23. Jan. 2015Gerinnungshemmern

Antikoagulation auf Fernreisen

Ob Vorhofflimmern, Herzklappenerkrankungen mit mechanischem Klappenersatz oder hochgradige Thrombophilie – viele Erkrankungen, die mit Gerinnungshemmern behandelt werden, treten im Alter vermehrt auf. Antikoagulierte Patienten sind in der Zwickmühle. Sie leben ständig zwischen erhöhtem Thromboembolierisiko (bedingt durch die Grunderkrankung) und gesteigerter Blutungsgefahr aufgrund der medikamentösen Gerinnungshemmung, so Professor Dr. Jürgen Ringwald vom Universitätsklinikum Erlangen.

Das gilt zu Hause, aber erst recht auf Reisen. Wenn antikoagulierte Patienten einen Auslandsaufenthalt planen, sollte zunächst die Reisefähigkeit beurteilt werden. Auch reisebedingte Risiken sind dabei zu kalkulieren, z.B. Einfluss der Zeitverschiebung auf Antikoagulanzien mit kürzerer Halbwertszeit oder stärkere Blutungsneigung in warmen Regionen (Vasodilatation!).

Blutungsneigung in warmen Regionen: Vasodilatation beachten

Patienten, die Vitamin-K-Antagonisten (VKA) einnehmen und längere Reisen in exotische Gebiete planen, brauchen vor Ort engmaschigere INR-Kontrollen. Nur so lassen sich INR-Abweichungen, beispielsweise ernährungsbedingt, frühzeitig erkennen und potenzielle Komplikationen vermeiden. In Ländern mit eingeschränkter medizinischer Infrastruktur ist dies jedoch nicht immer möglich – ein Gerinnungsselbstmanagement (GSM, eigenständige INR-Messung und VKA-Dosisanpassung) bietet dann Vorteile.

Prof. Ringwald empfiehlt für VKA-Patienten folgendes Vorgehen: Falls kein GSM erfolgt, aber eine gute INR-Einstellung über sechs Monate vorliegt, sind Reisen in Regionen mit guter medizinischer Versorgung möglich. Bei instabiler INR-Einstellung sollten Fernreisen unterbleiben, zumal auch keine Flugtauglichkeit besteht.

Gerinnung selbst managen

Lässt sich ein Urlaub in eine ferne „kritische“ Region nicht vermeiden, kann eine Umstellung auf niedermolekulares Heparin (NMH), Fondaparinux, oder auf ein neues, direkt wirkendes, orales Antikoagulans (NOAK) erwogen werden. Die neuen NOAK weisen gegenüber VKA unter reisemedizinischen Gesichtspunkten einige Vorteile auf, z.B. keine Wechselwirkung mit der Ernährung und kein labordiagnostisches Monitoring.

Auch die Gefahr von Interaktionen mit reisemedizinisch relevanten Medikamenten – etwa Antimalariamittel oder Antibiotika – ist unter den neuen oralen Gerinnungshemmern geringer. Die im Vergleich zu den VKA kürzeren Halbwertszeiten der NOAK erlauben einerseits recht problemlos intramuskuläre Impfungen. Andererseits muss bei Reisen über mehrere Zeitzonen die NOAK-Einnahme angepasst werden, damit eine kontinuierliche Antikoagula­tion gewährleistet ist.

NOAK erlauben Impfungen und Malaria-Prophylaxe

NOAK zur Prävention der Reise-Thromboembolie?
Das absolute Risiko für eine Reise-Thromboembolie (RTE) ist sehr gering. Nach wie vor fehlen laut Prof. Ringwald evidenzbasierte Vorgaben zur Prophylaxe dieser besonderen Form der Sitzthrombose. In letzter Zeit beobachten Experten eine Tendenz zur verstärkten und manchmal eher unkritischen RTE-Prävention. Beim Einsatz von NOAK zur RTEProphylaxe handelt es sich um einen „Off-label-Use“ – darüber muss der Reisende aufgeklärt werden.

Die neuen, direkten oralen Gerinnungshemmer – vor allem Dabigatran – werden in hohem Maß renal ausgeschieden. Deshalb kann es bei beeinträchtigter Nierenfunktion zu einer Kumulation mit erhöhtem Blutungsrisiko kommen. Ältere Patienten unter NOAK-Therapie sollten auf Reisen in warmen Ländern ausreichend trinken, um eine exsikkosebedingte Verschlechterung der Nierenfunktion zu vermeiden, rät Prof. Ringwald.

Alles in allem scheinen Reisen unter NOAK gegenüber VKA einfacher und vielleicht auch sicherer zu sein – evidenzbasierte Daten hierzu gibt es aber noch nicht. Ob vor einer geplanten Reise von einem VKA auf ein NOAK umgestellt werden soll, muss deshalb im Einzelfall gründlich geprüft werden. Wobei die zugelassenen Indikationen genau beachtet werden müssen.

Quelle: Jürgen Ringwald, Flug u Reisemed 2014; 21: 236-240