Wenn das Blut zu dick ist
Erhöhte Erythrozytenzahlen werden bei Blutbildkontrollen häufig nicht weiter beachtet. Dabei könnte eine Erkrankung vorliegen, die das Thromboembolie-Risiko erheblich steigert. Der Erythropoetin-Spiegel hilft, die Ursache zu identifizieren.
Gesteuert wird die Erythrozytenbildung vor allem durch das Hormon Erythropoetin (EPO). Die Erythropoese erfolgt im Knochenmark und dauert unter physiologischen Bedingungen etwa acht Tage. Als wichtigster Stimulator der EPO-Bildung wirken Änderungen im gewebeeigenen Sauerstoffpartialdruck. Die physiologische EPO-Plasmakonzentration liegt bei 6–32 U/l, so Dr. Kai Wille und Kollegen vom Johannes-Wesling-Klinikum in Minden.
Die Diagnose der Erythrozytose (früher Polyglobulie genannt) stützt sich auf zwei Parameter: den Hämoglobingehalt im Blut (Hb) und den Hämatokritwert (Hkt) als Mass für den Erythrozytenanteil im Blut. Bei Männern spricht man von einer Erythrozytose bei einem Hb > 16,5 g/dl und einem Hkt > 49 %. Bei Frauen liegt die Schwelle etwas tiefer: Hier reichen Hb > 16,0 g/dl und Hkt > 48 %. Zum Ausschluss einer Pseudopolyglobulie durch erniedrigtes Plasmavolumen sollten Hämoglobin und Hämatokrit mehrfach, z.B. zu drei unterschiedlichen Zeitpunkten, bestimmt werden.
Erythrozytosen können die verschiedensten Ursachen haben. Am häufigsten sind sekundäre Formen, die vor allem bei starken Rauchern oder chronisch Herz- und Lungenkranken auftreten. Kongenitale Erythrozytosen sind selten und fallen meist im jungen Lebensalter auf, oft verbunden mit einer positiven Familienanamnese. Einen Hinweis gibt der EPO-Serumspiegel: Er ist bei primären Erythrozytosen meist erniedrigt, bei sekundären erhöht.
Durchblutungsstörung kann für Schwindel sorgen
Die wichtigste primär erworbene Erythrozytose ist die Polycyth-aemia vera (PV). Bei Patienten mit Erythrozytose und erniedrigtem EPO-Spiegel müsse man immer auch an sie denken, betonen die Hämatologen. Das mittlere Alter zum Zeitpunkt der Diagnose liegt bei 60–65 Jahren, wegen des vermehrten Einsatzes von Blutbildautomaten werden aber zunehmend jüngere Patienten erkannt.
Mehr als 95 Prozent der Betroffenen weisen eine JAK2-Mutation auf. Da es sich um eine erworbene klonale Stammzellerkrankung handelt, besteht häufig auch eine Leuko- und/oder Thrombozytose. Durch die erhöhte Blutviskosität entwickeln sich häufig Mikrozirkulationsstörungen, die sich z.B. durch Kopfdruck und Schwindel bemerkbar machen können. Typisch ist auch eine Erythromelalgie, d.h. eine anfallsweise auftretende schmerzhafte Rötung an den Extremitäten. Bis zu 70 Prozent der PV-Patienten leiden ausserdem an einem aquagenen Pruritus.
Eines der wichtigsten Therapieziele ist die Reduktion des erhöhten Thromboembolie-Risikos. Zudem sollen die quälenden Symptome gelindert und der Übergang in eine Myeolofibrose oder Leukämie verhindert werden. Deshalb muss die PV als einzige Erythrozytose bereits zum Zeitpunkt der Diagnose behandelt werden. Bei guter Einstellung der Blutwerte ist die Lebenserwartung kaum eingeschränkt.
Polycythaemia vera mit ASS und Aderlässen behandeln
Die Primärtherapie beruht auf zwei Säulen: der Gabe von ASS (100 mg/d) und der Durchführung von Aderlässen. Damit kann man den Hämatokrit am schnellsten senken und die Hyperviskositätssymptome beseitigen. Als Ziel wird ein Hämatokrit unter 45 % angestrebt, denn erst ab diesem Bereich wird die Zahl der tödlichen kardiovaskulären Komplikationen und schweren venösen Thrombosen wirksam gesenkt. Eine Eisensubstitution ist unter der Aderlasstherapie kontraindiziert – auch bei Mangelsymptomen, denn sie kann zu einem sprunghaften Anstieg des Hkt führen. Bei fortschreitender Erkrankung oder schlechter Verträglichkeit der Aderlässe können Medikamente wie Hydroxyurea, Alpha-Interferon oder Ruxolitinib Zellzahl und Symptomlast senken.
Nach exogen zugeführtem Hormon fragen
Sekundäre kongenitale Erythrozytosen sind selten und beruhen meist auf Mutationen in Genen, die die sauerstoffabhängige EPO-Produktion regulieren. Aderlässe zeigen hier im Gegensatz zur Polycythaemia vera keinen Nutzen.
Bei sekundär erworbenen Erythrozytosen führt in der Regel eine Hypoxie zu einer gesteigerten EPO-Synthese. Sie kann sich z.B. infolge einer Herz- oder Lungeninsuffizienz oder eines chronischen Nikotinabusus ausbilden. Auch Tumoren sollten ausgeschlossen werden. Therapeutisch steht die Behandlung der Grundkrankheit an erster Stelle. Aderlässe sind nur in Einzelfällen bei Mikrozirkulationsstörungen sinnvoll. Bei der Ursachensuche sollte man auch nach einer exogenen EPO-Zufuhr fragen, etwa aufgrund von Malignomen oder Nierenerkrankungen. Ausserdem kommen EPO- und Androgen-Doping als Auslöser infrage.
Diagnostik bei Erythrozytose
Labor: Blutbild inkl. Differenzialblutbild, BSG/CRP, LDH, Ferritin, Quick, PTT, GOT, GPT, gamma-GT, alkalische Phosphatase, Bilirubin, Harnsäure, EPO-Serumspiegel
Weitere Untersuchungen: arterielle Blutgasanalyse, Sono Abdomen, Rx-Thorax, EKG, Herz-Echo, Lungenfunktion
Quelle: Wille K et al. Dtsch Med Wochenschr 2019; 144: 128–135.