So schaffen Senioren den Benzo-Ausstieg
Seit 2012 läuft in Nordamerika die Campagne „Choosing Wisley“, die Ärzte und Patienten dabei unterstützt, überflüssige und möglicherweise risikobehaftete Medikamente abzusetzen. Ganz oben auf der Liste der inadäquaten Verordnungen stehen Benzodiazepine für ältere Patienten. Ärzte fühlen sich aber oftmals durch die Patienten zu den Verschreibungen genötigt, Angebote zum Ausstieg aus der Abhängigkeit werden ignoriert.
Ohne Benzos Schlaflosigkeit und Ängste überwinden
Ob die direkte Ansprache der Patienten durch unabhängige Berater bzw. gut gemachte Broschüren besser klappt, war die Fragestellung einer randomisierten Studie mit 303 Patienten im Alter zwischen 65 und 95 Jahren, die Benzodiazepin-Langzeitverordnungen erhielten und keine Demenz oder andere schwerwiegenden psychiatrischen Erkrankungen hatten.
Die Patienten des Interventionsarms (n = 148) erhielten eine für diese Studie speziell entwickelte und getestete Broschüre, die teilweise interaktiv auf die Risiken des Benzodiazepin-Dauergebrauchs aufmerksam machte und zu einer Verunsicherung bezüglich der Sicherheit dieser Medikamente führen sollte. Ratschläge, wie man ohne Benzodiazepine Schlaflosigkeit und Ängste überwinden kann, sollten die Selbstkompetenz stärken.
Information und Anleitung macht das Absetzen möglich
Piktogramme veranschaulichten, wie ein 21-wöchiger Absetzversuch mit Halbierung der jeweiligen Dosis funktionieren könnte. Auch individuell mit dem Arzt vereinbarte Absetzpläne waren erlaubt. Am Schluss wurden die Teilnehmer gebeten, sich mit dem Wunsch nach Dosisreduktion und Absetzen der Medikation an ihren Arzt oder Apotheker zu wenden. Die Patienten des Kontrollarms (n = 155) erhielten weiterhin die gewohnte Behandlung und einen Wartelistenplatz für die Intervention.
Insgesamt 261 Teilnehmer (86 %) beendeten das vorgesehene Follow-up nach sechs Monaten. 62 % der Patienten der Interventionsgruppe hatten das Thema Absetzen der Benzodiazepine in der Praxis oder der Apotheke angesprochen, 27 % benötigten nach sechs Monaten keine weitere Benzodiazepin-Verordnung. In der Kontrollgruppe traf dies nur auf 5 % zu.
Überdenken der Verordnungspraxis
Das Ergebnis innerhalb dieser Zeitspanne entspricht einer Number needed to treat von 4. Weitere 11 % der Interventionsgruppe erreichten zumindest eine Reduktion der ursprünglichen Dosis. Entzugssymptome wie eine Rebound-Insomnie oder Angstzustände traten bei 42 % der Patienten während des Entzugs auf. Schwerwiegende Zwischenfälle wurden nicht berichtet. Die Suche nach besonders „erfolgreichen“ Subgruppen blieb erfolglos, weder ein Alter von über 80 Jahren, die Indikation, die Dosis, vorangegangene Absetzversuche noch die Verordnung vieler Medikamente hatten laut den multivariaten Regressionsanalysen einen Einfluss auf die Beendigung der Benzodiazepin-Einnahme.
Die direkte Ansprache des Patienten mit einer psychologisch ausgeklügelten Broschüre scheint, zumindest innerhalb einer kurzen Zeitspanne, recht erfolgreich zu sein – gemessen an den psychischen und physischen Hindernissen, die das Absetzen von Benzos nach Langzeiteinnahme mit sich bringt. Da die Initiative vom Patienten ausgeht, ist die Motivation zum Durchhalten wohl höher, als wenn die Senioren vom Arzt „ermahnt“ werden. Die Studienergebnisse sollten auch Ärzte nochmals zum Überdenken ihrer Verordnungspraxis anregen. Ein langsames Absetzen von Benzodiazepinen bei motivierten Älteren mit Langzeiteinnahme ist in einem Zeitraum von fünf bis sechs Monaten durchaus möglich.
Quelle: Cara Tannenbaum et al., JAMA Intern Med 2014; online first