Fraktionierung oder mit Medikamenten TMB induzieren könnten. Man müsste tatsächlich über andere DNA-Damaging-Agents nachdenken. Positiv ist auch eine kleine Studie, in der man Pembrolizumab 1 × präoperativ gegeben hat. Diese eine Gabe Pembrolizumab hat im Tumor ordentlich was bewegt. Diese Studie hat Überlegungen in Richtung neoadjuvante Therapie angeregt.
Könnte die CAR-T-Zelltherapie eine Option sein?
Prof. Weller: Die CAR-T-Zelltherapie finde ich fantastisch. Sie steht und fällt beim Glioblastom mit dem Antigen. Die Forschung fokussiert auf IL13Ralfa2, EGFRvIII und NKG2D. Aber bis auf EGFRvIII sind die Antigene nicht tumorspezifisch. In einer ersten CAR-T-Zelltherapie-Studie zu EGFRvIII war das Antigen nach einer Infusion verschwunden, was zeigt, dass es sehr instabil exprimiert ist. Das ist ein Nachteil für die CAR-T-Zelltherapie. Wir experimentieren mit CAR-T-Cells in vitro. Man kann sich polyvalente CAR-T-Cells gegen mehrere Antigene oder Kombinationen mehrerer CAR-T-Cells vorstellen. Wir arbeiten auch an der Entwicklung globalerer CAR-T-Cells, die eine grössere Gruppe von Molekülen identifizieren. Das ist ein Ansatz, bei dem die CAR-T-Cells unspezifischer sind und auf alles reagieren, was fremd ist. Dabei müssen wir mit potenziell mehr Nebenwirkungen rechnen. Mir erscheint dieses Modell aber eine grössere Chance auf Erfolg zu bieten als der monovalente Ansatz. Die Car-T-Zelltherapie ist sehr aufwendig. Die Vektoren können wir im Labor klonieren oder wir erhalten sie im Rahmen einer Kooperation. Wirklich schwierig wird es, wenn wir vom Maus-Modell in die klinische Anwendung gehen.
Gibt es noch etwas für unsere Leser?
Prof. Weller: Die Global Coalition for Adaptive ResearchTM , GCAR, ist eine amerikanische Non Profit Organisation, bei der weltweit klinische Forschung zur Entwicklung von Heilmitteln für seltene tödliche Krankheiten vorangetrieben wird. Als erste Priorität sponsert die GCAR das Projekt GBM AGILE, eine adaptive Plattformstudie für Patienten mit Glioblastom. GBM AGILE steht für Glioblastoma Adaptive Global Innovative Learning Environment. Diese Studie bietet die Möglichkeit, mehrere Therapien gleichzeitig gegen eine gemeinsame Kontrolle oder Standard of Care zu testen. Das Prinzip ist, dass zu einem Kontrollarm immer weitere Studienarme mit neuen Substanzen geöffnet werden. Im Idealfall entstehen immer mehr experimentelle Arme. Arme mit schlechter Performance werden geschlossen, erfolgversprechende Arme werden vergrössert. Hinsichtlich der klinischen Forschung ist das ein intelligentes Model, weil die Forschung viel schneller geht, weil nicht für jede Substanz eine neue Studie initiiert werden muss und sich die beteiligten Firmen und Institutionen den Kontrollarm teilen. Ich finde das ausserordentlich interessant. Eine Beteiligung Europas an dem Studienprogramm wird derzeit geprüft.
Herr Professor Weller, vielen Dank für das Gespräch.
Interview:
Winfried Powollik