30. Juni 2013Weißkittelhypertonie auf etwa 15 % beziffert

Weißkittel-Hypertonie gehäuft bei Senioren

In der Normalbevölkerung wird die Prävalenz der Weißkittelhypertonie auf etwa 15 % beziffert. Bei älteren Personen liegt diese Rate höher, wie z.B. aus der aktuellen IDACO*-Studie hervorgeht. Knapp 1600 Patienten mit isolierter systolischer Hypertonie (ISH) nahmen an der Untersuchung teil, im Schnitt warren sie 65 Jahre alt.

Praxisblutdruckmessung vs. ambulante Blutdruckmessung

Von den unbehandelten ISH-Patienten wiesen 29 % nur in der Arztpraxis einen systolischen Druck ≥ 140 mmHg auf, bei Teilnehmern unter antihypertensiver Medikation betrug diese Rate 38 %. Die Tagesmittelwerte, die bei der ambulanten Messung außerhalb der Praxis ermittelt wurden, lagen dagegen unter 135 mmHg, berichtete Professor Dr. Reinhold Kreutz vom Institut für Klinische Pharmakologie und Toxikologie der Charité Berlin.

Spitzen am Nachmittag: „Witwenhochdruck“?

Die Selbstmessung des Blutdrucks hat mitunter auch negative Effekte. Ein Beispiel ist der sogenannte Witwenhochdruck, er betrifft meist alleinstehende, ältere Frauen:

• Durch Haushaltsarbeiten und Einkäufe abgelenkt, fühlen sich diese Patientinnen vormittags noch ganz wohl. Doch nachmittags kommt es zum Stimmungseinbruch.

• Ergibt dann die Blutdruckmessung einen erhöhten Wert, löst dies zusätzlich Ängste aus.

• Die erneut gemessenen Werte fallen noch höher aus, was die Panik weiter steigert und im Extremfall bis zur hypertensiven Krise führt.

• Hier ist der Hausarzt gefordert, um Betroffene zu beruhigen und Zusammenhänge zu erklären. Eine Intensivierung der Pharmakotherapie wäre in solchen Fällen nicht hilfreich.

Die Diagnose einer ISH bei älteren Patienten steht häufig auf „tönernen Füßen“, weil sie meist auf wenigen konventionellen Messungen beruht, folgerte der Kollege. Erhärtet wird dieser Eindruck durch Daten aus der aktuellen Substudie1 von HYVET (Hypertension in the very elderly trial). Rund 250 der knapp 4000 über 80-jährigen HYVET-Teilnehmer wurden in dieser Substudie mit Langzeitblutdruckmessung (ABDM) untersucht. Dabei stellte man insgesamt deutlich niedrigere Werte als bei der Praxisblutdruckmessung fest. Die Unterschiede betrugen bis zu +36/+12 mmHg.

Systolischer Hochdruck: wann behandeln?

Etwa 50 % der Teilnehmer der Hyvet-Substudie hatten nach diesen Daten eine Weißkittelhypertonie. Und manche dieser Patienten, die das Studieneinschlusskriterium ≥ 160 mmHg systolischer Praxisblutdruck aufwiesen, zeigten beim ambulanten Blutdruckmonitoring (ABDM) erstaunlich niedrige Tagesdruckwerte (bis 100 mmHg), wie Prof. Kreutz weiter ausführte.

Die entscheidende Frage lautet nun, wie man therapeutisch auf diese Befunde reagiert. Immerhin hat man die HYVET-Studie abgebrochen, weil sich im Kollektiv der über 80-jährigen Patienten mit ISH-Diagnose unter Verum (Indapamid +/- Perindopril) eindeutige prognostische Vorteile abzeichneten (Gesamtsterblichkeit, Schlaganfälle, kardiovaskuläre Ereignisse).

Daten der IDACO-Studie wiederum lassen darauf schließen, dass eine isolierte systolische Weißkittelhypertonie das Leben nicht unbedingt verkürzt. Demnach würde z.B. die Intensivierung einer Antihypertensiva-Therapie bei diesen Patienten eher keinen Sinn machen.

Weißkittelhypertonie - Konsequenzen für die Praxis

Das vorläufige Fazit von Prof. Kreutz lautet folgendermaßen:

• Die Weißkittelhypertonie (WKH) ist bei über 80-jährigen Patienten sehr häufig.

• Gegenüber Jüngeren mit isolierter syst. Hypertonie könnten Hochbetagte mit syst. Werten > 160 mmHg von einer antihypertensiven Therapie profitieren.

• Besonders bei Älteren sollte die Blutdruckmessung in der Praxis öfter durch ABDM und Selbstmessung ergänzt werden.

• Zusätzlich sollte der Blutdruck auch im Stehen gemessen werden, um die Gefahr einer orthostatischen Hypotonie zu erfassen

*The International Database on Ambulatory blood pressure monitoring 
in relation to Cardiovascular Outcomes

1. C.J. Bulpitt et al., 
Hypertension 2013; 61: 89–94

Quelle: 8. Kardiologie-Update-Seminar, Wiesbaden, 2013