Beim regionalen Schmerzsyndrom stößt evidenzbasierte Medizin an ihre Grenzen
Beim komplexen regionalen Schmerzsyndrom (CRPS) – auch Reflexdystrophie oder Morbus Sudeck genannt – werden zwei Typen unterschieden: Während der wesentlich seltenere Typ 2 nach einer Nervenschädigung auftritt, kann Typ 1 nach sehr unterschiedlichen äußeren Einwirkungen entstehen. In den meisten Fällen sind es Frakturen (ungefähr 50 %), vor allem des Radius, aber auch Operationen, Entzündungen oder eine Ruhigstellung der Extremität, erklärte Dr. Andrea Giusti vom Galliera Hospital in Genua.
Erst warme, dann kalte und letztlich atrophische Phase
Die Diagnose wird rein klinisch gestellt. Im Zentrum steht ein spontaner Schmerz mit oder ohne Allodynie oder Hyperalgesie. Zudem treten Ödem, Durchblutungsstörung, Hautveränderungen oder auch Funktionsstörungen auf. Das komplexe regionale Schmerzsyndrom verläuft typischerweise in Stadien:
- In der 6- bis 12-wöchigen akuten oder warmen Phase stehen Schmerz, Ödem und Durchblutungsstörung im Vordergrund.
- In der darauffolgenden dystrophischen oder kalten Phase (6–18 Wochen) sind es Ödem und Hautdystrophie.
Unbehandelt mündet das CRPS vom Typ I in die atrophische Phase mit Hautatrophie und erheblichen Funktionseinschränkungen. Je früher die Diagnose gestellt wird, desto besser die Prognose, berichtete Dr. Giusti.
Die Pathophysiologie der Erkrankung ist nach wie vor unklar. Aktuell wird davon ausgegangen, dass eine äußere Schädigung über Nozizeptoren eine neurogene Entzündung auslöst, die zu einer gestörten Mikrozirkulation führt. Eine lokale Hypoxie und Gewebsazidose sind die Folge, klinisch mit Knochenverlust und Knochenmarksödem einhergehend.
Ergebnisse für Sympathikus- Blockade sehr bescheiden
Labortests, Röntgen, MRT oder Szintigrafie sind nicht spezifisch und helfen allenfalls in der Differenzialdiagnostik weiter. So findet sich im Röntgen erst sehr spät ein Knochenverlust. Das MRT zeigt das Knochenödem und hilft, andere Diagnosen auszuschliessen. Die Szintigrafie ist zwar auch nicht spezifisch, zeigt jedoch eine gesteigerte Aktivität und hilft dadurch, Patienten zu identifizieren, die von einer Behandlung mit Bisphosphonaten profitieren, erklärte Dr. Giusti.
Zwar gibt es viele verschiedene Therapieansätze, diese sind jedoch meist empirisch. Gute Evidenz hat man aber kaum. Das gilt sowohl für die kognitive Verhaltenstherapie, Physio- und Ergotherapie als auch für Akupunktur oder Rückenmarkstimulation. Und die Ergebnisse für die häufig eingesetzten Sympathikusblockaden sind sehr bescheiden, wie Dr. Giusti zeigen konnte: In fast 60 % der Fälle änderte sich nichts an der Symptomatik. Bei etwa 20 % kam es zu mäßigen oder vorübergehenden Effekten. Weniger als 5 % waren zufrieden, aber bei ähnlich vielen verschlechterte sich die Situation.
Bisphosphonate bei positiver Szinti
Auch für die meisten medikamentösen Ansätze wie Clonidin, Gabapentin, Pregabalin, Antidepressiva, Opiate, NSAR, Kortikosteroide oder intravenöses Lidocain gibt es keine vernünftigen Studien. Einzig für Bisphosphonate besteht eine einigermaßen gute Evidenzlage.
Fünf kleine Studien zeigen, dass die Gabe von intravenösen Bisphosphonaten (Alendronat, Clodronat, Neridronat) im Vergleich mit Placebo überlegen war: Schmerzen konnten kurz- und langfristig gelindert werden, das Ödem war rückläufig und auch die Lebensqualität der Teilnehmer verbesserte sich. Dabei zeigte sich in der Neridronat-Studie, dass vor allem Patienten mit positivem Szintigramm und einer Erkrankungsdauer unter vier Monaten profitierten.
Geringe Schmerzreduktion durch Glukokortikoide
In der abschließenden Diskussion betonte Dr. Giusti, dass gemäß Datenlage die Gabe von Bisphosphonaten nur bei positivem Szintigramm sinnvoll ist. Für das bei CRPS derzeit primär eingesetzte Zolendronat gibt es keine Studie. Wohl aber weiß man, dass sich die Gabe positiv auf das Knochenödem auswirkt. Und was die Glukokortikoide angeht, berichtete der Kollege über einen geringen Effekt auf die Schmerzen, der aber nicht mit dem der Bisphophonate zu vergleichen ist. Inwieweit eine Kombination von Bisphosphonat und Glukokortikoiden sinnvoll ist, wurde bisher nicht untersucht.
Quelle: EULAR*-Kongress 2016
*European League Against Rheumatism