Diuretika in der Praxis – zu viele Irrlehren
Diuretikum übergangen – das kommt z.B. häufig bei der Behandlung des Bluthochdrucks vor. So geschieht es, dass immer wieder Patienten als „therapieresistente Hypertoniker“ in Spezialkliniken aufgenommen werden, obwohl sie nie ein Diuretikum eingenommen haben.
Resistente Hypertonie, wenn Dreierkombination mit Diuretika versagt
Das ist ein Kardinalfehler, denn der gescheiterte Versuch einer Dreierkombination mit Beteiligung eines Diuretikums (!) bildet laut Leitlinie die Prämisse für die Feststellung „resistent“. Wenn es bei der antihypertensiven Therapie darum geht, Schlaganfall, Herzinsuffizienz und Nierenversagen zu verhindern, „tun Diuretika diesen Job ebenso gut“ wie die anderen Antihypertensiva auch, betonte Professor Dr. Frans Hendrik Rutten von der Universität Utrecht. Daher rangieren die blutdrucksenkenden Substanzen (ACE-Hemmer, AT1-Rezeptorantagonisten, Betablocker, Kalziumantagonisten, Diuretika) in den aktuellen Hochdruckleitlinien gleichwertig nebeneinander.
Diuretika bei Herzinsuffizienz: Prognose verbessernd!
Bei Herzinsuffizienz: Leitsätze zur Diurese:
- Diuretika sind eine unverzichtbare therapeutische Säule, müssen aber individuell/dynamisch eingesetzt werden (regelmäßige Kontrolle von Flüssigkeitshaushalt, Ejektionsfraktion, Blutdruck).
- Bei diastolischer Herzinsuffizienz genügen niedrige Dosen.
- Systolische Herzinsuffizienz verlangt oft hohe Dosen (bei geichzeitiger Therapie mit ACE-Hemmern/Sartanen, Betablockern und Mineralkortikoid-Rezeptorantagonisten) sowie zusätzlich Flüssigkeitsrestriktion.
- Stauung scheint für die Niere mindestens so schädlich zu sein wie Hypotension/Hypoperfusion.
- Bei hypervolämischer Hyponatriämie muss man die Dosis des Diuretikums steigern.
Bei der Herzinsuffizienz dagegen gelten Diuretika in prognostischer Hinsicht nicht als erste Wahl. In den Leitlinien werden sie als effektiv beschrieben in puncto Ödembeseitigung und Symptomlinderung, aber – Irrtum Nummer 1 – unterschätzt hinsichtlich ihrer prognostischen Relevanz, wie Prof. Rutten meinte.
Alle großen Herzinsuffizienzstudien, die Betablockern und ACE-Hemmern lebensverlängerndes Potenzial „attestiert“ haben, wurden auf Basis von Diuretika durchgeführt. So nahmen rund 80 % der Studienteilnehmer entwässernde Substanzen ein, argumentierte der niederländische Kollege.
„Wenn wir ehrlich sind, wissen wir nicht, wie diese Studien ohne Diuretika ausgegangen wären.“ Bei vielen alten Patienten – nach Prof. Ruttens Erfahrung eben in rund 80 % der Fälle – sei es ohnehin nicht möglich, diese Medikamente abzusetzen.
Diuretika entlasten die Niere!
Als Irrtum Nummer 2 bezeichnete Prof. Rutten die verbreitete Annahme, Diuretika wirkten sich bei Herzinsuffizienz-Patienten ungünstig auf die Nierenfunktion aus.
Dass die Substanzen – adäquat eingesetzt – die Nieren sogar entlasten, begründete der Kollege wie folgt: Bei schlechter Pumpfunktion sinken Auswurfleistung, Blutdruck und Nierenperfusion. Trotz des geminderten renalen Blutflusses hält die Niere die GFR lange stabil.
Steigt aber zudem der venöse Druck durch kardiale Stauung, beeinträchtigt dies den Blutfluss zusätzlich. Obwohl Diuretika die Nierendurchblutung (durch Reduktion des zirkulierenden Volumens) mindern, können sie die Organperfusion zugleich durch Entstauung steigern.
Bei Hyponatriämie und "low output" Herzinsuffizienz Diuretikum absetzen!
Viele Kollegen glauben auch, sie müssten bei Hyponatriämie generell das Diuretikum absetzen – Irrtum Nummer 3 –, fuhr der Referent fort. Schwere Herzinsuffizienz geht oft mit Hyponatriämie einher – doch dabei gilt es zu differenzieren:
- Besteht bei dem Patienten eine Volumenüberlastung (Ödeme, feuchte Rasselgeräusche über der Lunge oder Gewichtszunahme)?
- Oder steht der „low output“ im Vordergrund (kalte Extremitäten, Hypotonie)?
In letzterem Fall muss man das Diuretikum tatsächlich in der Dosis reduzieren bzw. absetzen. Bei Volumenüberladung, so Prof. Rutten, heißt es sogar im Gegenteil: Dosis erhöhen.
Quelle: ESC-Kongress 2013 AMSTERDAM