22. Juni 2013Unfreiwilliger Harnverlust ist kein Schicksal

Harninkontinenz: Was Frauen wirklich hilft

Bei Übergewicht kann oft schon eine Gewichtsreduktion die Harninkontinenz vermindern. Nikotin, Alkohol, Kaffee, Tee und andere koffein- und teeinhaltige Getränke verstärken dagegen den Harndrang, warnt Privatdozentin Dr. Christine Skala von der Frauenklinik der Universität Mainz.

Auch zahlreiche Medikamente, darunter Alphablocker, Diuretika, Kalziumantagonisten, Antiepileptika, Antihistaminika und einige Psychopharmaka, können den Harnverlust verschlimmern. Weglassen oder ein Wechsel auf einen geeigneteren Wirkstoff löst hier manchmal die Problematik.

Flüssigkeitsrestriktion verschärft das Problem

Ganz wichtig ist es, den Patientinnen klarzumachen, dass eine Flüssigkeits-restriktion (z. B. weil keine Toi­lette in Reichweite ist) das Problem nicht löst, ganz im Gegenteil. Denn der stark konzentrierter Harn kann die Harndrangsymptomatik sogar noch verschärfen, ohne die Miktionsfrequenz zu reduzieren.

Für sinnvoll hält die Referentin dagegen eine gleichmäßige Verteilung des Trinkvolumens über den Tag und ein Blasentraining mit regelmäßigen Miktionen.

Selbsthilfe gegen Inkontinenz

Eine wichtige Möglichkeit, selbst etwas gegen Inkontinenz zu tun oder dieser vorzubeugen, heißt Beckenbodentraining. Hierfür eignen sich z.B. Vaginalkoni, die es in verschiedenen Gewichtsklassen gibt. Einen  anderen Ansatzpunkt zur Selbsthilfe bieten Nahrungsergänzungsmittel wie Cranberrysaft und Kürbiskernpräparate: Sie können die Harndrangsymptomatik lindern und finden deshalb regen Zuspruch.

Ein wichtiger Ansatzpunkt bei weiblicher Harninkontinenz ist der Beckenboden, der aus einem komplexen Zusammenwirken von Muskeln (M. levator ani), bindegewebigen und knöchernen Anteilen besteht. Gerade bei Stressinkontinenz lässt sich der unwillkürliche Harnabgang bei Husten, Niesen und körperlicher Anstrengung durch eine willkürliche Anspannung des Beckenbodens oft verhindern.

Beckenbodentraining möglichst früh beginnen

Leider haben aber viele Frauen keinerlei Vorstellung, wie sie den Beckenboden spüren und anspannen können – sie werden erst mit diesem „Körperteil“  konfrontiert, wenn schon ein Funktionsverlust in Form der Inkontinenz eingetreten ist.

Ideal wäre es daher, wenn schon junge Mädchen ganz selbstverständlich lernen würden, wie sie den Beckenboden trainieren und in Form halten können. Aber auch in späteren Jahren lässt sich mit aktivem Beckenbodentraining die Inkontinenzsymptomatik noch lindern.

Bewährt haben sich dabei Biofeedback-Methoden, die der Patientin mitteilen, wie stark sie die Muskeln anspannt. Auch Elektrostimulation und Vibrationstraining können den Beckenboden in Schuss bringen – diese passiven Methoden verlieren aber bald ihre Wirksamkeit, wenn sie nicht regelmäßig durchgeführt werden.

Wenn der Harnverlust v. a. beim Sport (z.B. Joggen) auftritt, kann eine Anhebung des urethrovesikalen Winkels, z.B. durch Tampons oder spezielle Ringpessare, sinnvoll sein.

Führen diese Maßnahmen nicht zu befriedigenden Ergebnissen, kommt eine Pharmakotherapie infrage. Die systemische Hormonersatztherapie hat sich bei postmenopausalen Frauen mit Harninkontinenz nicht bewährt. Eine lokale Östrogenisierung kann aber bei fehlenden Kontraindikationen sinnvoll sein.

Duloxetin steigert Aktivität des Nervus pudendus

Zur Behandlung der Stressinkontinenz ist der Serotonin-Noradrenalin-Reuptakehemmer Duloxetin geeignet, der die Aktivität des N. pudendus steigert. Um die Compliance zu erhöhen, empfehlen die Autoren eine einschleichende Dosierung, die auf zweimal 40 mg/Tag gesteigert wird. Kommt es unter dieser Dosis nach ca. drei Wochen nicht zu einer deutlichen Verbesserung, sollte man das Medikament absetzen.

Bei altersinstabiler Blase kann auch ein Versuch mit niedrig dosierten trizyklischen Antidepressiva lohnen. Vasopressin-Analoga bleiben Patientinnen mit Enuresis oder ausgeprägter Nykturie vorbehalten, sofern diese Symptome keine kardiale Ursache haben. Unter der Therapie sollte man den Natriumspiegel im Auge behalten.

Bei Dranginkontinenz bzw. überaktiver Blase stellen Anticholinergika (s. Kasten) die Therapie der ersten Wahl dar. Bis sie ihre maximale Wirksamkeit entfaltet haben, vergehen in der Regel vier Wochen. Neuere Präparate wie Darifenacin und Solifenacin besetzen selektiv M3-Rezeptoren – wirklich blasen-selektiv sind sie dadurch aber nicht, schreibt die Gynäkologin. Somit findet man unter allen angebotenen Präparaten in wechselnden Anteilen anticholinerge Nebenwirkungen.

Anticholinergika gegen Dranginkontinenz

  • Trospiumchlorid 2 x 20 mg/Tag
  • Oxybutinin 5 bis 15 mg/Tag
  • Tolterodin 4 mg/Tag
  • Darifenacin 7,5 mg bis 15 mg täglich
  • Solifenacin 5 mg bis 10 mg täglich
  • Fesoterodin 4 mg bis 8 mg täglich

Um den Therapieeffekt zu erfassen, sollten Patientinnen ein Miktionsprotokoll führen, am besten zwei Tage vor dem Beginn einer Anticholinergika-Therapie und zum Vergleich ebenfalls zwei Tage nach etwa acht Wochen Behandlung.

Quelle: Christine Skala et al., internist. prax. 2013; 53: 55-64