25. Juni 2014

In der Jugend impfen bringt Schutz im Alter

Mit steigendem Alter werden Menschen anfälliger für Infektionen und diese verlaufen oft schwerer, erklärte Professor Dr. Herwig Kollaritsch, Chef der Forschungseinheit Epidemiologie und Reisemedizin an der Medizinuniversität Wien. Das trifft auf Atemwegsinfektionen wie Influenza und SARS zu, aber auch auf Reiseinfektionen wie West-Nil-Fieber und Chikungunya. Weil viele T-Zellen bereits terminal differenziert sind, ist die Reaktionsfähigkeit des Immunsystems eingeschränkt.

Boostern bringt guten Erfolg – hält aber kürzer an

Nach so vielen schlechten Nachrichten nun eine gute: Das Immungedächtnis, das in jungen Jahren durch Infektionen und Impfungen aufgebaut wurde, bleibt weitgehend erhalten. Studien zu verschiedenen Impfungen, u.a. FSME und Diphtherie/Tetanus/Pertussis/Polio (TdaP/IPV), zeigen, dass das Immunsystem beim Boostern noch fast so gut anspringt wie bei jüngeren Menschen und der Impfschutz dann auch anhält, aber wohl nicht mehr so lange.

„Der Titer-Anstieg kommt oft verzögert, es werden weniger Antikörper gebildet, aber deren Qualität ist gut“, so Prof. Kollaritsch. „Vielleicht sollten wir bei Älteren die Impfabstände bei Erstimmunisierung verlängern, um dem langsamen Anspringen des Immunsystems Rechnung zu tragen.“

Umgekehrt sollten die Abstände zwischen den Boosterimpfungen verkürzt werden, denn niedrigere Antikörpertiter bedeuten auch einen schnelleren Titerabfall. Bei einigen Impfungen berücksichtigen die Empfehlungen das bereits. So sollte die FSME-Impfung laut STIKO ab dem 50. Lebensjahr alle drei statt fünf Jahre aufgefrischt werden.

Im Seniorenalter Impfung gegen Influenza und Pneumokokken empfohlen

Die Österreicher empfehlen außerdem, Diphtherie und Tetanus ab 60 Jahren alle fünf statt zehn Jahre zu wiederholen. Als Sonderfall gilt die Hepatitis B: Hier werden aller Wahrscheinlichkeit nach keine zirkulierenden Antikörper benötigt, die einmal erworbene Immun-Memory reicht ein Leben lang aus.

Die Konsequenz: Die Grundimmunisierung mit boosterfähigen Impfstoffen sollte spätestens im mittleren Lebensalter vervollstän­digt werden, um ein belastungsfähiges Immungedächtnis zu erzeugen. Bei den Standardimpfungen, die im Kindesalter verabreicht werden sollten (DTaP/IPV, Mumps/Masern/Röteln, Hepatitis B), ist das einfach.

Dazu kommen aber Impfungen, die erst im Seniorenalter allgemein empfohlen werden wie die gegen Influenza und Pneumokokken, und Reiseimpfungen wie FSME oder Gelbfieber. Influenza und Pneumokokken bieten dabei streng genommen dem Immunsystem keine neue Herausforderung, weil der Erstkontakt mit den Antigenen schon in der Jugend stattfindet, aber für einen belastbaren Immunschutz reicht dieses Priming bekanntlich nicht aus.

Adjuvanzien für besseren Impferfolg

Influenza-Impfstoffe sind ohnehin ein Problemfall, weil sie insgesamt nicht so effektiv wirken, wie man es sich wünschen würde, und der Schutzeffekt im Alter noch abnimmt, so Prof. Kollaritsch. Adjuvanzien verstärken die Immunantwort und möglicherweise könnte eine Nachimpfung gegen Saisonende besseren Schutz bieten, obwohl auch Menschen, die sich alle Jahre wieder grippeimpfen lassen, allenfalls eine mäßig bessere Impfantwort zeigen. „Die Influenzaimpfung ist vielleicht wenig wirksam, besonders bei Älteren, aber wir haben keine bessere Alternative und sollten sie Senioren nicht vorenthalten“, resümierte der Impfexperte.

