Bei Herzinfarkt: Frühe Lyse als Alternative zur späten PCI
Wenn beim ST-Hebungsinfarkt eine sehr zeitnahe Koronarintervention nicht möglich ist, erreicht man auch mit Fibrinolyse und nachfolgender antithrombotischer Therapie eine effektive koronare Reperfusion. Allerdings beobachtete man unter dieser Strategie leicht erhöhte intrakranielle Blutungsraten.
Prähospitale Fibrinolyse bei fehlender PCI-Bereitschaft?
Infarktpatienten innerhalb der ersten Stunde nach erstem Arztkontakt koronarangiographisch zu versorgen, stellt häufig ein logistisches Problem dar. Nicht jede Klinik kann Tag und Nacht PCI-Bereitschaft vorhalten. In der multizentrischen internationalen STREAM*-Studie wurde geprüft, ob man Patienten in diesem Fall eine prähospitale Fibrinolyse angedeihen lassen sollte, erklärte Dr. Frans Van de Werf von der Universität Leuven.
An der Untersuchung nahmen 1892 Patienten mit ST-Hebungsinfarkt (STEMI) teil, die in den letzten drei Stunden Symptome entwickelt hatten. Die Probanden, darunter ein Fünftel Frauen, zählten im Mittel 60 Jahre. Eine perkutane Koronarintervention (PCI) innerhalb von 60 Minuten nach erstem Arztkontakt war in keinem Fall möglich.
Lyse vs. PCI: Kein Unterschied bezüglich der Mortalität
Die Kranken wurden randomisiert in zwei Gruppen eingeteilt. Die erste Gruppe erhielt noch vor dem Transport in ein größeres Zentrum eine Lysetherapie mit Tenecteplase in gewichtsadaptierter Dosis plus Clopidogrel, Enoxaparin und ASS. Die zweite Gruppe brachte man so schnell wie möglich in die nächste PCI-fähige Klinik und dort erfolgte sofort eine interventionelle Reperfusion. War die Medikamentengabe in der Lysegruppe nicht effektiv, z.B. bei hämodynamischer oder elektrischer Instabilität, Zunahme der Ischämie oder fehlender ST-Erholung innerhalb von 90 Minuten, erfolgte auch in dieser Gruppe unverzüglich eine PCI. Andernfalls prüfte man den Lyseerfolg mittels Angiographie innerhalb der folgenden 6 bis 24 Stunden.
Als primärer Endpunkt wurde die Kombination aus Tod jeglicher Ursache, Schock, Herzinsuffizienz oder Reinfarkt innerhalb von 30 Tagen festgelegt. Dieser ereignete sich bei 12,4 % der Lysegruppe und 14,3 % der PCI-Gruppe. 4,6 % bzw. 4,4 % Patienten verstarben, eine Herzinsuffizienz trat bei 6,1 % vs. 7,6 % auf und einen erneuten Infarkt erlitten 2,5 vs. 2,2 % der Kranken.
Vermehrt Hirnblutungen unter Thrombolyse
Bei etwa jedem dritten der primär Lysierten wurde eine frühe PCI erforderlich. Alle anderen wurden nach im Median 17 Stunden angiographiert. Schon früh im Verlauf der Studie stellte man vermehrt Hirnblutungen unter der Thrombolyse fest. Die Rate betrug 1 %, im Vergleich zu 0,2 % in der PCI-Gruppe. Daraufhin wurde das Studienprotokoll geändert und die Tenecteplase-Dosis für Patienten ≥ 75 Jahre reduziert. Danach traten in dieser Altersgruppe keine weiteren intrakraniellen Hämorrhagien auf. Blutungen an anderen Lokalisationen waren unter Lyse und PCI nicht signifikant unterschiedlich.
Diese Studienergebnisse erlauben, bei zwei Dritteln der lysierten Herzinfarktpatienten die frühe invasive Therapie zu umgehen, so der Referent. Auch andere Kongressteilnehmer nahmen die Resultate positiv auf: So meinte Dr. Freek Verheugt von der Universitätsklinik Nijmegen, es sei gut, dass die PCI bei der Mehrzahl der Patienten nicht mehr sofort und dringend erfolgen müsse. Schließlich gehen Notfall-Interventionen außerhalb der Routinezeiten bekanntermaßen mit ungünstigerem Ergebnis einher. Vor allem in schlechter versorgten Gebieten mit langen Anfahrtzeiten zur nächsten PCI-Klinik wird das die klinische Praxis verändern, so sein Urteil.
Für Schlanke und Senioren geringere Lyse-Dosis
Eine zweite wichtige Botschaft las Dr. George Dangas von der Mount Sinai School of Medicine in New York aus den Ergebnissen der STREAM-Studie: Bei STEMI-Patienten über 75 Jahre oder Kranken unter 60 kg KG müsse die Therapiestrategie geändert werden. Sie bräuchten geringere Fibrinolysedosierungen oder müssten schneller der primären PCI zugeführt werden.
Es gab auch kritische Stimmen. So meinte Dr. Deepak Bhat vom Brigham and Women’s Hospital in Boston, man dürfe das Blutungsrisiko nicht außer Acht lassen. Zudem habe sich Qualität und Sicherheit der perkutanen Koronarintervention seit dem Start der STREAM-Studie 2008 weiter verbessert und die Vorteile gegenüber der Fibrinolyse hätten sich somit vergrößert. In Einzelfällen könne das Vorgehen mit primärer Lyse zwar sinnvoll sein. Aber die rein pharmakologische Therapie sei sicher nicht als optimale Versorgung im Vergleich zur rechtzeitigen PCI anzusehen.
* Strategic Reperfusion Early after Myocardial Infarction
Quelle: ACC-Kongress, San Francisco