12. Mai 2015Adipositas-Therapie

Adipositas: Von der Formuladiät bis zur Magen-Op.

Streit um die Adipositas-Therapie: Sind klassische Reduktionsprogramme bei Schwerbeleibten überhaupt effektiv genug? Sollte man nicht lieber gleich auf eine Formuladiät setzen oder zum Skalpell greifen? Am Internistenkongress präsentierten Experten ihre Ergebnisse.

Entscheidend für den Erfolg der Adipositas-Therapie ist die richtige «Annäherung» an den Patienten, betonte Dr. Klaus Winckler, niedergelassener Ernährungs- und Allgemeinmediziner in Frankfurt a. M. Er stützt sich dabei gern auf das kanadische 5A-Konzept (s. Kasten). Dieses empfiehlt z. B., vor dem Gespräch den Patienten um Erlaubnis zu fragen (Bereitet Ihnen Ihr Gewicht Sorge? Sollen wir darüber reden?). Die Motivation zum Abnehmen lässt sich mit einer Skala (Wichtigkeit 1–10) erfassen.
Auch Trigger für den Gewichtsanstieg (z. B. Depression, Arthrose, Medikamente) sind zu ergründen. Schliesslich sollte man dem Patienten sagen, welchen Nutzen er von einem moderaten Gewichtsverlust erwarten kann, und realistische Ziele vereinbaren, z. B. eine Reduktion von 0,5–1 kg/Woche bzw. maximal 5–10 % Abnahme insgesamt.

Dr. Winckler bietet in seiner Schwerpunktpraxis für Ernährungsmedizin (BDEM*) u. a. das MOBILIS**-Programm an, das für Patienten mit Adipositas Grad I und II (BMI 30–40 kg/m2) konzipiert ist. In einer Einjahres-Studie schaffte ein Fünftel der Teilnehmer eine Gewichtsreduktion um mindestens 10 %, ein Viertel erreichte zwischen 5 und 9,9 %. Gleichzeitig besserte sich die körperliche Leistungsfähigkeit.

Nur einen Trunk kaufen, reicht nicht aus

Eine deutlich höhere Gewichtsabnahme lässt sich mit Formuladiäten erzielen, berichtete Professor Dr. Johannes Georg Wechsler von der Inneren Abteilung des Krankenhauses Barmherzige Brüder in München. Diese Diäten sind auf hochwertige Proteine, Mineralien, Vitamine etc. voll bilanziert, sodass ein Nährstoffmangel ausgeschlossen ist. Ausserdem haben die Patienten nachweislich keinen Hunger.
Mit einer dreimonatigen Formula-Phase lässt sich ein Gewichtsverlust von etwa 20 % herbeiführen, der bei anschliessender Ernährung mit energiereduzierter Mischkost über ein Jahr stabil bleibt. Durch die Hinzunahme einer zweiten Formula-Phase gelingt sogar eine mit der bar­iatrischen Chirurgie vergleichbare Reduk­tion (von 148 auf 104 kg nach einem Jahr). Voraussetzung für derartige Erfolge ist die Einbettung in ein Programm mit Bewegung und Verhaltenstherapie. Einfach einen Trunk in der Apotheke zu kaufen, reicht nicht, betonte Prof. Wechsler.

Zunehmender Beliebtheit erfreut sich bei extrem Adipösen offenbar die bariatrische Chirurgie: Seit 2005 hat sich die Zahl der Eingriffe verzwölffacht, am häufigsten werden Schlauchmagen (Sleeve gastrectomy) und Roux-Y-Bypass angelegt (jeweils mehr als 3000/Jahr), so Professor Dr. Bernhard Husemann, Adipositaschirurg i. R., Grabenstätt-Marwang. Als Vorteile der Sleeve-Gastrektomie nannte der bariatrische Chirurg die fast normale Magenfunktion und geringe Komplikationsrate (Anämie, Eiweiss-/Vitamin-Defizite, Osteoporose). Zudem bleibt eine Endoskopie möglich. Die erzielte Gewichtsabnahme hält langfristig: Zehn Jahre nach Anlage eines Roux-Y-Bypass z. B. wogen die Patienten noch 49 kg weniger als zuvor. Allerdings kranken viele Langzeitstudien an einer zu geringen Follow-up-Quote.

Einen grossen Pluspunkt der bariatrischen Chirurgie stellt der Stoffwechseleffekt dar: Mit Schlauchmagen waren in einer Arbeit nach sechs Jahren noch 72 % der Diabetiker in Remission, mit Roux-Y-Bypass noch 68 % und mit Magenband 63 %.

Bei Diabetikern sinkt der HbA1c-Wert

Bei resezierenden Verfahren spielen gastrointestinale Hormone die entscheidende Rolle, der Diabetes weicht bereits im ersten Vierteljahr. Beim Magenband dauert es ein Jahr, bis die Gewichtsreduktion greift. Unterschiede zur konservativen Therapie zeigen aktuelle Daten: Mit Magenband und Schlauchmagen lag das HbA1c nach drei Jahren deutlich niedriger (8,4 % statt 9,0 %). Auch hinsichtlich der Fünfjahres-Mortalität schneiden operierte Patienten mit 0,68 % vs. 6,17 % deutlich besser ab als unbehandelte extrem Übergewichtige. Eine kausale Therapie bietet allerdings auch die Operation nicht. «Wir können aus einem Dicken nur einen dünnen Dicken machen», erklärte Prof. Husemann, «gesund wird er nicht».
Auch Prof. Wechsler konzedierte, dass man in bestimmten Fällen nicht ohne den Chirurgen auskommt. Wenn mehr operiert wird, gibt es auch viel für Internisten zu tun: Nur mit intensiver Nachsorge lassen sich z. B. Eiweiss-, Vitamin- und Eisendefizite rechtzeitig erkennen.

*    Bundesverband Deutscher Ernährungsmediziner e. V.
** multizentrisch organisierte bewegungsorientierte Initiative zur Lebensstiländerung in Selbstverantwortung.

121. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)


Fünf As gegen Übergewicht

Für die hausärztliche Therapie hat das Canadian Obesity Network das 5A-Konzept entwickelt: Ask: Vor dem Gewichtsgespräch um Erlaubnis fragen

Assess: Risikofaktoren und Adipositas-Trigger erfassen

Advise: Über Gesundheitsrisiken und Therapieoptionen beraten

Agree: Gemeinsame Ziele mit dem Patienten erarbeiten

Assist: Patienten bei der Wahl der Therapieangebote unterstützen

Die Langfassung kann aus dem Internet kostenlos heruntergeladen werden:
obesitycanada.ca