Bei der Pneumokokkenimpfung steht man vor einer ganzen Reihe von Problemen: Polysaccharidimpfstoffe erzeugen keine gute Immunantwort und lassen sich nicht boostern. Sie verhindern zwar invasive Infektionen, nicht aber die für Senioren relevanteste Pneumokokkenerkrankung, die Pneumonie. Außerdem induzieren sie eine Hyporesponsiveness, d.h., der Impfeffekt fällt mit jeder Wiederholung schwächer aus. Die Konjugatvakzine, die alle diese Nachteile nicht aufweist, ist für Erwachsene nur in Ausnahmefällen zugelassen und deckt auch nur 13 statt 23 Serotypen ab.

Immerhin: Die CAPITA-Studie, die dieses Jahr endlich veröffentlicht werden soll, wird wohl den Pneumonieschutz auch bei Senioren bestätigen und dann dürfte sich auch die STIKO entschließen, die 13-valente Vakzine für Ältere zu empfehlen. Zu klären bleiben dann aber noch das Impfschema und der ideale Abstand für Boosterungen.

Impfungen müssen wirksam und verträglich sein

Die FSME-Impfung erzeugt bei Senioren niedrigere, aber ebenso gut boosterfähige Antikörpertiter wie bei jungen Menschen. Da die Titer jährlich um etwa die Hälfte sinken, muss ab dem zweiten oder dritten Jahr nach der Impfung mit einem Schutzverlust gerechnet und eventuell früher über eine Auffrischung nachgedacht werden.

Bei der Gelbfieberimpfung geht es weniger um die Wirksamkeit als um die Verträglichkeit: Schwere Nebenwirkungen kommen bei älteren Menschen sehr viel häufiger vor. Zu nennen ist hier vor allem die YV-AVD*, ein fieberhaftes Multior­ganversagen, das zwei bis fünf Tage nach der Impfung auftritt. Alter ist der einzige bekannte Risikofaktor. „Bei über 60-Jährigen müssen deshalb Ansteckungs- und Impfrisiko sehr sorgfältig abgewogen werden“, betonte Prof. Kollaritsch. Im Zweifelsfall sollte man dem Senior ein Nicht-Gelbfieber-Reiseziel ans Herz legen.

Was im alternden Immunsystem passiert

Die Seneszenz erfasst das gesamte Immunsystem. T- und B-Linien bilden weniger neue Zellen und regenerieren schlechter, die Antikörperqualität sinkt, erklärte Prof. Kollaritsch. Degenerative Veränderungen betreffen

  • die angeborene Abwehr: Pathogen-Erkennung, Antigenpräsentation durch Makrophagen und Langerhanszellen in der Haut als erste Verteidigungslinie schwächeln,
  • die erworbene Abwehr: Es schwärmen weniger naive T-Zellen aus, die Antwort auf neue Pathogene fällt schwächer aus und das Immungedächtnis verliert seine Nachhaltigkeit. Zudem kommen immer mehr autoimmune Prozesse und subklinische Entzündungsreaktionen in Gang.
  • Parallel verschiebt sich das Zytokinmuster weg von den Helferfunktionen (IL-2 und -4) hin zu proinflammatorischen Signalen (IFN-γ). Immunologisch betrachtet, beginnt der Mensch übrigens schon ab dem 40. Lebensjahr alt zu werden. Mit Labormethoden messbar werden die Veränderungen ab 50, klinisch relevant ab etwa 60 Jahren.

*Yellow Fever Acute Viscerotropic Disease

Quelle: 15. Forum Reisen und Gesundheit, Berlin, 7./8. März 2014, Veranstalter: Centrum für Reisemedizin