Reizdarm in Zukunft mit Schokolade behandeln?
Im Basler Claraspital, das u. a. auf Magen- und Darmerkrankungen spezialisiert ist, wird gegenwärtig im Rahmen einer neuen Studie erstmals die Wirkung von Schokolade auf die Verdauung und das Wohlbefinden untersucht. Dunkle Schokolade könnte vielleicht eines Tages sogar zu therapeutischen Zwecken bei Patienten mit Reizdarm eingesetzt werden, sagt der verantwortliche Arzt Professor Dr. Mark Fox im Gespräch mit Medical Tribune.
Universitäten und Spitäler tun sich in der Regel recht schwer bei der Suche nach freiwilligen Testpersonen. Doch keine Regel ohne Ausnahme. Als das Claraspital in diesem Frühjahr Interessenten für eine wissenschaftliche Studie anschrieb, meldeten sich innerhalb kürzester Zeit fast 200 Interessierte an. Den allergrössten Teil musste Prof. Fox, Leitender Arzt am Bauchzentrum des Claraspitals, aber leider wieder nach Hause schicken. Für sein Forschungsprojekt genügen ihm 16 Personen.
Diese ausgewählten gesunden Probanden «müssen» in regelmässigen Abständen eine staatliche Anzahl von jeweils 100 Gramm schweren Schokoladetafeln vertilgen. Bloss für ein paar Wochen natürlich, das Spital will ja nicht künstlich neue Adipositas-Patienten rekrutieren. Die Resultate sollen im Dezember dieses Jahres in der Weihnachtsausgabe einer renommierten Zeitschrift publiziert werden.
Mögliche Alternative zu Medikamenten
Ist das Ganze ein Jux? Prof. Fox lacht, winkt aber ab. Nein, die Aktion habe einen ganz reellen und sinnvollen Hintergrund: «Wir untersuchen Schokolade als eine mögliche Alternative zu schulmedizinischen Medikamenten», erläutert der Forscher das Kernziel. Es gehe übrigens um Kakao, noch genauer um Schokolade mit einem hohen Kakaoanteil. Um Kontrollvergleiche ziehen zu können, erhalte die gleiche Probandengruppe weisse Schokolade mit null Prozent Kakaoanteil vorgesetzt.
Dem Kakao wurden schon zu Zeiten der Maya und Azteken-Zivilisation viele positive Seiten nachgesagt. «Gegenwärtig erlebt die Schokoladeforschung ihre Blütezeit», fasst Prof. Fox zusammen. «Schokolade mit einem hohen Prozentsatz an Kakao enthält viele pharmakologisch wirksame Stoffe inklusive Flavonoiden, Methylxanthinen und anderen Antioxidanzien mit potenziell gesundheitsfördernden Eigenschaften.» Im Gegensatz dazu beinhalte weisse Schokolade kaum biologisch aktive Substanzen.
Das wohlschmeckende Produkt Kakao soll nicht nur zur Steigerung des Wohlbefindens beitragen, sondern trotz der hohen Kalorienanzahl und dem hohen Fettgehalt auch günstige Auswirkungen auf den Blutdruck haben, das Arteriosklerose-Risiko senken und möglicherweise sogar vor Demenz schützen. Ein Forscher mit Schweizer Wurzeln in den USA habe sogar einmal herausgefunden, dass eine Korrelation zwischen Schokoladekonsum und Nobelpreisträgern bestehe, sagt Prof. Fox mit einem Augenzwinkern. In dieser Analyse steht die Schweiz übrigens ganz oben auf der Liste mit der höchsten Zahl Preisträger pro 100 000 Einwohner weltweit. Dunkler Schokolade werde auch ein Effekt auf die Magen-Darm-Funktion zugeschrieben. Im Volksmund gelte es als Hausmittel gegen Diarrhö. Ein potenzieller Mechanismus für diesen Effekt sei die Inhibition von CFTR-Chloridkanälen durch im Kakao enthaltene Flavonoide und vermindertem Salz- und Wassertransport durch das Kolonepithel.
Wirkung auf Magen und Darm noch unerforscht
Die Wirkung von Kakao auf den Magen-Darm-Trakt wurde bis jetzt noch nie untersucht. Das Claraspital betrete mit dieser wissenschaftlichen Studie Neuland. Die Zahl der Probanden sei zwar gering, um wirklich aussagekräftige Ergebnisse zu erhalten. Für eine erste Phase würde das aber reichen. «Die Untersuchung der Probanden erfordert einen hohen Aufwand», lautet die Begründung des Forschers. Immerhin musste sich das Claraspital die Schokolade nicht selber besorgen. 500 Tafeln sponserte ein Detailhandelsunternehmen, und Chocosuisse, der Dachverband schweizerischer Schokoladenhersteller, unterstützte die Studie mit einem finanziellen Beitrag.
Schokolade-Zentrum im Gehirn identifizieren
Kurz nach dem Schokoladenverzehr wird bei den 16 Teilnehmenden individuell verfolgt, in welcher Geschwindigkeit der Magen entleert wird. Ebenso werde die Darmdurchlaufzeit gemessen. «Der Verdauungsprozess wird objektiv dargestellt mittels Szintigrafie, Atemtests und kleinen Plastikkapseln – Sitzmarkers–, die mit der Schokolade jeden Tag eingenommen werden.» Zudem wird untersucht, welche Teile des Gehirns durch Kakao aktiviert werden.
Stoffwechselvorgänge sollen mit Positronen-Emissions-Tomografie (PET) bildlich dargestellt und einer anatomischen Landkarte zugeordnet werden. «Wir wollen das Schokoladezentrum im Gehirn identifizieren», macht Prof. Fox klar. Falls die Studie bei gesunden Probanden einen positiven Effekt auf den Darm und das Gehirn zeige, könnte dunkle Schokolade vielleicht auch zu therapeutischen Zwecken bei Patienten mit Reizdarm eingesetzt werden. Viele der jungen Patienten würden dies sehr begrüssen, da sie nicht längerfristig Medikamente einnehmen möchten. Die Studie sei also kein Witz, sagt Prof. Fox, sondern ernste Forschung, festlich verkleidet.