Probiotika: Was leisten die Bakterien?
Zwischen Darmbakterien und Wirt besteht eine einzigartige Lebensgemeinschaft von gegenseitigem Nutzen, erklärte Professor Dr. Rémy Meier vom Gastroenterologischen Kantonsspital Baselland in Liestal. Die Keime fungieren als metabolisches Organ, fermentieren im Darm lösliche Fasern, Proteine und andere nicht verdaute Substrate zu kurzkettigen Fettsäuren.
Diese liefern Energie sowohl für den Wirt als auch für die Bakterien selbst und entfalten günstige Effekte an der Darmmukosa (unter anderem protektiv und antiinflammatorisch): „Wenn wir diese kurzkettigen Fettsäuren nicht haben, werden wir krank,“ so der Experte. Zudem haben Darmbakterien wichtige Funktionen bei der Vitaminsynthese (Biotin, Folsäure, Vitamin K). Bereits ab dem dritten Lebensjahr bleibt die Zusammensetzung der ortsständigen Mikrobiota erstaunlich konstant – „ähnlich wie ein Fingerabdruck für die forensische Medizin“.
Intestinale Dysbiose leistet Crohn und Colitis Vorschub
Die physiologische Besiedelung sorgt für eine intakte Darmbarriere. Pathogene Keime und Zytokine zerstören die sogenannten Tight Junctions zwischen den Zellen (s. Grafik), sodass Noxen leichter eindringen.
Die intestinale Dysbiose, sprich ein Ungleichgewicht zwischen „guten“ Bakterien (Bifidobakterien, Bacteriodetes) und „bösen“ Keimen (Firmicutes) spielt eine Rolle bei gastrointestinalen Erkrankungen, z.B. dem Reizdarm. Letzterer tritt in 20 bis 30 % der Fälle im Anschluss an eine Infektion auf (postinfektiöser Reizdarm). Es kommt zur Überwucherung mit den falschen Bakterien, zur Freisetzung von Mediatoren, die mit dem intestinalen Immunsystem interagieren, und via Serotonin- und Histaminliberation zur Reizdarmsymptomatik.
Auch bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen (CED) spielt – neben genetischer Prädisposition und dysreguliertem Immunsystem – die veränderte Mikrobiota eine pathogenetische Rolle. Bei Durchfall ist ebenfalls eine Dysbiose mitverantwortlich – schützende Funktionen (u.a. Schleimbildung, Natriumrückresorption) leiden. In Studien ließ sich die Destruktion der Tight Junctions im Darm durch Salmonellen verhindern, z.B. mit E. coli Nissle, informierte Prof. Meier.
In mehr als 2000 klinischen Untersuchungen wurden inzwischen Probiotika bei gastroenterologischen Erkrankungen untersucht: Zum Einsatz kamen lebende apathogene Bakterien wie Bifidobakterien, Lactobazillen, E. coli Nissle 1917, Saccharomyces boulardii sowie ein Gemisch aus acht Keimen (VSL#3). Diese sollen die Anhaftung pathogener Keime verhindern und die Barriere schützen.
Aufgrund der Datenlage finden sich in der DGVS*-Leitlinie „Reizdarm“ Angaben zur Probiotika-Wirkung auf bestimmte Symptome (s. Tabelle). „Ein Probiotikum, das bei einer Störung hilft, nutzt nicht unbedingt bei anderen“, so der Referent. Die Zunahme der Stuhlbakterienmasse unter Probiotika nutzt v.a. bei Obstipation, die Reduktion der bakteriellen Überwucherung im Dünndarm bei Blähungen und die Aktivierung von Opioid- und Endocannabinoid-Rezeptoren im Darm reduziert den Schmerz.
Probiotika bei Colitis ulcerosa?
Während bei Morbus Crohn bisher noch kein Nutzen belegt ist, sieht das bei Colitis ulcerosa anders aus: Mit VSL#3 erzielte man in einer randomisierten, placebokontrollierten Doppelblindstudie bei 144 Patienten mit milder bis mittelschwerer Erkrankung deutliche Vorteile gegenüber Placebo.
In einer weiteren Studie mit 327 Patienten wirkte die Gabe von E. coli Nissle in der Rezidivprophylaxe ebensogut wie die Standardtherapie mit Mesalazin. Gleiches bescheinigte eine Untersuchung (187 Patienten) zur Behandlung mit Lactobacillus rhamnosus.
Zur akuten Diarrhö liegt eine Cochrane-Metaanalyse von 23 randomisierten kontrollierten Studien vor. Insgesamt 1917 Patienten, darunter 1449 Kinder und Jugendliche, nahmen daran teil. Das Risiko für Diarrhö am dritten Krankheitstag sank unter Probiotika-Gabe signifikant um 34 %. Die Durchfalldauer wurde um im Mittel um 30,5 Stunden reduziert.
Mit Bakterien gegen die Antibiotika-Diarrhö
Als wichtiges Einsatzgebiet für Probiotika nannte Prof. Meier die Prävention der antibiotikainduzierten Diarrhö: In einem Kollektiv von 269 Kindern reduzierte Saccharomyces boulardii das Risiko für Durchfälle (8 % vs. 23 %) bzw. C.-difficile-Diarrhöen (3,4 % vs. 17,3 %). Bei 135 erwachsenen Patienten konnten Durchfälle mit L. casei ebenfalls vermieden werden (12 % vs. 34 % unter Placebo), C.-difficile-Diarrhöen traten nicht auf (Placebo: 17 %).
Eine Metaanalyse von 82 Studien mit verschiedenen Probiotika bestätigte: signifikante Reduktion der antibiotikaassoziierten Diarrhö um > 40 % (RR = 0,58). „Welches Probiotikum die beste vorbeugende Wirkung bei welchem Antibiotikum hat, weiß man allerdings noch nicht,“ so der Referent.
* Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
Quelle: Internistenkongress, Wiesbaden, 2013