Die Psychiatrie kommt auf den Hund
„Juli“ – so heißt die zum Therapiehund ausgebildete Beagle-Hündin, die auf den Stationen der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover „arbeitet“.
„Juli ist aus unserem Stationsalltag nicht mehr wegzudenken“, berichtet Andreas Wessels, Referent des Klinikdirektors Professor Dr. Stefan Bleich und zuständig für den Einsatz von Tieren im Rahmen der psychiatrischen Therapie an der Medizinischen Hochschule.
Die Beagle-Hündin lebt quasi mit den Patienten auf der Station und wird auch von ihnen ausgeführt. „Sie ist ein nonverbaler Partner, mit dem die Patienten sich auf ganz anderer Ebene auseinandersetzen als mit den Menschen“, erklärt Andreas Wessels.
Hund vermittelt soziale Kontakte
Juli vermittelt zudem quasi en passant soziale Kontakte: Denn beim Ausführen des Hundes werden die Gassigeher oft von anderen Menschen angesprochen und kommen leicht mit diesen ins Gespräch – eine für viele bis dato unbekannte Erfahrung sozialer Interaktion.
Der Einsatz „tierischer Therapeuten“ begann in Hannover mit Wellensittichen. Andreas Wessels brachte die Tiere inoffiziell mit auf die Station – aus Sorge, die Hygienekommission könnte diesem Engagement einen Riegel vorschieben.
Verantwortung übernehmen als Ausweg aus der Minussymptomatik
Der Erfolg war bemerkenswert und führte zur Anschaffung von Meerschweinchen. Sie fristeten zunächst ebenfalls ein Undercover-Dasein auf der Station und wurden quasi als „verschwiegene Therapie“ eingesetzt: „Wir haben dabei gesehen, dass Patienten, die sonst sehr in der Minussymptomatik verhaftet sind wie etwa chronisch Schizophrene, im Umgang mit den Tieren aus sich herausgehen und zum Beispiel Verantwortung für die Reinigung des Tierkäfigs übernehmen.“
Viele suchen zudem den direkten Kontakt zu den Tieren, nehmen diese zum Beispiel aus dem Käfig, spielen mit ihnen und erleben positive Emotionen. Es war deshalb folgerichtig, auch auf den „Hund zu kommen“, Juli zum Therapiehund ausbilden und im Rahmen der Milieutherapie auf der Station „arbeiten“ zu lassen.
Beagle-Hündin Juli lässt den Aggressionspegel sinken
Die Erfahrungen sind durchaus positiv: „Die Kranken profitieren direkt über positive emotionale Erfahrungen und der Aggressionspegel sinkt deutlich ab, das Klima auf der Station ist für alle weitaus angenehmer, wenn Juli vor Ort ist“, berichtet der gelernte Krankenpfleger.
Derzeit arbeitet die Beagle-Hündin auf einer Psychotherapie-Station, auf der vorwiegend Menschen mit Angsterkrankungen und Depressionen betreut werden. „Auch dort stellen die Mitarbeiter fest, dass der Umgang mit dem Hund psychiatrischen Patienten und vor allem Depressiven sehr guttut“, so Andreas Wessels.
Kontraindikation für Tiertherapie sind akute Psychosen
Sinnvoll ist der Einsatz „tierischer Therapeuten“ nach den Erfahrungen an der Medizinischen Hochschule bei praktisch allen psychiatrischen Diagnosen außer jedoch bei akuter psychischer Erkrankung. Denn dort kann diese Therapieform eine Überflutung an Gefühlen hervorrufen, die möglicherweise nicht verarbeitet wird.
Gute Therapieerfahrungen aber gibt es bei affektiven Störungen, bei chronisch depressiven Patienten, bei der Schizophrenie und beim Borderline-Syndrom sowie in der Alterspsychiatrie und auch bei Suchterkrankungen.
„Wir wissen inzwischen von mehreren Kliniken, in denen Tiere in das therapeutische Konzept einbezogen werden, ohne dass dies jedoch groß an die Öffentlichkeit gelangt“, sagt der Referent.
Zum Füttern von Elefanten und Affen in den Tierpark
Aufgrund der guten Erfahrungen wurde das Konzept der Einbeziehung „tierischer Therapeuten“ in Hannover bereits ausgeweitet: So werden den Patienten regelmäßig auch Besuche im Zoo angeboten. Sie lernen dabei Stimmungen wahrzunehmen und soziale Kompetenz zu trainieren.
Seit Kurzem gibt es ferner eine Kooperation mit dem Serengeti-Park in Hodenhagen. Auf einem Kleinparcours durch den Park werden die Betroffenen von einer Biologin begleitet und erhalten Gelegenheit, auch direkt körperlichen Kontakt zu den Tieren aufzunehmen.
„Das beschränkt sich nicht auf die normale Streichelwiese. Wir können zum Beispiel beim Füttern der Elefanten oder der Affen im offenen Gehege mitmachen“, erzählt Andreas Wessels.
Stimmungsaufhellung und Aktivierung durch Zoobesuche
Das Projekt wird nach den Worten des Referenten wissenschaftlich begleitet: „Wir prüfen, inwieweit die Tierkontakte dem sozialen Kompetenztraining dienen und wie wir sie am besten bei der klinischen psychotherapeutischen Arbeit nutzen können.“
Das soziale Kompetenztraining geht jedoch über die Tierkontakte hinaus. Denn: „Die Patienten müssen dafür die Klinik verlassen, wir fahren mit öffentlichen Verkehrsmitteln zum Tierpark und auch das gehört zu diesem Training dazu und vermittelt eine besondere Emotionalität.“
Positiver Zoo-Effekt hält über mehrere Tage an
Die Effekte werden mit dem Fragebogen KuStA (Kurze Skala Stimmung und Aktivierung) überprüft, bei dem die emotionale Situation der Patienten vor und nach dem Zoo- sowie dem Tierparkbesuch erfasst wird. Fast ausnahmslos zeigen sich eine Stimmungsaufhellung und eine Aktivierung, wobei die Effekte über Tage hinweg anhalten.
Die Unterstützung der psychiatrischen Behandlung durch Tiere vermittelt nach Andreas Wessels Worten zudem eine höhere Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Dennoch werden tiergestützte Therapien in der Psychiatrie bislang nur begrenzt eingesetzt, bedauert Prof. Bleich.
„Wenngleich diese Therapie wissenschaftlich noch nicht gut untersucht ist, sehen wir doch klinisch eine beeindruckende Wirksamkeit. Die Verfahren sollten deshalb zu einem festen Bestandteil im Rahmen therapeutischer Angebote bei psychischen Erkrankungen werden“, so lautet sein Fazit.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht Hannover